Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

man der Kunst nie und nimmer eine bestimmte Richtung, die man für be¬
sonders sittlich, erhebend oder erziehend hält, aufnötigen. Noch niemals ist
ihre Entwicklung durch Kultusminister oder Polizeipräsidenten oder katholische
Theologen bestimmt worden. Sie hat sich noch immer selbständig ans den ihr
eignen Lebensbedingungen heraus entwickelt. Möchten sich die maßgebenden
Kreise unsrer Nation mit dem Wesen der Kunst möglichst vertraut machen,
ehe sie versuchen, sie in eine bestimmte Richtung zu drängen, die gänzlich
außerhalb ihres Wirkungskreises liegt.




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
Neue Folge
1^. Schulnöte

er Herr Schulrat Meyerhofer war aus dem Osten der Monarchie
in eine der mittlern Provinzen versetzt worden. Als er seinen Bezirk
bereiste, fand er zu seinem höchsten Erstaunen, daß das Schulwesen
seines neuen Wirkungskreises gar nicht auf der Höhe stehe, die er
> erwartet hatte, ja daß man im Osten der Monarchie eigentlich viel
Zweiter sei als in der Mitte. Er beschloß also gründlich dazwischeu-
Hufnhren und sein Schulwesen in Schwung zu bringen.

Ju dieser löblichen Absicht erschien er eines Morgens fast noch vor Tage im
^farrhnuse zu Affichen. Der Herr Pfarrer saß mit der langen Pfeife beim Kaffee
und war tödlich erschrocken, als der fremde Herr gemeldet wurde. Die gute Stube
War nicht geheizt, die Wohnstube wurde gerade gekehrt, das Studirzimmer war
^hr wenig einladend, und er selbst im Schlafrock und unrasirt. Der Herr Pastor
suchte in seinem Geiste nach einem rettenden Auswege, als der fremde Herr schon
Treppe heraufgcstnmpst kam und die Frau Pastorin laut redend beschwichtigte,
'"'e einer, der zu befehlen gewöhnt ist. Das ist der neue Herr Schulrat, sagte
steh der Pastor. Er war es wirklich, ein grau melirter Herr, Haar, Bart, Über-
^her. Hose und Aktentasche -- alles grau meurt. Der Herr Pastor setzte eiligst
l°'"e Pfeife beiseite und suchte seine Brille.

Guten Morgen, Herr Pfarrer, sagte der fremde Herr, ich bin der Schulrat
Meyerhofer und bitte um Entschuldigung, daß ich schon so früh störe. Ich komme
'"°gen Ihres Lehrers Schluck.

Herr Gott, auch das "och! seufzte der Pastor in seiner Seele und nötigte
ö-M'rü Schulrat mit einem Eiser aufs Sofa, als wenn davon das Wohl der
"Wen zehn Jahre abhinge. Die Frau Pastorin kam mit Kaffee um, deu der


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

man der Kunst nie und nimmer eine bestimmte Richtung, die man für be¬
sonders sittlich, erhebend oder erziehend hält, aufnötigen. Noch niemals ist
ihre Entwicklung durch Kultusminister oder Polizeipräsidenten oder katholische
Theologen bestimmt worden. Sie hat sich noch immer selbständig ans den ihr
eignen Lebensbedingungen heraus entwickelt. Möchten sich die maßgebenden
Kreise unsrer Nation mit dem Wesen der Kunst möglichst vertraut machen,
ehe sie versuchen, sie in eine bestimmte Richtung zu drängen, die gänzlich
außerhalb ihres Wirkungskreises liegt.




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
Neue Folge
1^. Schulnöte

er Herr Schulrat Meyerhofer war aus dem Osten der Monarchie
in eine der mittlern Provinzen versetzt worden. Als er seinen Bezirk
bereiste, fand er zu seinem höchsten Erstaunen, daß das Schulwesen
seines neuen Wirkungskreises gar nicht auf der Höhe stehe, die er
> erwartet hatte, ja daß man im Osten der Monarchie eigentlich viel
Zweiter sei als in der Mitte. Er beschloß also gründlich dazwischeu-
Hufnhren und sein Schulwesen in Schwung zu bringen.

Ju dieser löblichen Absicht erschien er eines Morgens fast noch vor Tage im
^farrhnuse zu Affichen. Der Herr Pfarrer saß mit der langen Pfeife beim Kaffee
und war tödlich erschrocken, als der fremde Herr gemeldet wurde. Die gute Stube
War nicht geheizt, die Wohnstube wurde gerade gekehrt, das Studirzimmer war
^hr wenig einladend, und er selbst im Schlafrock und unrasirt. Der Herr Pastor
suchte in seinem Geiste nach einem rettenden Auswege, als der fremde Herr schon
Treppe heraufgcstnmpst kam und die Frau Pastorin laut redend beschwichtigte,
'"'e einer, der zu befehlen gewöhnt ist. Das ist der neue Herr Schulrat, sagte
steh der Pastor. Er war es wirklich, ein grau melirter Herr, Haar, Bart, Über-
^her. Hose und Aktentasche — alles grau meurt. Der Herr Pastor setzte eiligst
l°'"e Pfeife beiseite und suchte seine Brille.

Guten Morgen, Herr Pfarrer, sagte der fremde Herr, ich bin der Schulrat
Meyerhofer und bitte um Entschuldigung, daß ich schon so früh störe. Ich komme
'»°gen Ihres Lehrers Schluck.

Herr Gott, auch das «och! seufzte der Pastor in seiner Seele und nötigte
ö-M'rü Schulrat mit einem Eiser aufs Sofa, als wenn davon das Wohl der
"Wen zehn Jahre abhinge. Die Frau Pastorin kam mit Kaffee um, deu der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221215"/>
          <fw type="header" place="top"> Skizzen aus unserm heutigen Volksleben</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_709" prev="#ID_708"> man der Kunst nie und nimmer eine bestimmte Richtung, die man für be¬<lb/>
sonders sittlich, erhebend oder erziehend hält, aufnötigen. Noch niemals ist<lb/>
ihre Entwicklung durch Kultusminister oder Polizeipräsidenten oder katholische<lb/>
Theologen bestimmt worden. Sie hat sich noch immer selbständig ans den ihr<lb/>
eignen Lebensbedingungen heraus entwickelt. Möchten sich die maßgebenden<lb/>
Kreise unsrer Nation mit dem Wesen der Kunst möglichst vertraut machen,<lb/>
ehe sie versuchen, sie in eine bestimmte Richtung zu drängen, die gänzlich<lb/>
außerhalb ihres Wirkungskreises liegt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Skizzen aus unserm heutigen Volksleben<lb/><note type="byline"> Fritz Anders</note> von<lb/>
Neue Folge<lb/>
1^. Schulnöte</head><lb/>
          <p xml:id="ID_710"> er Herr Schulrat Meyerhofer war aus dem Osten der Monarchie<lb/>
in eine der mittlern Provinzen versetzt worden. Als er seinen Bezirk<lb/>
bereiste, fand er zu seinem höchsten Erstaunen, daß das Schulwesen<lb/>
seines neuen Wirkungskreises gar nicht auf der Höhe stehe, die er<lb/>
&gt; erwartet hatte, ja daß man im Osten der Monarchie eigentlich viel<lb/>
Zweiter sei als in der Mitte. Er beschloß also gründlich dazwischeu-<lb/>
Hufnhren und sein Schulwesen in Schwung zu bringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_711"> Ju dieser löblichen Absicht erschien er eines Morgens fast noch vor Tage im<lb/>
^farrhnuse zu Affichen. Der Herr Pfarrer saß mit der langen Pfeife beim Kaffee<lb/>
und war tödlich erschrocken, als der fremde Herr gemeldet wurde. Die gute Stube<lb/>
War nicht geheizt, die Wohnstube wurde gerade gekehrt, das Studirzimmer war<lb/>
^hr wenig einladend, und er selbst im Schlafrock und unrasirt. Der Herr Pastor<lb/>
suchte in seinem Geiste nach einem rettenden Auswege, als der fremde Herr schon<lb/>
Treppe heraufgcstnmpst kam und die Frau Pastorin laut redend beschwichtigte,<lb/>
'"'e einer, der zu befehlen gewöhnt ist. Das ist der neue Herr Schulrat, sagte<lb/>
steh der Pastor. Er war es wirklich, ein grau melirter Herr, Haar, Bart, Über-<lb/>
^her. Hose und Aktentasche &#x2014; alles grau meurt. Der Herr Pastor setzte eiligst<lb/>
l°'"e Pfeife beiseite und suchte seine Brille.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_712"> Guten Morgen, Herr Pfarrer, sagte der fremde Herr, ich bin der Schulrat<lb/>
Meyerhofer und bitte um Entschuldigung, daß ich schon so früh störe. Ich komme<lb/>
'»°gen Ihres Lehrers Schluck.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_713" next="#ID_714"> Herr Gott, auch das «och! seufzte der Pastor in seiner Seele und nötigte<lb/>
ö-M'rü Schulrat mit einem Eiser aufs Sofa, als wenn davon das Wohl der<lb/>
"Wen zehn Jahre abhinge.  Die Frau Pastorin kam mit Kaffee um, deu der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0239] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben man der Kunst nie und nimmer eine bestimmte Richtung, die man für be¬ sonders sittlich, erhebend oder erziehend hält, aufnötigen. Noch niemals ist ihre Entwicklung durch Kultusminister oder Polizeipräsidenten oder katholische Theologen bestimmt worden. Sie hat sich noch immer selbständig ans den ihr eignen Lebensbedingungen heraus entwickelt. Möchten sich die maßgebenden Kreise unsrer Nation mit dem Wesen der Kunst möglichst vertraut machen, ehe sie versuchen, sie in eine bestimmte Richtung zu drängen, die gänzlich außerhalb ihres Wirkungskreises liegt. Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Fritz Anders von Neue Folge 1^. Schulnöte er Herr Schulrat Meyerhofer war aus dem Osten der Monarchie in eine der mittlern Provinzen versetzt worden. Als er seinen Bezirk bereiste, fand er zu seinem höchsten Erstaunen, daß das Schulwesen seines neuen Wirkungskreises gar nicht auf der Höhe stehe, die er > erwartet hatte, ja daß man im Osten der Monarchie eigentlich viel Zweiter sei als in der Mitte. Er beschloß also gründlich dazwischeu- Hufnhren und sein Schulwesen in Schwung zu bringen. Ju dieser löblichen Absicht erschien er eines Morgens fast noch vor Tage im ^farrhnuse zu Affichen. Der Herr Pfarrer saß mit der langen Pfeife beim Kaffee und war tödlich erschrocken, als der fremde Herr gemeldet wurde. Die gute Stube War nicht geheizt, die Wohnstube wurde gerade gekehrt, das Studirzimmer war ^hr wenig einladend, und er selbst im Schlafrock und unrasirt. Der Herr Pastor suchte in seinem Geiste nach einem rettenden Auswege, als der fremde Herr schon Treppe heraufgcstnmpst kam und die Frau Pastorin laut redend beschwichtigte, '"'e einer, der zu befehlen gewöhnt ist. Das ist der neue Herr Schulrat, sagte steh der Pastor. Er war es wirklich, ein grau melirter Herr, Haar, Bart, Über- ^her. Hose und Aktentasche — alles grau meurt. Der Herr Pastor setzte eiligst l°'"e Pfeife beiseite und suchte seine Brille. Guten Morgen, Herr Pfarrer, sagte der fremde Herr, ich bin der Schulrat Meyerhofer und bitte um Entschuldigung, daß ich schon so früh störe. Ich komme '»°gen Ihres Lehrers Schluck. Herr Gott, auch das «och! seufzte der Pastor in seiner Seele und nötigte ö-M'rü Schulrat mit einem Eiser aufs Sofa, als wenn davon das Wohl der "Wen zehn Jahre abhinge. Die Frau Pastorin kam mit Kaffee um, deu der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/239
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/239>, abgerufen am 27.06.2024.