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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Tind wir Socialdemokraten?

vnntag, den 20. Oktober, las man in der Schlesischen Zeitung
unter der Überschrift: Der "Konservativismus" der Grenzboten
folgendes: "Die im Verlage von Fr. Will). Gruuow in Leipzig
erscheinende, ehemals sehr besonnen im konservativen Sinne redi-
girte Wochenschrift Die Grenzboten hat sich allmählich in der
einseitigsten Vertretung sozialreformatorischer Ideen so weit verrannt, daß sie
sich in nichts mehr von einem sozialdemokratischen Organ unterscheidet." Zum
Beweis folgen drei nichts weniger als beweiskräftige Sätze. Einzelne Sätze
könnten, auch wenn sie ganz anders lauteten, diese Behauptung überhaupt
nicht beweisen, weil neben drei Sätzen der einen Nummer dreitausend Sätze
in hundert Nummern vorkommen können, die den Unterschied zwischen uns und
den Sozialdemokraten handgreiflich hervortreten lassen. Die Post, die Ham¬
burger Nachrichten und andre Blätter derselben Richtung haben die Verleum¬
dung nachgedruckt. Die Grenzboten haben in Heft 44 am Schluß einen milden
Abwehrartikel gebracht, und an der Spitze von Heft 45 einen zweiten, der sich
mehr gegen frühere Angriffe richtet als gegen diesen letzten. Den zweiten Ab¬
wehrartikel hat die Schlesische Zeitung, anstatt ihre Verleumdung zurückzu¬
nehmen oder wenigstens einzuschränken, in ihrer Ur. 790 (Sonnabend, den 9. No¬
vember) im hochmütigste" Tone mit ein paar wegwerfenden Bemerkungen ab¬
gethan. Da bleibt uns denn nichts übrig, als sie zu einem förmlichen Widerruf
zu zwingen; unsern Lesern gegenüber bedürfen wir keiner Rechtfertigung, aber
in den Kreisen, die uns nur vom Hörensagen kennen, dürfen wir -- das sind
wir der guten Sache schuldig eine solche Fälschung der öffentlichen Mei¬
nung nicht ohne Widerspruch hingehen lassen. Wir werden unsern Zweck am
vollständigsten erreichen, wenn wir unser, taufenden von gebildeten Männern
bekanntes sozial- und wirtschaftspolitischcs Programm noch einmal ganz kurz


Grenzboten IV 1895 52


Tind wir Socialdemokraten?

vnntag, den 20. Oktober, las man in der Schlesischen Zeitung
unter der Überschrift: Der „Konservativismus" der Grenzboten
folgendes: „Die im Verlage von Fr. Will). Gruuow in Leipzig
erscheinende, ehemals sehr besonnen im konservativen Sinne redi-
girte Wochenschrift Die Grenzboten hat sich allmählich in der
einseitigsten Vertretung sozialreformatorischer Ideen so weit verrannt, daß sie
sich in nichts mehr von einem sozialdemokratischen Organ unterscheidet." Zum
Beweis folgen drei nichts weniger als beweiskräftige Sätze. Einzelne Sätze
könnten, auch wenn sie ganz anders lauteten, diese Behauptung überhaupt
nicht beweisen, weil neben drei Sätzen der einen Nummer dreitausend Sätze
in hundert Nummern vorkommen können, die den Unterschied zwischen uns und
den Sozialdemokraten handgreiflich hervortreten lassen. Die Post, die Ham¬
burger Nachrichten und andre Blätter derselben Richtung haben die Verleum¬
dung nachgedruckt. Die Grenzboten haben in Heft 44 am Schluß einen milden
Abwehrartikel gebracht, und an der Spitze von Heft 45 einen zweiten, der sich
mehr gegen frühere Angriffe richtet als gegen diesen letzten. Den zweiten Ab¬
wehrartikel hat die Schlesische Zeitung, anstatt ihre Verleumdung zurückzu¬
nehmen oder wenigstens einzuschränken, in ihrer Ur. 790 (Sonnabend, den 9. No¬
vember) im hochmütigste» Tone mit ein paar wegwerfenden Bemerkungen ab¬
gethan. Da bleibt uns denn nichts übrig, als sie zu einem förmlichen Widerruf
zu zwingen; unsern Lesern gegenüber bedürfen wir keiner Rechtfertigung, aber
in den Kreisen, die uns nur vom Hörensagen kennen, dürfen wir — das sind
wir der guten Sache schuldig eine solche Fälschung der öffentlichen Mei¬
nung nicht ohne Widerspruch hingehen lassen. Wir werden unsern Zweck am
vollständigsten erreichen, wenn wir unser, taufenden von gebildeten Männern
bekanntes sozial- und wirtschaftspolitischcs Programm noch einmal ganz kurz


Grenzboten IV 1895 52
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[0411] [Abbildung] Tind wir Socialdemokraten? vnntag, den 20. Oktober, las man in der Schlesischen Zeitung unter der Überschrift: Der „Konservativismus" der Grenzboten folgendes: „Die im Verlage von Fr. Will). Gruuow in Leipzig erscheinende, ehemals sehr besonnen im konservativen Sinne redi- girte Wochenschrift Die Grenzboten hat sich allmählich in der einseitigsten Vertretung sozialreformatorischer Ideen so weit verrannt, daß sie sich in nichts mehr von einem sozialdemokratischen Organ unterscheidet." Zum Beweis folgen drei nichts weniger als beweiskräftige Sätze. Einzelne Sätze könnten, auch wenn sie ganz anders lauteten, diese Behauptung überhaupt nicht beweisen, weil neben drei Sätzen der einen Nummer dreitausend Sätze in hundert Nummern vorkommen können, die den Unterschied zwischen uns und den Sozialdemokraten handgreiflich hervortreten lassen. Die Post, die Ham¬ burger Nachrichten und andre Blätter derselben Richtung haben die Verleum¬ dung nachgedruckt. Die Grenzboten haben in Heft 44 am Schluß einen milden Abwehrartikel gebracht, und an der Spitze von Heft 45 einen zweiten, der sich mehr gegen frühere Angriffe richtet als gegen diesen letzten. Den zweiten Ab¬ wehrartikel hat die Schlesische Zeitung, anstatt ihre Verleumdung zurückzu¬ nehmen oder wenigstens einzuschränken, in ihrer Ur. 790 (Sonnabend, den 9. No¬ vember) im hochmütigste» Tone mit ein paar wegwerfenden Bemerkungen ab¬ gethan. Da bleibt uns denn nichts übrig, als sie zu einem förmlichen Widerruf zu zwingen; unsern Lesern gegenüber bedürfen wir keiner Rechtfertigung, aber in den Kreisen, die uns nur vom Hörensagen kennen, dürfen wir — das sind wir der guten Sache schuldig eine solche Fälschung der öffentlichen Mei¬ nung nicht ohne Widerspruch hingehen lassen. Wir werden unsern Zweck am vollständigsten erreichen, wenn wir unser, taufenden von gebildeten Männern bekanntes sozial- und wirtschaftspolitischcs Programm noch einmal ganz kurz Grenzboten IV 1895 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/411>, abgerufen am 27.06.2024.