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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Volksfeste

Klassen und Stände zerrissen, so ist uns doch allen noch die freudige und
sinnige Geselligkeit ein Bedürfnis des Gemüts geblieben. Und daß wir auch
heilte noch im geistigen und körperlichen Wettkampfe der Nationen ein stahl¬
hartes und blankes Schwert zu schwingen wissen, wer wollte das nicht mit
Stolz anerkennen, wenn er sich als Deutscher fühlt?

Damit aber ist auch die gemeinschaftliche Grundlage gegeben, auf der sich
die deutschen Volksfeste zeitgemäß reformiren und zu wahren Volksfesten um¬
gestalten lassen.


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Sehen wir von der Art und Weise ab, wie sich noch vorhcmdne Feste
und Festbräuche aus alten entwickelt haben, indem wir auf die schon erwähnten
Schriften und deren Quellen verweisen, so ergiebt ein Überblick über den
jetzigen Bestand unsrer öffentlichen Feste, daß sie sich nach vier Haupt¬
gesichtspunkten sondern lassen. Wir haben: Verkehrsfeste, zu denen die Jahr¬
märkte und Messen, auch die "Bazare" und namentlich -- als moderne "Er¬
rungenschaften" -- die Ausstellungen aller Art zu rechnen sind; vaterländische
Feste zur Feier geschichtlich denkwürdiger Tage, des Namens- oder Geburts¬
tages der Landesfürsten oder örtlicher Erinnerungstage; athletische und Sport¬
feste, die den Wettkampf zu Pferd, auf dem Rade, Turnen, Schießen, Segeln,
Ballschlagen, Alpensport, körperliche Spiele und ähnliches zum Gegenstande
haben; endlich auch ästhetische Feste zur Pflege einzelner Künste, wie der
Musik, des Gesanges, des Schauspiels, wozu wir auch Kostüm- und Reiter¬
feste, historische Aufzüge und dergleichen rechnen.

Außerhalb dieses Rahmens stehen Feste wie Weihnachten, das sich aus
der Öffentlichkeit ganz in den traulichen Bezirk der Familie zurückgezogen
hat, auch in den Gegenden, die römischer Kultur besonders zugänglich waren,
der Karneval. Wie dieser zu heben und zu veredeln ist, braucht hier um so
weniger erörtert zu werden, als er weder ein allgemeines noch in allen Teilen
"öffentliches" Fest vorstellt. Immerhin mag rühmend erwähnt werden, daß
man in den Gegenden, in denen der Karneval volksbeliebt ist, sich Mühe
giebt, die öffentlichen Aufzüge inhaltsreicher und geschmackvoller zu gestalten.

Ebensowenig dürfte es der Mühe lohnen, an solche Festlichkeiten mit
Reformen heranzutreten, die infolge der veränderten Verhältnisse notwendig
dem Untergange geweiht sind. Dahin gehören vor allen Dingen die Jahr¬
märkte, deren Dasein mit der großen Erleichterung des Verkehrs nur noch
an vereinzelten Orten berechtigt erscheint. Dort aber, wo sie Anhängsel
andrer Festlichkeiten bilden -- die meist kirchlichen Ursprungs sind --, ent¬
ziehen sie sich teils der Einwirkung des Volksfreundes, teils ist zu hoffen,
daß sie, wenn nicht aus andern Gründen, an ihrer eignen Überflüssigkeit zu
Grunde gehen werden. Kirmsen und Kirchweifesteu mag man in einzelnen


Unsre Volksfeste

Klassen und Stände zerrissen, so ist uns doch allen noch die freudige und
sinnige Geselligkeit ein Bedürfnis des Gemüts geblieben. Und daß wir auch
heilte noch im geistigen und körperlichen Wettkampfe der Nationen ein stahl¬
hartes und blankes Schwert zu schwingen wissen, wer wollte das nicht mit
Stolz anerkennen, wenn er sich als Deutscher fühlt?

Damit aber ist auch die gemeinschaftliche Grundlage gegeben, auf der sich
die deutschen Volksfeste zeitgemäß reformiren und zu wahren Volksfesten um¬
gestalten lassen.


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Sehen wir von der Art und Weise ab, wie sich noch vorhcmdne Feste
und Festbräuche aus alten entwickelt haben, indem wir auf die schon erwähnten
Schriften und deren Quellen verweisen, so ergiebt ein Überblick über den
jetzigen Bestand unsrer öffentlichen Feste, daß sie sich nach vier Haupt¬
gesichtspunkten sondern lassen. Wir haben: Verkehrsfeste, zu denen die Jahr¬
märkte und Messen, auch die „Bazare" und namentlich — als moderne „Er¬
rungenschaften" — die Ausstellungen aller Art zu rechnen sind; vaterländische
Feste zur Feier geschichtlich denkwürdiger Tage, des Namens- oder Geburts¬
tages der Landesfürsten oder örtlicher Erinnerungstage; athletische und Sport¬
feste, die den Wettkampf zu Pferd, auf dem Rade, Turnen, Schießen, Segeln,
Ballschlagen, Alpensport, körperliche Spiele und ähnliches zum Gegenstande
haben; endlich auch ästhetische Feste zur Pflege einzelner Künste, wie der
Musik, des Gesanges, des Schauspiels, wozu wir auch Kostüm- und Reiter¬
feste, historische Aufzüge und dergleichen rechnen.

Außerhalb dieses Rahmens stehen Feste wie Weihnachten, das sich aus
der Öffentlichkeit ganz in den traulichen Bezirk der Familie zurückgezogen
hat, auch in den Gegenden, die römischer Kultur besonders zugänglich waren,
der Karneval. Wie dieser zu heben und zu veredeln ist, braucht hier um so
weniger erörtert zu werden, als er weder ein allgemeines noch in allen Teilen
„öffentliches" Fest vorstellt. Immerhin mag rühmend erwähnt werden, daß
man in den Gegenden, in denen der Karneval volksbeliebt ist, sich Mühe
giebt, die öffentlichen Aufzüge inhaltsreicher und geschmackvoller zu gestalten.

Ebensowenig dürfte es der Mühe lohnen, an solche Festlichkeiten mit
Reformen heranzutreten, die infolge der veränderten Verhältnisse notwendig
dem Untergange geweiht sind. Dahin gehören vor allen Dingen die Jahr¬
märkte, deren Dasein mit der großen Erleichterung des Verkehrs nur noch
an vereinzelten Orten berechtigt erscheint. Dort aber, wo sie Anhängsel
andrer Festlichkeiten bilden — die meist kirchlichen Ursprungs sind —, ent¬
ziehen sie sich teils der Einwirkung des Volksfreundes, teils ist zu hoffen,
daß sie, wenn nicht aus andern Gründen, an ihrer eignen Überflüssigkeit zu
Grunde gehen werden. Kirmsen und Kirchweifesteu mag man in einzelnen


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[0397] Unsre Volksfeste Klassen und Stände zerrissen, so ist uns doch allen noch die freudige und sinnige Geselligkeit ein Bedürfnis des Gemüts geblieben. Und daß wir auch heilte noch im geistigen und körperlichen Wettkampfe der Nationen ein stahl¬ hartes und blankes Schwert zu schwingen wissen, wer wollte das nicht mit Stolz anerkennen, wenn er sich als Deutscher fühlt? Damit aber ist auch die gemeinschaftliche Grundlage gegeben, auf der sich die deutschen Volksfeste zeitgemäß reformiren und zu wahren Volksfesten um¬ gestalten lassen. 2 Sehen wir von der Art und Weise ab, wie sich noch vorhcmdne Feste und Festbräuche aus alten entwickelt haben, indem wir auf die schon erwähnten Schriften und deren Quellen verweisen, so ergiebt ein Überblick über den jetzigen Bestand unsrer öffentlichen Feste, daß sie sich nach vier Haupt¬ gesichtspunkten sondern lassen. Wir haben: Verkehrsfeste, zu denen die Jahr¬ märkte und Messen, auch die „Bazare" und namentlich — als moderne „Er¬ rungenschaften" — die Ausstellungen aller Art zu rechnen sind; vaterländische Feste zur Feier geschichtlich denkwürdiger Tage, des Namens- oder Geburts¬ tages der Landesfürsten oder örtlicher Erinnerungstage; athletische und Sport¬ feste, die den Wettkampf zu Pferd, auf dem Rade, Turnen, Schießen, Segeln, Ballschlagen, Alpensport, körperliche Spiele und ähnliches zum Gegenstande haben; endlich auch ästhetische Feste zur Pflege einzelner Künste, wie der Musik, des Gesanges, des Schauspiels, wozu wir auch Kostüm- und Reiter¬ feste, historische Aufzüge und dergleichen rechnen. Außerhalb dieses Rahmens stehen Feste wie Weihnachten, das sich aus der Öffentlichkeit ganz in den traulichen Bezirk der Familie zurückgezogen hat, auch in den Gegenden, die römischer Kultur besonders zugänglich waren, der Karneval. Wie dieser zu heben und zu veredeln ist, braucht hier um so weniger erörtert zu werden, als er weder ein allgemeines noch in allen Teilen „öffentliches" Fest vorstellt. Immerhin mag rühmend erwähnt werden, daß man in den Gegenden, in denen der Karneval volksbeliebt ist, sich Mühe giebt, die öffentlichen Aufzüge inhaltsreicher und geschmackvoller zu gestalten. Ebensowenig dürfte es der Mühe lohnen, an solche Festlichkeiten mit Reformen heranzutreten, die infolge der veränderten Verhältnisse notwendig dem Untergange geweiht sind. Dahin gehören vor allen Dingen die Jahr¬ märkte, deren Dasein mit der großen Erleichterung des Verkehrs nur noch an vereinzelten Orten berechtigt erscheint. Dort aber, wo sie Anhängsel andrer Festlichkeiten bilden — die meist kirchlichen Ursprungs sind —, ent¬ ziehen sie sich teils der Einwirkung des Volksfreundes, teils ist zu hoffen, daß sie, wenn nicht aus andern Gründen, an ihrer eignen Überflüssigkeit zu Grunde gehen werden. Kirmsen und Kirchweifesteu mag man in einzelnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/397>, abgerufen am 27.06.2024.