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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der erste Beste

11

Früher als gewöhnlich und ungewcckt erwachte Margarete am andern
Morgen. Ein verworrener Strom ängstlicher, froher, hoffnungsvoller, zärt¬
licher Empfindungen überflutete ihre Seele. Wilh war doch Schönes?

Sie richtete sich hastig auf und war nun mit einemmal hell munter.
Ach, nichts Schönes war. Es sollte erst kommen. Und sie hatte noch eben
geträumt --

Das Bett rede" ihr war leer, wie jeden Morgen.

Ich weiß nicht einmal, wann er aussteht, sagte sie leise; ich weiß nicht,
was er thut bis zum Frühstück, bis wir uns zuerst sehen.

Als sie die Treppe hinunterging, schlug ihr das Herz so schwer und ge¬
waltthätig, daß sie stehen bleiben mußte. Sie drückte die kleine Faust auf die
Stelle, als ob sie es damit an seinem Platz festhalten könne. Zögernd ging
sie weiter; zögernd trat sie ins Speisezimmer. Es war aber niemand drinnen.
Doch; zur geöffneten Verandathür trat Fritz herein, der da gestanden haben
mochte.

Ängstlich forschte sie in seinem Gesicht, als er ans sie zukam. Er hatte
aber ganz die gleichmütig freundliche Miene wie sonst; nichts mehr voll der
weichen Sorglichkeit, die sie gestern Abend so ergriffen hatte. Wenn du nicht
sprichst, so stand es in diesen Angen zu lesen -- ich frage uicht; ich kann
warten.

Du schon auf? sagte er nur erstaunt. Er schüttelte ihr die Hand, die
sie ihm zaghaft hingestreckt hatte. Wie fühlst du dich denn, Kind?

Besser; ganz gut, versicherte sie.

Das freut mich. Gut übrigens, daß ich dich noch sehe -- ich bin nämlich
im Begriff, wegzureiten, muß nach Neuenwerth, zu Sternfeldts -- da können
wir gleich noch besprechen, was ich mir ausgedacht habe. Gewiß wird es
deinen Beifall finden. Ich denke sogar, deinen Wünschen damit zuvorzu¬
kommen -- kurz, wie wärs, wenn du nach Berlin führest, um deine Eltern
zu besuchen?

Margarete erschrak heftig; sie fühlte ordentlich, wie bei dem Schauer, der
sie überlief, ihr Gesicht kalt wurde. Es ist also schou zu spät, fuhr es durch
sie hin, er giebt es auf.

Du schickst mich weg? fragte sie mit schwacher Stimme.

Er schüttelte den Kopf.

Du schickst mich weg, wiederholte er lächelnd. Das klingt nach wunder
was. Du bist doch noch ein bischen nervös. Ich schicke dich nicht weg. Ich
mache dir nur einen giltgemeinten Vorschlag. Du hast doch gewiß Sehnsucht
nach deiner Mutter; möchtest dich einmal mit ihr ausplaudern. Das solltest
du thun. Du bist auch nicht ganz wohl; da könntest du dir ebenfalls ge¬
eigneten Rat holen. Ich finde das ganz hübsch und annehmbar. Aber du
schüttelst immerfort den Kopf --

Thu es nicht, bat sie leise, ängstlich, die Angen unverwandt auf sein
ruhiges Gesicht geheftet. Thu es noch nicht. Schick mich -- warte noch
damit. Hab noch eine Weile Geduld.

Liebes Kind -- er sah an sich nieder und klopfte mit der Reitgerte ein
Paarmal leicht an seine Stiefel -- ich denke, mit Ungeduld hab ich dich bisher
nicht gequält.


Der erste Beste

11

Früher als gewöhnlich und ungewcckt erwachte Margarete am andern
Morgen. Ein verworrener Strom ängstlicher, froher, hoffnungsvoller, zärt¬
licher Empfindungen überflutete ihre Seele. Wilh war doch Schönes?

Sie richtete sich hastig auf und war nun mit einemmal hell munter.
Ach, nichts Schönes war. Es sollte erst kommen. Und sie hatte noch eben
geträumt —

Das Bett rede» ihr war leer, wie jeden Morgen.

Ich weiß nicht einmal, wann er aussteht, sagte sie leise; ich weiß nicht,
was er thut bis zum Frühstück, bis wir uns zuerst sehen.

Als sie die Treppe hinunterging, schlug ihr das Herz so schwer und ge¬
waltthätig, daß sie stehen bleiben mußte. Sie drückte die kleine Faust auf die
Stelle, als ob sie es damit an seinem Platz festhalten könne. Zögernd ging
sie weiter; zögernd trat sie ins Speisezimmer. Es war aber niemand drinnen.
Doch; zur geöffneten Verandathür trat Fritz herein, der da gestanden haben
mochte.

Ängstlich forschte sie in seinem Gesicht, als er ans sie zukam. Er hatte
aber ganz die gleichmütig freundliche Miene wie sonst; nichts mehr voll der
weichen Sorglichkeit, die sie gestern Abend so ergriffen hatte. Wenn du nicht
sprichst, so stand es in diesen Angen zu lesen — ich frage uicht; ich kann
warten.

Du schon auf? sagte er nur erstaunt. Er schüttelte ihr die Hand, die
sie ihm zaghaft hingestreckt hatte. Wie fühlst du dich denn, Kind?

Besser; ganz gut, versicherte sie.

Das freut mich. Gut übrigens, daß ich dich noch sehe — ich bin nämlich
im Begriff, wegzureiten, muß nach Neuenwerth, zu Sternfeldts — da können
wir gleich noch besprechen, was ich mir ausgedacht habe. Gewiß wird es
deinen Beifall finden. Ich denke sogar, deinen Wünschen damit zuvorzu¬
kommen — kurz, wie wärs, wenn du nach Berlin führest, um deine Eltern
zu besuchen?

Margarete erschrak heftig; sie fühlte ordentlich, wie bei dem Schauer, der
sie überlief, ihr Gesicht kalt wurde. Es ist also schou zu spät, fuhr es durch
sie hin, er giebt es auf.

Du schickst mich weg? fragte sie mit schwacher Stimme.

Er schüttelte den Kopf.

Du schickst mich weg, wiederholte er lächelnd. Das klingt nach wunder
was. Du bist doch noch ein bischen nervös. Ich schicke dich nicht weg. Ich
mache dir nur einen giltgemeinten Vorschlag. Du hast doch gewiß Sehnsucht
nach deiner Mutter; möchtest dich einmal mit ihr ausplaudern. Das solltest
du thun. Du bist auch nicht ganz wohl; da könntest du dir ebenfalls ge¬
eigneten Rat holen. Ich finde das ganz hübsch und annehmbar. Aber du
schüttelst immerfort den Kopf —

Thu es nicht, bat sie leise, ängstlich, die Angen unverwandt auf sein
ruhiges Gesicht geheftet. Thu es noch nicht. Schick mich — warte noch
damit. Hab noch eine Weile Geduld.

Liebes Kind — er sah an sich nieder und klopfte mit der Reitgerte ein
Paarmal leicht an seine Stiefel — ich denke, mit Ungeduld hab ich dich bisher
nicht gequält.


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[0630] Der erste Beste 11 Früher als gewöhnlich und ungewcckt erwachte Margarete am andern Morgen. Ein verworrener Strom ängstlicher, froher, hoffnungsvoller, zärt¬ licher Empfindungen überflutete ihre Seele. Wilh war doch Schönes? Sie richtete sich hastig auf und war nun mit einemmal hell munter. Ach, nichts Schönes war. Es sollte erst kommen. Und sie hatte noch eben geträumt — Das Bett rede» ihr war leer, wie jeden Morgen. Ich weiß nicht einmal, wann er aussteht, sagte sie leise; ich weiß nicht, was er thut bis zum Frühstück, bis wir uns zuerst sehen. Als sie die Treppe hinunterging, schlug ihr das Herz so schwer und ge¬ waltthätig, daß sie stehen bleiben mußte. Sie drückte die kleine Faust auf die Stelle, als ob sie es damit an seinem Platz festhalten könne. Zögernd ging sie weiter; zögernd trat sie ins Speisezimmer. Es war aber niemand drinnen. Doch; zur geöffneten Verandathür trat Fritz herein, der da gestanden haben mochte. Ängstlich forschte sie in seinem Gesicht, als er ans sie zukam. Er hatte aber ganz die gleichmütig freundliche Miene wie sonst; nichts mehr voll der weichen Sorglichkeit, die sie gestern Abend so ergriffen hatte. Wenn du nicht sprichst, so stand es in diesen Angen zu lesen — ich frage uicht; ich kann warten. Du schon auf? sagte er nur erstaunt. Er schüttelte ihr die Hand, die sie ihm zaghaft hingestreckt hatte. Wie fühlst du dich denn, Kind? Besser; ganz gut, versicherte sie. Das freut mich. Gut übrigens, daß ich dich noch sehe — ich bin nämlich im Begriff, wegzureiten, muß nach Neuenwerth, zu Sternfeldts — da können wir gleich noch besprechen, was ich mir ausgedacht habe. Gewiß wird es deinen Beifall finden. Ich denke sogar, deinen Wünschen damit zuvorzu¬ kommen — kurz, wie wärs, wenn du nach Berlin führest, um deine Eltern zu besuchen? Margarete erschrak heftig; sie fühlte ordentlich, wie bei dem Schauer, der sie überlief, ihr Gesicht kalt wurde. Es ist also schou zu spät, fuhr es durch sie hin, er giebt es auf. Du schickst mich weg? fragte sie mit schwacher Stimme. Er schüttelte den Kopf. Du schickst mich weg, wiederholte er lächelnd. Das klingt nach wunder was. Du bist doch noch ein bischen nervös. Ich schicke dich nicht weg. Ich mache dir nur einen giltgemeinten Vorschlag. Du hast doch gewiß Sehnsucht nach deiner Mutter; möchtest dich einmal mit ihr ausplaudern. Das solltest du thun. Du bist auch nicht ganz wohl; da könntest du dir ebenfalls ge¬ eigneten Rat holen. Ich finde das ganz hübsch und annehmbar. Aber du schüttelst immerfort den Kopf — Thu es nicht, bat sie leise, ängstlich, die Angen unverwandt auf sein ruhiges Gesicht geheftet. Thu es noch nicht. Schick mich — warte noch damit. Hab noch eine Weile Geduld. Liebes Kind — er sah an sich nieder und klopfte mit der Reitgerte ein Paarmal leicht an seine Stiefel — ich denke, mit Ungeduld hab ich dich bisher nicht gequält.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/630>, abgerufen am 21.12.2024.