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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

der italienischen Kultur von Interesse sind. Seine unerquicklichen parodirenden
Dramen sind lediglich für den Litteratnrgeschichtsforscher merkwürdig, und die orien¬
talischen Erzählungen, die er in den Abbassiden zusammengefaßt hat, lesen wir
wenigstens lieber in fchlichterm Gewände als in Platens schwerer, anspruchsvollen
Sprache.

Die vorliegende Ausgabe versucht trotzdem, Platen dem deutscheu Publikum
zugänglich zu machen, dem Publikum, das er so oft gehöhnt und geschmäht und
zeitlebens im innersten verachtet hat, dem er sich fremd fühlte und fühlen wollte.
Sie sucht ihre Leser auf einer Bildungsstufe, für die Namen wie Lykurg ("der
berühmte Gesetzgeber Spartas, um 850 v. Chr.") und Aurora, Begriffe wie
Rhapsode und Kothurn konversationslexikouartig in Anmerkungen erklärt werden
müssen, die aber auch nichts von Calvin weiß, und der zu Platens Worten von
dem "begeisterten sächsischen Mönch," den er einmal zwischen Meistergesang und
dem dreißigjährigen Kriege erwähnt, die Anmerkung not thut "Luther (1483 bis
1546)." Selbstverständlich kehren derartige Erklärungen, namentlich für die Antike,
immer wieder, da Platen in der alten Welt lebte und webte und sich ihrer typischen
Gestalten auf jeder Seite seiner Dichtungen bedient. Ebenso wiederholen sich die
Erläuterungen aus dem Gebiete der italienischen Renaissancekultur; schade, daß die
Zweizahl der Herausgeber hier dazu geführt hat, daß uns z. B. in den Anmer¬
kungen zu Pordenone VI, S. 139 und S. 238 des ersten Bandes nicht nur ver-
schiedne, sondern teilweise einander widersprechende Angaben mitgeteilt werden,
ähnlich wie als Vasaris Geburtsjahr I, 262 1511, dagegen II, 493 1512 bezeichnet
wird. Welchem der Herausgeber soll man da glauben?

"Wer den Dichter will versteh", muß in Dichters Lande gehn" ist ein altes,
aber nie veraltendes Wort: Kenntnis der italienischen Renaissance und des grie¬
chische" und römischen Altertums, die für Leser Platens die Voraussetzung bildet,
bildet sie natürlich erst recht für seine Herausgeber. Ungenau übersetzt ist das
Lxoi'i-u'ö ÄliWis, das Platen über sein erstes Polenlied geschrieben hat, mit den
Worten "Aus unsern Gebeinen soll ein Rächer entstehen," falsch das ZZamu8
pinnis oxvLriM oiviw8, die Überschrift eines andern Polenliedes, mit den Worten
"Laßt uns, die ganze voller Flüche beladene Gemeinschaft, auswandern"; überdies
hätte doch dieser Vers so gut wie jeuer virgilische einen Hinweis auf seine Herkunft
verdient: wer die horazische Epode nicht kennt, der er entstammt, versteht das
ganze Platensche Lied nicht. Die Anmerkung zu dem Epigramm "An denselben"
(d. h. einen anonymen Verfolger)


Birqst du den Namen? Es ist doch immer ein klassischer Name:
Dich schon redet Horaz "stinkender Mävius" an

enthält eine recht zweifelhafte Bereicherung unsrer Kenntnis römischer Dichternamen
in den Worten "Mävius, ein schlechter römischer Dichter des ersten Jahrhunderts
v. Chr." Horaz verwünscht nur den hämischen Kritiker, so gut wie sich Platen
nur über diesen hermacht; davon daß dieser Mävius je einen Vers gemacht hätte,
ist nichts bekannt.

Das Äußere der Ausgabe ist wie bei allen Meyerschen Klassikerbänden sauber
und hübsch, auch Bild und Handschrift Platens fehlen nicht, doch haben sich mehrere
verletzende Druckfehler eingeschlichen, z. B. I, S. 256 "Begattung" für "Bestattung"
und S. 217 ein eeeinit in dem bekannten, in der ersten Person geschriebnen Grab¬
distichon Virgils. sollen wir auch das "9 v. ^ Chr." in einer Anmerkung über
die Varusschlacht II, 176 dazu rechnen?


Litteratur

der italienischen Kultur von Interesse sind. Seine unerquicklichen parodirenden
Dramen sind lediglich für den Litteratnrgeschichtsforscher merkwürdig, und die orien¬
talischen Erzählungen, die er in den Abbassiden zusammengefaßt hat, lesen wir
wenigstens lieber in fchlichterm Gewände als in Platens schwerer, anspruchsvollen
Sprache.

Die vorliegende Ausgabe versucht trotzdem, Platen dem deutscheu Publikum
zugänglich zu machen, dem Publikum, das er so oft gehöhnt und geschmäht und
zeitlebens im innersten verachtet hat, dem er sich fremd fühlte und fühlen wollte.
Sie sucht ihre Leser auf einer Bildungsstufe, für die Namen wie Lykurg („der
berühmte Gesetzgeber Spartas, um 850 v. Chr.") und Aurora, Begriffe wie
Rhapsode und Kothurn konversationslexikouartig in Anmerkungen erklärt werden
müssen, die aber auch nichts von Calvin weiß, und der zu Platens Worten von
dem „begeisterten sächsischen Mönch," den er einmal zwischen Meistergesang und
dem dreißigjährigen Kriege erwähnt, die Anmerkung not thut „Luther (1483 bis
1546)." Selbstverständlich kehren derartige Erklärungen, namentlich für die Antike,
immer wieder, da Platen in der alten Welt lebte und webte und sich ihrer typischen
Gestalten auf jeder Seite seiner Dichtungen bedient. Ebenso wiederholen sich die
Erläuterungen aus dem Gebiete der italienischen Renaissancekultur; schade, daß die
Zweizahl der Herausgeber hier dazu geführt hat, daß uns z. B. in den Anmer¬
kungen zu Pordenone VI, S. 139 und S. 238 des ersten Bandes nicht nur ver-
schiedne, sondern teilweise einander widersprechende Angaben mitgeteilt werden,
ähnlich wie als Vasaris Geburtsjahr I, 262 1511, dagegen II, 493 1512 bezeichnet
wird. Welchem der Herausgeber soll man da glauben?

„Wer den Dichter will versteh», muß in Dichters Lande gehn" ist ein altes,
aber nie veraltendes Wort: Kenntnis der italienischen Renaissance und des grie¬
chische» und römischen Altertums, die für Leser Platens die Voraussetzung bildet,
bildet sie natürlich erst recht für seine Herausgeber. Ungenau übersetzt ist das
Lxoi'i-u'ö ÄliWis, das Platen über sein erstes Polenlied geschrieben hat, mit den
Worten „Aus unsern Gebeinen soll ein Rächer entstehen," falsch das ZZamu8
pinnis oxvLriM oiviw8, die Überschrift eines andern Polenliedes, mit den Worten
„Laßt uns, die ganze voller Flüche beladene Gemeinschaft, auswandern"; überdies
hätte doch dieser Vers so gut wie jeuer virgilische einen Hinweis auf seine Herkunft
verdient: wer die horazische Epode nicht kennt, der er entstammt, versteht das
ganze Platensche Lied nicht. Die Anmerkung zu dem Epigramm „An denselben"
(d. h. einen anonymen Verfolger)


Birqst du den Namen? Es ist doch immer ein klassischer Name:
Dich schon redet Horaz „stinkender Mävius" an

enthält eine recht zweifelhafte Bereicherung unsrer Kenntnis römischer Dichternamen
in den Worten „Mävius, ein schlechter römischer Dichter des ersten Jahrhunderts
v. Chr." Horaz verwünscht nur den hämischen Kritiker, so gut wie sich Platen
nur über diesen hermacht; davon daß dieser Mävius je einen Vers gemacht hätte,
ist nichts bekannt.

Das Äußere der Ausgabe ist wie bei allen Meyerschen Klassikerbänden sauber
und hübsch, auch Bild und Handschrift Platens fehlen nicht, doch haben sich mehrere
verletzende Druckfehler eingeschlichen, z. B. I, S. 256 „Begattung" für „Bestattung"
und S. 217 ein eeeinit in dem bekannten, in der ersten Person geschriebnen Grab¬
distichon Virgils. sollen wir auch das „9 v. ^ Chr." in einer Anmerkung über
die Varusschlacht II, 176 dazu rechnen?


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[0111] Litteratur der italienischen Kultur von Interesse sind. Seine unerquicklichen parodirenden Dramen sind lediglich für den Litteratnrgeschichtsforscher merkwürdig, und die orien¬ talischen Erzählungen, die er in den Abbassiden zusammengefaßt hat, lesen wir wenigstens lieber in fchlichterm Gewände als in Platens schwerer, anspruchsvollen Sprache. Die vorliegende Ausgabe versucht trotzdem, Platen dem deutscheu Publikum zugänglich zu machen, dem Publikum, das er so oft gehöhnt und geschmäht und zeitlebens im innersten verachtet hat, dem er sich fremd fühlte und fühlen wollte. Sie sucht ihre Leser auf einer Bildungsstufe, für die Namen wie Lykurg („der berühmte Gesetzgeber Spartas, um 850 v. Chr.") und Aurora, Begriffe wie Rhapsode und Kothurn konversationslexikouartig in Anmerkungen erklärt werden müssen, die aber auch nichts von Calvin weiß, und der zu Platens Worten von dem „begeisterten sächsischen Mönch," den er einmal zwischen Meistergesang und dem dreißigjährigen Kriege erwähnt, die Anmerkung not thut „Luther (1483 bis 1546)." Selbstverständlich kehren derartige Erklärungen, namentlich für die Antike, immer wieder, da Platen in der alten Welt lebte und webte und sich ihrer typischen Gestalten auf jeder Seite seiner Dichtungen bedient. Ebenso wiederholen sich die Erläuterungen aus dem Gebiete der italienischen Renaissancekultur; schade, daß die Zweizahl der Herausgeber hier dazu geführt hat, daß uns z. B. in den Anmer¬ kungen zu Pordenone VI, S. 139 und S. 238 des ersten Bandes nicht nur ver- schiedne, sondern teilweise einander widersprechende Angaben mitgeteilt werden, ähnlich wie als Vasaris Geburtsjahr I, 262 1511, dagegen II, 493 1512 bezeichnet wird. Welchem der Herausgeber soll man da glauben? „Wer den Dichter will versteh», muß in Dichters Lande gehn" ist ein altes, aber nie veraltendes Wort: Kenntnis der italienischen Renaissance und des grie¬ chische» und römischen Altertums, die für Leser Platens die Voraussetzung bildet, bildet sie natürlich erst recht für seine Herausgeber. Ungenau übersetzt ist das Lxoi'i-u'ö ÄliWis, das Platen über sein erstes Polenlied geschrieben hat, mit den Worten „Aus unsern Gebeinen soll ein Rächer entstehen," falsch das ZZamu8 pinnis oxvLriM oiviw8, die Überschrift eines andern Polenliedes, mit den Worten „Laßt uns, die ganze voller Flüche beladene Gemeinschaft, auswandern"; überdies hätte doch dieser Vers so gut wie jeuer virgilische einen Hinweis auf seine Herkunft verdient: wer die horazische Epode nicht kennt, der er entstammt, versteht das ganze Platensche Lied nicht. Die Anmerkung zu dem Epigramm „An denselben" (d. h. einen anonymen Verfolger) Birqst du den Namen? Es ist doch immer ein klassischer Name: Dich schon redet Horaz „stinkender Mävius" an enthält eine recht zweifelhafte Bereicherung unsrer Kenntnis römischer Dichternamen in den Worten „Mävius, ein schlechter römischer Dichter des ersten Jahrhunderts v. Chr." Horaz verwünscht nur den hämischen Kritiker, so gut wie sich Platen nur über diesen hermacht; davon daß dieser Mävius je einen Vers gemacht hätte, ist nichts bekannt. Das Äußere der Ausgabe ist wie bei allen Meyerschen Klassikerbänden sauber und hübsch, auch Bild und Handschrift Platens fehlen nicht, doch haben sich mehrere verletzende Druckfehler eingeschlichen, z. B. I, S. 256 „Begattung" für „Bestattung" und S. 217 ein eeeinit in dem bekannten, in der ersten Person geschriebnen Grab¬ distichon Virgils. sollen wir auch das „9 v. ^ Chr." in einer Anmerkung über die Varusschlacht II, 176 dazu rechnen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/111>, abgerufen am 24.11.2024.