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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Litteratur

tischer und kultureller (!) Hinsicht entscheidend auf die Geschichte des deutschen Volks
eingewirkt hat. jedoch nur oder doch vorherrschend unter Mitwirkung der Religion
und Kirche als des Ferments der sozialgeschichtlichen Entwicklung." Das Werk
bietet der Hauptsache nach dem großen Publikum einen Ersatz sür die ihm acht
zugängliche Fachlitteratur, die es. weil auf selbständigen Studien beruhend, in ein¬
zelnen Stücken ergänzt; eS erinnert namentlich an das große Werk Ludwig von
Maurers. Aber für deu angegebnen Zweck leisten die uns vorliegenden zwei Hefte,
die zwei Drittel des ersten Bandes bilden (ein zweiter soll folgen), eigentlich wenig;
denn die Schilderung des Einflusses der Reformation auf Sittlichkeit, Schule und
Armenpflege bringt nur allgemein bekanntes. Ware der Verfasser aus die Geschichte
Münzers und der Wiedertäufer, die er mit vier Seiten abfertigt, naher einge¬
gangen, so würde es vielleicht ihm selber einigermaßen zweifelhaft geworden sein,
ob wirklich die Religion immer das "Ferment" der sozialpolitischen Entwicklung
sei. und ob nicht Umwälzungen der Technik diese Bezeichnung in höherm Maße
verdienen. Ju einer Zeit, wo die Sozialdemokraten die Weltgeschichte vom materia¬
listischen Standpunkte aus behandeln und die soziale" Bewegungen des Refor¬
mationszeitalters für ihre Zwecke durchforschen und verwenden (z. B. in der von
Bernstein und Kautsky herausgegebnen Geschichte des Sozialismus. deren erste
Lieferungen wir in dem vorjährigen Heft 45 besprochen haben), darf em Histo¬
riker, der die deutsche Städtegeschichte vom christlichen Standpunkte aus behandeln
will, diese schwierige Frage nicht umgehen.




Litteratur

In dem Verlage von I. Guttentag in Berlin sind folgende drei neuen staats¬
rechtlichen Bücher erschienen: 1. der erste Band des Staatsrechts des deutschen
Reichs von or. Philipp Zorn, Geheimen Justizrat, ordentlichem Professor der
Rechte zu Königsberg i. Pr.. zweite völlig neu bearbeitete Auslage. Der Versasser
behandelt in diesem ersten Baude das Verfassungsrecht in der knappen, scharf logisch
zugespitzten und dabei doch den Inhalt völlig erschöpfenden Darstellungsweise, die
ihn auszeichnet. Dabei giebt er in den Anmerkungen, in die allein er überdies
die Polemik verweist, die vollständige Litteratur. Wertvoll und namentlich für die
Gegenwart interessant ist der letzte Abschnitt des Buchs, der über unsre Kolonien
(Erwerb, staatsrechtliche Organisation und materielles Recht) handelt. Es wäre
An Wünschen, daß die treffende Bemerkung über die der englischen Loutli Vo"t-
irlneM-vompMv erteilte Damaralcmdkouzessiou (vom Jahre 1892) an maßgebender
Stelle Beachtung fände. Daß eine fremde Kolonialgesellschaft Staatshoheitsrechte
des deutschen Reichs ausübt, in Vollmacht des deutschen Reichs die souveräne
Gewalt über Dnmaralcmd hat. hält der Verfasser für unvereinbar mit dem Begriff
der deutschen Staatshoheit und weder dem geltenden Recht noch der Wurde des
deutschen Reichs angemessen. Vortrefflich sowohl nach seiner geschichtlichen als
"ach seiner dogmatischen Richtung ist auch der Abschnitt über das Reichsbeamten-
rccht. wenn wir mich die Auffassung über die Begründung des Veamtenverhnlt-
"'sses durch lox spooialis uicht teilen können, sondern mit Laband und Jellinek


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tischer und kultureller (!) Hinsicht entscheidend auf die Geschichte des deutschen Volks
eingewirkt hat. jedoch nur oder doch vorherrschend unter Mitwirkung der Religion
und Kirche als des Ferments der sozialgeschichtlichen Entwicklung." Das Werk
bietet der Hauptsache nach dem großen Publikum einen Ersatz sür die ihm acht
zugängliche Fachlitteratur, die es. weil auf selbständigen Studien beruhend, in ein¬
zelnen Stücken ergänzt; eS erinnert namentlich an das große Werk Ludwig von
Maurers. Aber für deu angegebnen Zweck leisten die uns vorliegenden zwei Hefte,
die zwei Drittel des ersten Bandes bilden (ein zweiter soll folgen), eigentlich wenig;
denn die Schilderung des Einflusses der Reformation auf Sittlichkeit, Schule und
Armenpflege bringt nur allgemein bekanntes. Ware der Verfasser aus die Geschichte
Münzers und der Wiedertäufer, die er mit vier Seiten abfertigt, naher einge¬
gangen, so würde es vielleicht ihm selber einigermaßen zweifelhaft geworden sein,
ob wirklich die Religion immer das „Ferment" der sozialpolitischen Entwicklung
sei. und ob nicht Umwälzungen der Technik diese Bezeichnung in höherm Maße
verdienen. Ju einer Zeit, wo die Sozialdemokraten die Weltgeschichte vom materia¬
listischen Standpunkte aus behandeln und die soziale» Bewegungen des Refor¬
mationszeitalters für ihre Zwecke durchforschen und verwenden (z. B. in der von
Bernstein und Kautsky herausgegebnen Geschichte des Sozialismus. deren erste
Lieferungen wir in dem vorjährigen Heft 45 besprochen haben), darf em Histo¬
riker, der die deutsche Städtegeschichte vom christlichen Standpunkte aus behandeln
will, diese schwierige Frage nicht umgehen.




Litteratur

In dem Verlage von I. Guttentag in Berlin sind folgende drei neuen staats¬
rechtlichen Bücher erschienen: 1. der erste Band des Staatsrechts des deutschen
Reichs von or. Philipp Zorn, Geheimen Justizrat, ordentlichem Professor der
Rechte zu Königsberg i. Pr.. zweite völlig neu bearbeitete Auslage. Der Versasser
behandelt in diesem ersten Baude das Verfassungsrecht in der knappen, scharf logisch
zugespitzten und dabei doch den Inhalt völlig erschöpfenden Darstellungsweise, die
ihn auszeichnet. Dabei giebt er in den Anmerkungen, in die allein er überdies
die Polemik verweist, die vollständige Litteratur. Wertvoll und namentlich für die
Gegenwart interessant ist der letzte Abschnitt des Buchs, der über unsre Kolonien
(Erwerb, staatsrechtliche Organisation und materielles Recht) handelt. Es wäre
An Wünschen, daß die treffende Bemerkung über die der englischen Loutli Vo«t-
irlneM-vompMv erteilte Damaralcmdkouzessiou (vom Jahre 1892) an maßgebender
Stelle Beachtung fände. Daß eine fremde Kolonialgesellschaft Staatshoheitsrechte
des deutschen Reichs ausübt, in Vollmacht des deutschen Reichs die souveräne
Gewalt über Dnmaralcmd hat. hält der Verfasser für unvereinbar mit dem Begriff
der deutschen Staatshoheit und weder dem geltenden Recht noch der Wurde des
deutschen Reichs angemessen. Vortrefflich sowohl nach seiner geschichtlichen als
"ach seiner dogmatischen Richtung ist auch der Abschnitt über das Reichsbeamten-
rccht. wenn wir mich die Auffassung über die Begründung des Veamtenverhnlt-
"'sses durch lox spooialis uicht teilen können, sondern mit Laband und Jellinek


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[0399] Litteratur tischer und kultureller (!) Hinsicht entscheidend auf die Geschichte des deutschen Volks eingewirkt hat. jedoch nur oder doch vorherrschend unter Mitwirkung der Religion und Kirche als des Ferments der sozialgeschichtlichen Entwicklung." Das Werk bietet der Hauptsache nach dem großen Publikum einen Ersatz sür die ihm acht zugängliche Fachlitteratur, die es. weil auf selbständigen Studien beruhend, in ein¬ zelnen Stücken ergänzt; eS erinnert namentlich an das große Werk Ludwig von Maurers. Aber für deu angegebnen Zweck leisten die uns vorliegenden zwei Hefte, die zwei Drittel des ersten Bandes bilden (ein zweiter soll folgen), eigentlich wenig; denn die Schilderung des Einflusses der Reformation auf Sittlichkeit, Schule und Armenpflege bringt nur allgemein bekanntes. Ware der Verfasser aus die Geschichte Münzers und der Wiedertäufer, die er mit vier Seiten abfertigt, naher einge¬ gangen, so würde es vielleicht ihm selber einigermaßen zweifelhaft geworden sein, ob wirklich die Religion immer das „Ferment" der sozialpolitischen Entwicklung sei. und ob nicht Umwälzungen der Technik diese Bezeichnung in höherm Maße verdienen. Ju einer Zeit, wo die Sozialdemokraten die Weltgeschichte vom materia¬ listischen Standpunkte aus behandeln und die soziale» Bewegungen des Refor¬ mationszeitalters für ihre Zwecke durchforschen und verwenden (z. B. in der von Bernstein und Kautsky herausgegebnen Geschichte des Sozialismus. deren erste Lieferungen wir in dem vorjährigen Heft 45 besprochen haben), darf em Histo¬ riker, der die deutsche Städtegeschichte vom christlichen Standpunkte aus behandeln will, diese schwierige Frage nicht umgehen. Litteratur In dem Verlage von I. Guttentag in Berlin sind folgende drei neuen staats¬ rechtlichen Bücher erschienen: 1. der erste Band des Staatsrechts des deutschen Reichs von or. Philipp Zorn, Geheimen Justizrat, ordentlichem Professor der Rechte zu Königsberg i. Pr.. zweite völlig neu bearbeitete Auslage. Der Versasser behandelt in diesem ersten Baude das Verfassungsrecht in der knappen, scharf logisch zugespitzten und dabei doch den Inhalt völlig erschöpfenden Darstellungsweise, die ihn auszeichnet. Dabei giebt er in den Anmerkungen, in die allein er überdies die Polemik verweist, die vollständige Litteratur. Wertvoll und namentlich für die Gegenwart interessant ist der letzte Abschnitt des Buchs, der über unsre Kolonien (Erwerb, staatsrechtliche Organisation und materielles Recht) handelt. Es wäre An Wünschen, daß die treffende Bemerkung über die der englischen Loutli Vo«t- irlneM-vompMv erteilte Damaralcmdkouzessiou (vom Jahre 1892) an maßgebender Stelle Beachtung fände. Daß eine fremde Kolonialgesellschaft Staatshoheitsrechte des deutschen Reichs ausübt, in Vollmacht des deutschen Reichs die souveräne Gewalt über Dnmaralcmd hat. hält der Verfasser für unvereinbar mit dem Begriff der deutschen Staatshoheit und weder dem geltenden Recht noch der Wurde des deutschen Reichs angemessen. Vortrefflich sowohl nach seiner geschichtlichen als "ach seiner dogmatischen Richtung ist auch der Abschnitt über das Reichsbeamten- rccht. wenn wir mich die Auffassung über die Begründung des Veamtenverhnlt- "'sses durch lox spooialis uicht teilen können, sondern mit Laband und Jellinek

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/399>, abgerufen am 21.12.2024.