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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Prügelstrafe in der Volksschule

Wirtschaftlichen Selbständigkeit, durch das Band, das zwischen dem Menschen
und der Mutter Erde gerade in unserm Volke von jeher so innig gewesen ist.
Durch solche Maßregeln dürfen wir hoffen, daß unsre oftbewährte Volkskraft
auch die Nachteile, die uns die Wanderungen schaffen, überwinde" wird.




Die Prügelstrafe in der Volksschule
v Joseph Müller on(Schluß)

ber auch ans die Intelligenz übt die Dressur ihre schlimmen
Wirkungen. "Der militärische Gehorsam als Eigenschaft eines
ganzen Volks ist eine sehr bedenkliche Tugend und macht steif,
bindet die Initiative und dörrt den Geist aus. Preußen hat
seinen Bedarf an Geist meist ans den deutschen Kleinstaaten
gedeckt, und unsre Kolonisatiousversuche fallen zum Teil deshalb fo wenig
befriedigend aus, weil unser Volk unter der militärischen Dressur die Spann¬
kraft und Selbständigkeit der Entschließungen, die Fähigkeit, ohne Weisung
von oben in jeder Lage sich selbst zu helfen -- Eigenschaften, die den Eng¬
länder auszeichnen --, zum Teil verloren hat" (Grenzboten 1893)."°)

Und doch muß im Staate, der auf dem Prinzip der Macht aufgebaut
ist und mit allen möglichen Elementen zu rechnen hat, die Autorität eine
weit festere und imponirendere Stellung einnehmen als in der Schule, wo die
Kinderwelt ein viel weicheres, lenksameres und reineres Material bietet, wo
der Zweck hoher ist als bei der Polizei, die Einwirkung inniger. Mit dem
0<i"zrmt, com avoient kann sich allenfalls eine Herrschernatur wie Tiberius,
Philipp II., Napoleon, aber niemals ein einsichtsvoller Erzieher zufrieden
geben. Darum haben alle besonnenen Pädagogen wie Herbart, Schleiermacher,
Fichte die Furcht als Erziehungsmittel verworfen und die schwerern Strafen
nus der Schule verbannt und für Beweise der Unfähigkeit des Erziehers er-



*) Ebenda: "Die sozialdemokratischen Thorheiten konnten sich deshalb so massenhaft
verbreiten, weil der fortgesetzte Schuldrill, der nur auf formelle Kenntnisse geht, dem
Gehirn der deutschen Jungen mehr Rezeptionen zum Aneignen fremder Gedanken als Pro¬
duktivität im eignen Denken verliehen hat/'
Grenzboten IV 139S 10
Die Prügelstrafe in der Volksschule

Wirtschaftlichen Selbständigkeit, durch das Band, das zwischen dem Menschen
und der Mutter Erde gerade in unserm Volke von jeher so innig gewesen ist.
Durch solche Maßregeln dürfen wir hoffen, daß unsre oftbewährte Volkskraft
auch die Nachteile, die uns die Wanderungen schaffen, überwinde» wird.




Die Prügelstrafe in der Volksschule
v Joseph Müller on(Schluß)

ber auch ans die Intelligenz übt die Dressur ihre schlimmen
Wirkungen. „Der militärische Gehorsam als Eigenschaft eines
ganzen Volks ist eine sehr bedenkliche Tugend und macht steif,
bindet die Initiative und dörrt den Geist aus. Preußen hat
seinen Bedarf an Geist meist ans den deutschen Kleinstaaten
gedeckt, und unsre Kolonisatiousversuche fallen zum Teil deshalb fo wenig
befriedigend aus, weil unser Volk unter der militärischen Dressur die Spann¬
kraft und Selbständigkeit der Entschließungen, die Fähigkeit, ohne Weisung
von oben in jeder Lage sich selbst zu helfen — Eigenschaften, die den Eng¬
länder auszeichnen —, zum Teil verloren hat" (Grenzboten 1893)."°)

Und doch muß im Staate, der auf dem Prinzip der Macht aufgebaut
ist und mit allen möglichen Elementen zu rechnen hat, die Autorität eine
weit festere und imponirendere Stellung einnehmen als in der Schule, wo die
Kinderwelt ein viel weicheres, lenksameres und reineres Material bietet, wo
der Zweck hoher ist als bei der Polizei, die Einwirkung inniger. Mit dem
0<i«zrmt, com avoient kann sich allenfalls eine Herrschernatur wie Tiberius,
Philipp II., Napoleon, aber niemals ein einsichtsvoller Erzieher zufrieden
geben. Darum haben alle besonnenen Pädagogen wie Herbart, Schleiermacher,
Fichte die Furcht als Erziehungsmittel verworfen und die schwerern Strafen
nus der Schule verbannt und für Beweise der Unfähigkeit des Erziehers er-



*) Ebenda: „Die sozialdemokratischen Thorheiten konnten sich deshalb so massenhaft
verbreiten, weil der fortgesetzte Schuldrill, der nur auf formelle Kenntnisse geht, dem
Gehirn der deutschen Jungen mehr Rezeptionen zum Aneignen fremder Gedanken als Pro¬
duktivität im eignen Denken verliehen hat/'
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[0081] Die Prügelstrafe in der Volksschule Wirtschaftlichen Selbständigkeit, durch das Band, das zwischen dem Menschen und der Mutter Erde gerade in unserm Volke von jeher so innig gewesen ist. Durch solche Maßregeln dürfen wir hoffen, daß unsre oftbewährte Volkskraft auch die Nachteile, die uns die Wanderungen schaffen, überwinde» wird. Die Prügelstrafe in der Volksschule v Joseph Müller on(Schluß) ber auch ans die Intelligenz übt die Dressur ihre schlimmen Wirkungen. „Der militärische Gehorsam als Eigenschaft eines ganzen Volks ist eine sehr bedenkliche Tugend und macht steif, bindet die Initiative und dörrt den Geist aus. Preußen hat seinen Bedarf an Geist meist ans den deutschen Kleinstaaten gedeckt, und unsre Kolonisatiousversuche fallen zum Teil deshalb fo wenig befriedigend aus, weil unser Volk unter der militärischen Dressur die Spann¬ kraft und Selbständigkeit der Entschließungen, die Fähigkeit, ohne Weisung von oben in jeder Lage sich selbst zu helfen — Eigenschaften, die den Eng¬ länder auszeichnen —, zum Teil verloren hat" (Grenzboten 1893)."°) Und doch muß im Staate, der auf dem Prinzip der Macht aufgebaut ist und mit allen möglichen Elementen zu rechnen hat, die Autorität eine weit festere und imponirendere Stellung einnehmen als in der Schule, wo die Kinderwelt ein viel weicheres, lenksameres und reineres Material bietet, wo der Zweck hoher ist als bei der Polizei, die Einwirkung inniger. Mit dem 0<i«zrmt, com avoient kann sich allenfalls eine Herrschernatur wie Tiberius, Philipp II., Napoleon, aber niemals ein einsichtsvoller Erzieher zufrieden geben. Darum haben alle besonnenen Pädagogen wie Herbart, Schleiermacher, Fichte die Furcht als Erziehungsmittel verworfen und die schwerern Strafen nus der Schule verbannt und für Beweise der Unfähigkeit des Erziehers er- *) Ebenda: „Die sozialdemokratischen Thorheiten konnten sich deshalb so massenhaft verbreiten, weil der fortgesetzte Schuldrill, der nur auf formelle Kenntnisse geht, dem Gehirn der deutschen Jungen mehr Rezeptionen zum Aneignen fremder Gedanken als Pro¬ duktivität im eignen Denken verliehen hat/' Grenzboten IV 139S 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/81>, abgerufen am 27.06.2024.