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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Heimat und volkstum

sich wohl gerade die tüchtigen und wohlhabenden Meister, mehr noch in andern
Gewerben als in der Schufterei, aus Leibeskräften wehren, und die Wieder¬
erweckung der Lassallescheu Idee, die Genossenschaften mit Staatsmitteln zu
unterstützen, wird zunächst bei den Finanzministern auf entschlossenen Wider¬
stand stoßen. Aber daß es die Handwerker in größeren Umfange als bisher
mit genossenschaftlicher Selbsthilfe versuche" müssen, ist eine ganz selbstverständ¬
liche Forderung, der heutzutage wohl niemand mehr widerspricht. Leider fehlt,
wie auch die "Untersuchungen" vielfach hervorheben, das beste dazu: der Ge-
uosscuschaftsgeist. Erstens haben die meisten Handwerker gar keine Lust, an¬
zufangen: der Staat soll ihnen die Genossenschaft, die doch nur ihr eignes
Werk sein konnte, fertig machen. Dann haben die kleinen, die die Genossen¬
schaft am nötigsten brauchen, nicht die Mittel dazu, die größern aber, die fest
ans ihren eignen Füßen stehen, desto weniger Lust, sich sür ihre ärmern Ge¬
nossen aufzuopfern, je mehr sie Mittel haben. Und kommt irgendwo eine Ge¬
nossenschaft zu stände, dann geht es gewöhnlich, wie wir schon gesagt haben:
die energischen und tüchtigen Mitglieder stoßen nach und nach die schwächern
ab und verspeisen die Frucht der Gründung allein. Trotz alledem müssen die
Handwerker zu neuen Genossenschaftsgründnngen unermüdlich aufgemuntert
werden, und anch auf diesem Gebiete muß die Losung bleiben: was gemacht
werden kann, wird gemacht. Nur eben die Hauptsache -- an es noch einmal
zu wiederholen ^ kann durch Geuosseuschnftsgründuiig nicht gemacht werden,
weder fürs Handwerk, noch für einen andern Stand.




Heimat und Volkstum

n deutschen Großstädten begegnet man gelegentlich Volksschul-
klassen, Knaben wie Mädchen, die, von ihren Lehrern geführt,
zwar in Reih und Glied, aber sonst ziemlich zwanglos dahin-
marschieren und hin und wieder, sei es vor einem Gebände
oder vor einem Denkmal, Halt machen, um von dem Lehrer be¬
fragt zu werden oder Aufklärungen zu erhalten. Man merkt bald, daß da
Anschauungsunterricht in der Heimatkunde erteilt wird. Daß ein solcher
Unterricht nötig ist, weiß jeder, der längere Zeit in einer Großstadt gelebt
hat. Man trifft dort, wenn man sich nach irgendeiner städtischen Merkwürdig¬
keit erkundigt, oft auf eine erstaunliche Unkenntnis der eignen Heimat; der
fremde Reisende ist, wen" er die ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmittel


Heimat und volkstum

sich wohl gerade die tüchtigen und wohlhabenden Meister, mehr noch in andern
Gewerben als in der Schufterei, aus Leibeskräften wehren, und die Wieder¬
erweckung der Lassallescheu Idee, die Genossenschaften mit Staatsmitteln zu
unterstützen, wird zunächst bei den Finanzministern auf entschlossenen Wider¬
stand stoßen. Aber daß es die Handwerker in größeren Umfange als bisher
mit genossenschaftlicher Selbsthilfe versuche» müssen, ist eine ganz selbstverständ¬
liche Forderung, der heutzutage wohl niemand mehr widerspricht. Leider fehlt,
wie auch die „Untersuchungen" vielfach hervorheben, das beste dazu: der Ge-
uosscuschaftsgeist. Erstens haben die meisten Handwerker gar keine Lust, an¬
zufangen: der Staat soll ihnen die Genossenschaft, die doch nur ihr eignes
Werk sein konnte, fertig machen. Dann haben die kleinen, die die Genossen¬
schaft am nötigsten brauchen, nicht die Mittel dazu, die größern aber, die fest
ans ihren eignen Füßen stehen, desto weniger Lust, sich sür ihre ärmern Ge¬
nossen aufzuopfern, je mehr sie Mittel haben. Und kommt irgendwo eine Ge¬
nossenschaft zu stände, dann geht es gewöhnlich, wie wir schon gesagt haben:
die energischen und tüchtigen Mitglieder stoßen nach und nach die schwächern
ab und verspeisen die Frucht der Gründung allein. Trotz alledem müssen die
Handwerker zu neuen Genossenschaftsgründnngen unermüdlich aufgemuntert
werden, und anch auf diesem Gebiete muß die Losung bleiben: was gemacht
werden kann, wird gemacht. Nur eben die Hauptsache — an es noch einmal
zu wiederholen ^ kann durch Geuosseuschnftsgründuiig nicht gemacht werden,
weder fürs Handwerk, noch für einen andern Stand.




Heimat und Volkstum

n deutschen Großstädten begegnet man gelegentlich Volksschul-
klassen, Knaben wie Mädchen, die, von ihren Lehrern geführt,
zwar in Reih und Glied, aber sonst ziemlich zwanglos dahin-
marschieren und hin und wieder, sei es vor einem Gebände
oder vor einem Denkmal, Halt machen, um von dem Lehrer be¬
fragt zu werden oder Aufklärungen zu erhalten. Man merkt bald, daß da
Anschauungsunterricht in der Heimatkunde erteilt wird. Daß ein solcher
Unterricht nötig ist, weiß jeder, der längere Zeit in einer Großstadt gelebt
hat. Man trifft dort, wenn man sich nach irgendeiner städtischen Merkwürdig¬
keit erkundigt, oft auf eine erstaunliche Unkenntnis der eignen Heimat; der
fremde Reisende ist, wen» er die ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmittel


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[0180] Heimat und volkstum sich wohl gerade die tüchtigen und wohlhabenden Meister, mehr noch in andern Gewerben als in der Schufterei, aus Leibeskräften wehren, und die Wieder¬ erweckung der Lassallescheu Idee, die Genossenschaften mit Staatsmitteln zu unterstützen, wird zunächst bei den Finanzministern auf entschlossenen Wider¬ stand stoßen. Aber daß es die Handwerker in größeren Umfange als bisher mit genossenschaftlicher Selbsthilfe versuche» müssen, ist eine ganz selbstverständ¬ liche Forderung, der heutzutage wohl niemand mehr widerspricht. Leider fehlt, wie auch die „Untersuchungen" vielfach hervorheben, das beste dazu: der Ge- uosscuschaftsgeist. Erstens haben die meisten Handwerker gar keine Lust, an¬ zufangen: der Staat soll ihnen die Genossenschaft, die doch nur ihr eignes Werk sein konnte, fertig machen. Dann haben die kleinen, die die Genossen¬ schaft am nötigsten brauchen, nicht die Mittel dazu, die größern aber, die fest ans ihren eignen Füßen stehen, desto weniger Lust, sich sür ihre ärmern Ge¬ nossen aufzuopfern, je mehr sie Mittel haben. Und kommt irgendwo eine Ge¬ nossenschaft zu stände, dann geht es gewöhnlich, wie wir schon gesagt haben: die energischen und tüchtigen Mitglieder stoßen nach und nach die schwächern ab und verspeisen die Frucht der Gründung allein. Trotz alledem müssen die Handwerker zu neuen Genossenschaftsgründnngen unermüdlich aufgemuntert werden, und anch auf diesem Gebiete muß die Losung bleiben: was gemacht werden kann, wird gemacht. Nur eben die Hauptsache — an es noch einmal zu wiederholen ^ kann durch Geuosseuschnftsgründuiig nicht gemacht werden, weder fürs Handwerk, noch für einen andern Stand. Heimat und Volkstum n deutschen Großstädten begegnet man gelegentlich Volksschul- klassen, Knaben wie Mädchen, die, von ihren Lehrern geführt, zwar in Reih und Glied, aber sonst ziemlich zwanglos dahin- marschieren und hin und wieder, sei es vor einem Gebände oder vor einem Denkmal, Halt machen, um von dem Lehrer be¬ fragt zu werden oder Aufklärungen zu erhalten. Man merkt bald, daß da Anschauungsunterricht in der Heimatkunde erteilt wird. Daß ein solcher Unterricht nötig ist, weiß jeder, der längere Zeit in einer Großstadt gelebt hat. Man trifft dort, wenn man sich nach irgendeiner städtischen Merkwürdig¬ keit erkundigt, oft auf eine erstaunliche Unkenntnis der eignen Heimat; der fremde Reisende ist, wen» er die ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmittel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/180>, abgerufen am 27.06.2024.