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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Litteratur

teils weiter nichts ist als abgezweigter Grundstückwert; die Grnudschulden ent¬
stehen ja meistens nicht durch Aufnahme von Darlehen bei Kapitalisten, sondern
dadurch, daß Miterben ihren Anteil des Gutes fortnehmen, in Gestalt eines Zins¬
anspruchs. Wenn sie diesen einem andern abtreten, indem zu ihrer Abfindung
ein Kapital aufgenommen wird, so ändert das nichts an der Entstehungsweise
der Schuld.




Litteratur

Soviel sich auch gegen die fragmentarische Weisheit einwenden läßt, die Be¬
trachtungen und gelegentlich auch bloß die Einfälle über Gott und Welt, Seele
und Leib, über das eigne Ich und den lieben Nächsten, über Vergangenheit und
Gegenwart zum besten giebt, immer wieder erscheinen neue Sammlungen, die das
Glück von Feuchterslebens "Diätetik der Seele" und ähnlichen Büchern suchen, die
nun vergessen sind. Natürlich können diese Sammlungen von Gedanken weder
gleichartig noch gleichwertig sein; der Zufall schiebt eine Dreizahl höchst verschiedner
Veröffentlichungen dieser Art auf unserm Büchertisch zusammen. Dem Tagesgeschmack
dürften die nnter dem Titel Wohl bekomms! zusammengefaßten Grobheiten,
Bosheiten und Liebenswürdigkeiten von August Meltz (Hamburg, M. Glogau ^r..
1895) am besten entspreche". Sie haben den derben, herausfordernden Ton, der
heute für ein Zeichen von Stärke und Tüchtigkeit gilt, dazu in Prosa und Versen
manchen schlagenden Satz. Der Verfasser weiß sich in die Zeit zu finden, er hat
ganz Recht, wenn er meint: "Große Geister wollen alleweile nicht gedeihen auf
Erden; der Herrgott versucht deshalb große Männer zu kultiviren," und die Be¬
merkung zum besten giebt: "Daß ein gutes Gewissen ein sanftes Ruhekissen ^seij,
ist ja wahr; aber bei diesen schlechten Zeiten muß mancher schon zufrieden sein,
wenn er nur so eine Art Gewissensstrohsack hat, und wenn mans gewohnt ist,
mag es sich ja auch ganz gut darauf schlafen." Daß eine Reihe pessimistischer
Gedanken neben tapfern und hoffnungsvollen stehen, braucht uns nicht Wunder
zu nehmen. Schließlich drängt der Verfasser seine Spruchweisheit doch in dem
Satze zusammen: "Frage nicht nach Würdigkeit, wenn du Gutes thun willst, sondern
laß dich von deinem Herzen treiben; bedenke, hätte Gott mit seinem Sonnenschein
auf die Würdigkeit der Leute warten wollen, dann hielte er hente noch mit der
Sonne hinterm Berge."

Anspruchsvoller als die Einfälle treten uns die aus dem Polnischen über¬
setzten Aphorismen von Wladislaw von Fedorowicz (Wien und Leipzig,
Wilhelm Branmüller, 1894) gegenüber. Sie zerfallen in die Abschnitte "Natur,
Natur- und Religionsphilosophie," "Moral," "Recht und Gesetzgebung," "Sozio¬
logie, Nationalökonomie," "Nationalität," "Politik, Geschichte," "Pädagogik,"
"Kunst, Schönheit, Genie." "Weib," "Freundschaft, Liebe. Ehe," "Lebenspraxis
und Lebensweisheit," und schou aus dieser Aufzählung geht hervor, welch weiten
Umkreis die Gedanken des Herrn von Fedorowicz umfassen. Der polnische Land¬
edelmann denkt nicht eben heiter von unsrer Zeit, er seufzt, was mit ihm viele


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teils weiter nichts ist als abgezweigter Grundstückwert; die Grnudschulden ent¬
stehen ja meistens nicht durch Aufnahme von Darlehen bei Kapitalisten, sondern
dadurch, daß Miterben ihren Anteil des Gutes fortnehmen, in Gestalt eines Zins¬
anspruchs. Wenn sie diesen einem andern abtreten, indem zu ihrer Abfindung
ein Kapital aufgenommen wird, so ändert das nichts an der Entstehungsweise
der Schuld.




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Soviel sich auch gegen die fragmentarische Weisheit einwenden läßt, die Be¬
trachtungen und gelegentlich auch bloß die Einfälle über Gott und Welt, Seele
und Leib, über das eigne Ich und den lieben Nächsten, über Vergangenheit und
Gegenwart zum besten giebt, immer wieder erscheinen neue Sammlungen, die das
Glück von Feuchterslebens „Diätetik der Seele" und ähnlichen Büchern suchen, die
nun vergessen sind. Natürlich können diese Sammlungen von Gedanken weder
gleichartig noch gleichwertig sein; der Zufall schiebt eine Dreizahl höchst verschiedner
Veröffentlichungen dieser Art auf unserm Büchertisch zusammen. Dem Tagesgeschmack
dürften die nnter dem Titel Wohl bekomms! zusammengefaßten Grobheiten,
Bosheiten und Liebenswürdigkeiten von August Meltz (Hamburg, M. Glogau ^r..
1895) am besten entspreche». Sie haben den derben, herausfordernden Ton, der
heute für ein Zeichen von Stärke und Tüchtigkeit gilt, dazu in Prosa und Versen
manchen schlagenden Satz. Der Verfasser weiß sich in die Zeit zu finden, er hat
ganz Recht, wenn er meint: „Große Geister wollen alleweile nicht gedeihen auf
Erden; der Herrgott versucht deshalb große Männer zu kultiviren," und die Be¬
merkung zum besten giebt: „Daß ein gutes Gewissen ein sanftes Ruhekissen ^seij,
ist ja wahr; aber bei diesen schlechten Zeiten muß mancher schon zufrieden sein,
wenn er nur so eine Art Gewissensstrohsack hat, und wenn mans gewohnt ist,
mag es sich ja auch ganz gut darauf schlafen." Daß eine Reihe pessimistischer
Gedanken neben tapfern und hoffnungsvollen stehen, braucht uns nicht Wunder
zu nehmen. Schließlich drängt der Verfasser seine Spruchweisheit doch in dem
Satze zusammen: „Frage nicht nach Würdigkeit, wenn du Gutes thun willst, sondern
laß dich von deinem Herzen treiben; bedenke, hätte Gott mit seinem Sonnenschein
auf die Würdigkeit der Leute warten wollen, dann hielte er hente noch mit der
Sonne hinterm Berge."

Anspruchsvoller als die Einfälle treten uns die aus dem Polnischen über¬
setzten Aphorismen von Wladislaw von Fedorowicz (Wien und Leipzig,
Wilhelm Branmüller, 1894) gegenüber. Sie zerfallen in die Abschnitte „Natur,
Natur- und Religionsphilosophie," „Moral," „Recht und Gesetzgebung," „Sozio¬
logie, Nationalökonomie," „Nationalität," „Politik, Geschichte," „Pädagogik,"
„Kunst, Schönheit, Genie." „Weib," „Freundschaft, Liebe. Ehe," „Lebenspraxis
und Lebensweisheit," und schou aus dieser Aufzählung geht hervor, welch weiten
Umkreis die Gedanken des Herrn von Fedorowicz umfassen. Der polnische Land¬
edelmann denkt nicht eben heiter von unsrer Zeit, er seufzt, was mit ihm viele


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[0494] Litteratur teils weiter nichts ist als abgezweigter Grundstückwert; die Grnudschulden ent¬ stehen ja meistens nicht durch Aufnahme von Darlehen bei Kapitalisten, sondern dadurch, daß Miterben ihren Anteil des Gutes fortnehmen, in Gestalt eines Zins¬ anspruchs. Wenn sie diesen einem andern abtreten, indem zu ihrer Abfindung ein Kapital aufgenommen wird, so ändert das nichts an der Entstehungsweise der Schuld. Litteratur Soviel sich auch gegen die fragmentarische Weisheit einwenden läßt, die Be¬ trachtungen und gelegentlich auch bloß die Einfälle über Gott und Welt, Seele und Leib, über das eigne Ich und den lieben Nächsten, über Vergangenheit und Gegenwart zum besten giebt, immer wieder erscheinen neue Sammlungen, die das Glück von Feuchterslebens „Diätetik der Seele" und ähnlichen Büchern suchen, die nun vergessen sind. Natürlich können diese Sammlungen von Gedanken weder gleichartig noch gleichwertig sein; der Zufall schiebt eine Dreizahl höchst verschiedner Veröffentlichungen dieser Art auf unserm Büchertisch zusammen. Dem Tagesgeschmack dürften die nnter dem Titel Wohl bekomms! zusammengefaßten Grobheiten, Bosheiten und Liebenswürdigkeiten von August Meltz (Hamburg, M. Glogau ^r.. 1895) am besten entspreche». Sie haben den derben, herausfordernden Ton, der heute für ein Zeichen von Stärke und Tüchtigkeit gilt, dazu in Prosa und Versen manchen schlagenden Satz. Der Verfasser weiß sich in die Zeit zu finden, er hat ganz Recht, wenn er meint: „Große Geister wollen alleweile nicht gedeihen auf Erden; der Herrgott versucht deshalb große Männer zu kultiviren," und die Be¬ merkung zum besten giebt: „Daß ein gutes Gewissen ein sanftes Ruhekissen ^seij, ist ja wahr; aber bei diesen schlechten Zeiten muß mancher schon zufrieden sein, wenn er nur so eine Art Gewissensstrohsack hat, und wenn mans gewohnt ist, mag es sich ja auch ganz gut darauf schlafen." Daß eine Reihe pessimistischer Gedanken neben tapfern und hoffnungsvollen stehen, braucht uns nicht Wunder zu nehmen. Schließlich drängt der Verfasser seine Spruchweisheit doch in dem Satze zusammen: „Frage nicht nach Würdigkeit, wenn du Gutes thun willst, sondern laß dich von deinem Herzen treiben; bedenke, hätte Gott mit seinem Sonnenschein auf die Würdigkeit der Leute warten wollen, dann hielte er hente noch mit der Sonne hinterm Berge." Anspruchsvoller als die Einfälle treten uns die aus dem Polnischen über¬ setzten Aphorismen von Wladislaw von Fedorowicz (Wien und Leipzig, Wilhelm Branmüller, 1894) gegenüber. Sie zerfallen in die Abschnitte „Natur, Natur- und Religionsphilosophie," „Moral," „Recht und Gesetzgebung," „Sozio¬ logie, Nationalökonomie," „Nationalität," „Politik, Geschichte," „Pädagogik," „Kunst, Schönheit, Genie." „Weib," „Freundschaft, Liebe. Ehe," „Lebenspraxis und Lebensweisheit," und schou aus dieser Aufzählung geht hervor, welch weiten Umkreis die Gedanken des Herrn von Fedorowicz umfassen. Der polnische Land¬ edelmann denkt nicht eben heiter von unsrer Zeit, er seufzt, was mit ihm viele

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/494>, abgerufen am 21.12.2024.