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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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spricht sich für einen Zensus aus. Aus diesen Reden läßt sich wohl noch
heute etwas lernen. Im ganzen aber findet, wie gesagt, unser politisches Inter¬
esse seine Rechnung nicht mehr dabei.

Eine andre Frage wäre, öl> sie als Erscheinungen der Redekunst, als
Muster für uns einen Wert hätten. Der Herausgeber hat den Biographien der
einzelnen Redner in dieser Hinsicht immer einige bezeichnende Bemerkungen.
gut gewählte Zeugnisse oder dergleichen hinzugefügt. Es ist ja keine Frage,
daß sich hier viel mehr Individualität ausspricht, als in unsrer heutigen Par¬
lamentssprache. Auch eine feste Form giebt sich bei manchen Rednern zu er¬
kennen, z. B. bei Vincke aus Hagen oder bei Dahlmann. Aber an die Hal¬
tung der bessern englischen Parlamentsreden reichen sie doch nicht hinan, und
viele sind nnr wohlgesetzte, ganz persönlich gehaltne Augeublicksergüsse. Alles
in allem genommen, haben wir an ihnen doch nur eine -- immer noch recht
unterhaltende -- Lektüre, unterhaltend schon im Hinblick auf die vielen damals
in Umlauf gesetzten geflügelten Worte, wie Arndts gutes, altes deutsches Ge¬
wissen, Uhlands Tropfen demokratischen Öls oder Vinckes durchlöcherten Rechts¬
boden.

Ein Teil der Männer, die in Frankfurt geredet haben, hatte auch dem
Vereinigten Landtag angehört, der ein Jahr früher zum erstenmale in Preußen
zusammengetreten war. Die Verhandlungen waren dort von viel größerer
sachlicher Bedeutung, die Gegenstände greifbarer, die Ziele klarer und be¬
stimmter. Es war das wohl die tüchtigste, jedenfalls eine der interessantesten
Versammlungen politisch tagender Männer, die Deutschland gesehen hat. Der
Herausgeber würde sich ein Verdienst erwerben, wenn er die Verhandlungen
dieses ersten Vereinigten Landtags von 1847 zu einem handliche Buche, etwa
in der oben angedeuteten Weise, verarbeite" wollte.


Adolf philippi


Verfehlter Anschluß
(Schluß)

s wurde immer lauter in dem Zelte, den Festreden wurde keine
rechte Aufmerksamkeit mehr geschenkt, Fräulein Schlömilch hörte
auf, Heinrichs Unterhaltung zu stören, sie sing an, Herrn Schuckerts
Lebensstellung doch ganz interessant zu finden, die Frau Super-
iuteudentiu an Heinrichs Seite verzichtete ans eine lustige Ecke
und hörte, wie halb im Traum über die Tafeln blickend, un¬
aufmerksam den langweiligen Erörterungen ihres Tischherrn, des Knudidateu


verfehlter Anschluß

spricht sich für einen Zensus aus. Aus diesen Reden läßt sich wohl noch
heute etwas lernen. Im ganzen aber findet, wie gesagt, unser politisches Inter¬
esse seine Rechnung nicht mehr dabei.

Eine andre Frage wäre, öl> sie als Erscheinungen der Redekunst, als
Muster für uns einen Wert hätten. Der Herausgeber hat den Biographien der
einzelnen Redner in dieser Hinsicht immer einige bezeichnende Bemerkungen.
gut gewählte Zeugnisse oder dergleichen hinzugefügt. Es ist ja keine Frage,
daß sich hier viel mehr Individualität ausspricht, als in unsrer heutigen Par¬
lamentssprache. Auch eine feste Form giebt sich bei manchen Rednern zu er¬
kennen, z. B. bei Vincke aus Hagen oder bei Dahlmann. Aber an die Hal¬
tung der bessern englischen Parlamentsreden reichen sie doch nicht hinan, und
viele sind nnr wohlgesetzte, ganz persönlich gehaltne Augeublicksergüsse. Alles
in allem genommen, haben wir an ihnen doch nur eine — immer noch recht
unterhaltende — Lektüre, unterhaltend schon im Hinblick auf die vielen damals
in Umlauf gesetzten geflügelten Worte, wie Arndts gutes, altes deutsches Ge¬
wissen, Uhlands Tropfen demokratischen Öls oder Vinckes durchlöcherten Rechts¬
boden.

Ein Teil der Männer, die in Frankfurt geredet haben, hatte auch dem
Vereinigten Landtag angehört, der ein Jahr früher zum erstenmale in Preußen
zusammengetreten war. Die Verhandlungen waren dort von viel größerer
sachlicher Bedeutung, die Gegenstände greifbarer, die Ziele klarer und be¬
stimmter. Es war das wohl die tüchtigste, jedenfalls eine der interessantesten
Versammlungen politisch tagender Männer, die Deutschland gesehen hat. Der
Herausgeber würde sich ein Verdienst erwerben, wenn er die Verhandlungen
dieses ersten Vereinigten Landtags von 1847 zu einem handliche Buche, etwa
in der oben angedeuteten Weise, verarbeite» wollte.


Adolf philippi


Verfehlter Anschluß
(Schluß)

s wurde immer lauter in dem Zelte, den Festreden wurde keine
rechte Aufmerksamkeit mehr geschenkt, Fräulein Schlömilch hörte
auf, Heinrichs Unterhaltung zu stören, sie sing an, Herrn Schuckerts
Lebensstellung doch ganz interessant zu finden, die Frau Super-
iuteudentiu an Heinrichs Seite verzichtete ans eine lustige Ecke
und hörte, wie halb im Traum über die Tafeln blickend, un¬
aufmerksam den langweiligen Erörterungen ihres Tischherrn, des Knudidateu


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[0141] verfehlter Anschluß spricht sich für einen Zensus aus. Aus diesen Reden läßt sich wohl noch heute etwas lernen. Im ganzen aber findet, wie gesagt, unser politisches Inter¬ esse seine Rechnung nicht mehr dabei. Eine andre Frage wäre, öl> sie als Erscheinungen der Redekunst, als Muster für uns einen Wert hätten. Der Herausgeber hat den Biographien der einzelnen Redner in dieser Hinsicht immer einige bezeichnende Bemerkungen. gut gewählte Zeugnisse oder dergleichen hinzugefügt. Es ist ja keine Frage, daß sich hier viel mehr Individualität ausspricht, als in unsrer heutigen Par¬ lamentssprache. Auch eine feste Form giebt sich bei manchen Rednern zu er¬ kennen, z. B. bei Vincke aus Hagen oder bei Dahlmann. Aber an die Hal¬ tung der bessern englischen Parlamentsreden reichen sie doch nicht hinan, und viele sind nnr wohlgesetzte, ganz persönlich gehaltne Augeublicksergüsse. Alles in allem genommen, haben wir an ihnen doch nur eine — immer noch recht unterhaltende — Lektüre, unterhaltend schon im Hinblick auf die vielen damals in Umlauf gesetzten geflügelten Worte, wie Arndts gutes, altes deutsches Ge¬ wissen, Uhlands Tropfen demokratischen Öls oder Vinckes durchlöcherten Rechts¬ boden. Ein Teil der Männer, die in Frankfurt geredet haben, hatte auch dem Vereinigten Landtag angehört, der ein Jahr früher zum erstenmale in Preußen zusammengetreten war. Die Verhandlungen waren dort von viel größerer sachlicher Bedeutung, die Gegenstände greifbarer, die Ziele klarer und be¬ stimmter. Es war das wohl die tüchtigste, jedenfalls eine der interessantesten Versammlungen politisch tagender Männer, die Deutschland gesehen hat. Der Herausgeber würde sich ein Verdienst erwerben, wenn er die Verhandlungen dieses ersten Vereinigten Landtags von 1847 zu einem handliche Buche, etwa in der oben angedeuteten Weise, verarbeite» wollte. Adolf philippi Verfehlter Anschluß (Schluß) s wurde immer lauter in dem Zelte, den Festreden wurde keine rechte Aufmerksamkeit mehr geschenkt, Fräulein Schlömilch hörte auf, Heinrichs Unterhaltung zu stören, sie sing an, Herrn Schuckerts Lebensstellung doch ganz interessant zu finden, die Frau Super- iuteudentiu an Heinrichs Seite verzichtete ans eine lustige Ecke und hörte, wie halb im Traum über die Tafeln blickend, un¬ aufmerksam den langweiligen Erörterungen ihres Tischherrn, des Knudidateu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/141>, abgerufen am 27.06.2024.