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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

mit reingewaschenen Augen mein Studium, meine Arbeit wieder aufnehme.
Ich hoffe, ihm, dem Wilbrcmdt, noch eines Tages anders als nur mit
Worten dafür danken zu können. Übrigens das nebenbei. Ich wollte dir
ja hauptsächlich mit alledem sagen, was der Fritz für ein Kerl ist, und daß
für den die beste Frau gerade gut genug wäre, und daß du diese beste Frau
nicht bist. In meinen Augen wenigstens nicht. Heute gewiß nicht. Vielleicht,
wenn du dir mit der Zeit Mühe gäbest, ihn kennen zu lernen, von dir aus,
so von innen heraus, dann müßte es ja mit dem Teufel zugehen, wenn du
ihn uicht lieb gewannest. Aber dazu scheinst du keine Anlage zu haben. Jetzt
wirst du riesig wütend auf mich sein, aber ich kann dir sagen: das ist mir
fürchterlich einerlei. Ich mußte mir den Zorn von der Seele hcrunterreden,
den Zorn über dich, du Störenfried, und den Kummer um meinen Herzbruder.
Wenns dem an den Kragen geht, dann werd ich eben wild. Nun bin ichs
los. Nun ist mir leichter. 'Punktum. Wenn du kannst, wenn du willst,
denk mal nach. Adjüs!

Er ging schnell hinaus, ohne sich noch einmal nach Margarete um¬
zusehen.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Fürst Bismarck und unser Zukunftsstaat.

Die Greuzbotenleser werden
mit Vergnügen erfahren haben, wie lebhaft Fürst Bismarck am 9. Juni in seiner
Ansprache an die Herren vom Bunde der Landwirte für unser, dem sozial¬
demokratischen schnurstracks entgegengesetztes politisches Ideal eingetreten ist. Ganz
wie wir, will er die Volksvertretung berufsständisch gliedern, denn das ist doch
wohl mit der Mahnung! "Halten wir fest an der Interessenvertretung!" gemeint.
Ganz wie wir denkt er dabei hauptsächlich an die produktiven Berufsstäude und
giebt dabei die Lösung aus: "Für jeden ehrlichen produktiven Erwerb! für Land¬
wirtschaft, Handwerk und Industrie!" Nur darf man sich durch die Bemerkung,
die Landwirtschaft sei ja das Gewerbe, das "noch heute die relative Majorität
unter den Gewerbebetrieben im deutschen Reiche" habe, nicht verleiten lassen, alle
in ihr Beschäftigten als einen einzigen Berufsstand oder gar als eine einheitliche
Interessengruppe aufzufassen: dagegen würden der Herr von Zöller und seine
Fnchsmühler Bauern sehr entschieden Protestiren. Der der Zahl nach stärkste unter
den produktiven Berufsständen -- genaue Angaben wird uns ja die in diesen
Tagen stattfindende Bernfszcihlung liefern -- ist ohne Zweifel die der Lohn¬
arbeiter. Die industriellen sind im Reichstage schon leidlich vertreten, die land¬
wirtschaftlichen dagegen noch gar nicht. Die nächstgrößte bernfsstttndische Gruppe
von Produktiven durfte die der Kleinbauern sein, die wieder in verschleime Unter¬
gruppen zerfällt. Da sind die Waldbauern, über deren Bedrängnisse wir schon
oft geschrieben haben; im Reichstage hat für sie noch kein Mensch auch nur ein
Wort gesprochen. Da ist der Jnstmcmn des Nordostens, der für den gnädigen
Herrn einen Scharwerkcr halten und, ein so liederlicher Bursche es auch sein mag,


Grenzboten II 1895 73
Maßgebliches und Unmaßgebliches

mit reingewaschenen Augen mein Studium, meine Arbeit wieder aufnehme.
Ich hoffe, ihm, dem Wilbrcmdt, noch eines Tages anders als nur mit
Worten dafür danken zu können. Übrigens das nebenbei. Ich wollte dir
ja hauptsächlich mit alledem sagen, was der Fritz für ein Kerl ist, und daß
für den die beste Frau gerade gut genug wäre, und daß du diese beste Frau
nicht bist. In meinen Augen wenigstens nicht. Heute gewiß nicht. Vielleicht,
wenn du dir mit der Zeit Mühe gäbest, ihn kennen zu lernen, von dir aus,
so von innen heraus, dann müßte es ja mit dem Teufel zugehen, wenn du
ihn uicht lieb gewannest. Aber dazu scheinst du keine Anlage zu haben. Jetzt
wirst du riesig wütend auf mich sein, aber ich kann dir sagen: das ist mir
fürchterlich einerlei. Ich mußte mir den Zorn von der Seele hcrunterreden,
den Zorn über dich, du Störenfried, und den Kummer um meinen Herzbruder.
Wenns dem an den Kragen geht, dann werd ich eben wild. Nun bin ichs
los. Nun ist mir leichter. 'Punktum. Wenn du kannst, wenn du willst,
denk mal nach. Adjüs!

Er ging schnell hinaus, ohne sich noch einmal nach Margarete um¬
zusehen.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Fürst Bismarck und unser Zukunftsstaat.

Die Greuzbotenleser werden
mit Vergnügen erfahren haben, wie lebhaft Fürst Bismarck am 9. Juni in seiner
Ansprache an die Herren vom Bunde der Landwirte für unser, dem sozial¬
demokratischen schnurstracks entgegengesetztes politisches Ideal eingetreten ist. Ganz
wie wir, will er die Volksvertretung berufsständisch gliedern, denn das ist doch
wohl mit der Mahnung! „Halten wir fest an der Interessenvertretung!" gemeint.
Ganz wie wir denkt er dabei hauptsächlich an die produktiven Berufsstäude und
giebt dabei die Lösung aus: „Für jeden ehrlichen produktiven Erwerb! für Land¬
wirtschaft, Handwerk und Industrie!" Nur darf man sich durch die Bemerkung,
die Landwirtschaft sei ja das Gewerbe, das „noch heute die relative Majorität
unter den Gewerbebetrieben im deutschen Reiche" habe, nicht verleiten lassen, alle
in ihr Beschäftigten als einen einzigen Berufsstand oder gar als eine einheitliche
Interessengruppe aufzufassen: dagegen würden der Herr von Zöller und seine
Fnchsmühler Bauern sehr entschieden Protestiren. Der der Zahl nach stärkste unter
den produktiven Berufsständen — genaue Angaben wird uns ja die in diesen
Tagen stattfindende Bernfszcihlung liefern — ist ohne Zweifel die der Lohn¬
arbeiter. Die industriellen sind im Reichstage schon leidlich vertreten, die land¬
wirtschaftlichen dagegen noch gar nicht. Die nächstgrößte bernfsstttndische Gruppe
von Produktiven durfte die der Kleinbauern sein, die wieder in verschleime Unter¬
gruppen zerfällt. Da sind die Waldbauern, über deren Bedrängnisse wir schon
oft geschrieben haben; im Reichstage hat für sie noch kein Mensch auch nur ein
Wort gesprochen. Da ist der Jnstmcmn des Nordostens, der für den gnädigen
Herrn einen Scharwerkcr halten und, ein so liederlicher Bursche es auch sein mag,


Grenzboten II 1895 73
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[0585] Maßgebliches und Unmaßgebliches mit reingewaschenen Augen mein Studium, meine Arbeit wieder aufnehme. Ich hoffe, ihm, dem Wilbrcmdt, noch eines Tages anders als nur mit Worten dafür danken zu können. Übrigens das nebenbei. Ich wollte dir ja hauptsächlich mit alledem sagen, was der Fritz für ein Kerl ist, und daß für den die beste Frau gerade gut genug wäre, und daß du diese beste Frau nicht bist. In meinen Augen wenigstens nicht. Heute gewiß nicht. Vielleicht, wenn du dir mit der Zeit Mühe gäbest, ihn kennen zu lernen, von dir aus, so von innen heraus, dann müßte es ja mit dem Teufel zugehen, wenn du ihn uicht lieb gewannest. Aber dazu scheinst du keine Anlage zu haben. Jetzt wirst du riesig wütend auf mich sein, aber ich kann dir sagen: das ist mir fürchterlich einerlei. Ich mußte mir den Zorn von der Seele hcrunterreden, den Zorn über dich, du Störenfried, und den Kummer um meinen Herzbruder. Wenns dem an den Kragen geht, dann werd ich eben wild. Nun bin ichs los. Nun ist mir leichter. 'Punktum. Wenn du kannst, wenn du willst, denk mal nach. Adjüs! Er ging schnell hinaus, ohne sich noch einmal nach Margarete um¬ zusehen. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Fürst Bismarck und unser Zukunftsstaat. Die Greuzbotenleser werden mit Vergnügen erfahren haben, wie lebhaft Fürst Bismarck am 9. Juni in seiner Ansprache an die Herren vom Bunde der Landwirte für unser, dem sozial¬ demokratischen schnurstracks entgegengesetztes politisches Ideal eingetreten ist. Ganz wie wir, will er die Volksvertretung berufsständisch gliedern, denn das ist doch wohl mit der Mahnung! „Halten wir fest an der Interessenvertretung!" gemeint. Ganz wie wir denkt er dabei hauptsächlich an die produktiven Berufsstäude und giebt dabei die Lösung aus: „Für jeden ehrlichen produktiven Erwerb! für Land¬ wirtschaft, Handwerk und Industrie!" Nur darf man sich durch die Bemerkung, die Landwirtschaft sei ja das Gewerbe, das „noch heute die relative Majorität unter den Gewerbebetrieben im deutschen Reiche" habe, nicht verleiten lassen, alle in ihr Beschäftigten als einen einzigen Berufsstand oder gar als eine einheitliche Interessengruppe aufzufassen: dagegen würden der Herr von Zöller und seine Fnchsmühler Bauern sehr entschieden Protestiren. Der der Zahl nach stärkste unter den produktiven Berufsständen — genaue Angaben wird uns ja die in diesen Tagen stattfindende Bernfszcihlung liefern — ist ohne Zweifel die der Lohn¬ arbeiter. Die industriellen sind im Reichstage schon leidlich vertreten, die land¬ wirtschaftlichen dagegen noch gar nicht. Die nächstgrößte bernfsstttndische Gruppe von Produktiven durfte die der Kleinbauern sein, die wieder in verschleime Unter¬ gruppen zerfällt. Da sind die Waldbauern, über deren Bedrängnisse wir schon oft geschrieben haben; im Reichstage hat für sie noch kein Mensch auch nur ein Wort gesprochen. Da ist der Jnstmcmn des Nordostens, der für den gnädigen Herrn einen Scharwerkcr halten und, ein so liederlicher Bursche es auch sein mag, Grenzboten II 1895 73

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/585>, abgerufen am 21.12.2024.