Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches und gesellschaftlichen Standpunkte aus dargestellt von Paul de Regln (Dr. P. A. Maßgebliches und Unmaßgebliches und gesellschaftlichen Standpunkte aus dargestellt von Paul de Regln (Dr. P. A. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0398" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220074"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1529" prev="#ID_1528" next="#ID_1530"> und gesellschaftlichen Standpunkte aus dargestellt von Paul de Regln (Dr. P. A.<lb/> Desjardiu). Ans dem Französischen übertragen von Dr. Albrecht Just (Leipzig,<lb/> C. E. M. Pfeffer, 1894). Aus einer Anmerkung erfahren wir, daß Desjardin ein<lb/> Arzt ist, der schon vor sechsunddreißig Jahren mit dem Elekromagnetismus wunder¬<lb/> bare Erfolge erzielte. Darin lag für ihn der Anknüpfungspunkt für eine wissen¬<lb/> schaftliche Behandlung des Lebens Jesu: er brauchte uach seinen Erfahrungen die<lb/> Wunder Jesu weder für erlogen noch für Wirkungen einer übernatürlichen Kraft<lb/> zu halten. (Vor fünfunddreißig Jahren kannten wir einen alten Arzt, der behauptete,<lb/> das Quantum der Medikamente, die er zur Heilung eines Kranken brauche, richte<lb/> sich nach dem Grade seiner Gläubigkeit; ein Ungläubiger müsse viele Flaschen voll<lb/> schlucken, ein ganz Gläubiger werde auf das bloße Wort des Arztes gesund.) Es<lb/> ist aber nicht bloß das medizinische Interesse, was den Franzosen zum Studium<lb/> der Evangelien veranlaßt hat, sondern eine der Egidyanischen verwandte Geistes-<lb/> richtung. Er stellt Christus weit höher, als es Neunu thut, noch Nieniger denkt<lb/> er darau, ihn mit David Strauß in einen Mythus aufzulösen. Für die Er¬<lb/> forschung des neutestamentlichen Materials gilt ihm als Richtschnur der Satz: „Die<lb/> Unwissenheit leugnet, die Dummheit glaubt, die Albernheit weiß, die wahre Einsicht<lb/> zweifelt und beobachtet." (S. 140.) Er ist von Begeisterung für Jesus und seine<lb/> Religion erfüllt, von der er sagt, daß sie mit ihrem Urheber gestorben sei; für<lb/> die Wiederherstellung des echten „Jesustums" oder „Jesunismus" soll sein Buch<lb/> wirken. Jesus, schreibt er Seite 377, „war nicht der Mann einer sich abschließenden<lb/> Gesellschaft, einer Partei oder auch nur einer Schule. Er war die herrlichste, die<lb/> erhabenste Verkörperung des Gottesgedankens in seiner umfassendsten und hoch¬<lb/> herzigsten Bedeutung. Er war der Genius von allem, was die am bestehenden<lb/> Hangenden Verehrer der althergebrachten Bräuche, Vorurteile und Bevorrechtungen<lb/> den »Umsturz« nennen, um nicht Umschwung sagen zu müssen." Mit einem pa¬<lb/> thetischen Nachwort „nu die Märtyrer der Freiheit, an die Unglücklichen und Be¬<lb/> drückten!" schließt das Buch, das den Kirchglänbigen zum Ärgernis, den Gläubigen<lb/> Egidyanischer Richtung zur Erbauung dienen wird. Die Übersetzung ist nicht übel. —<lb/> Die Lebensfragen, aus den Papieren eines Denkers herausgegeben von August<lb/> spert (München, C. H. Beck, 1894), sind religiöse, ethische und philosophische Be-<lb/> trachtungen und Erfahrungen, Regeln gewöhnlicher Weltklugheit und tieferer christ¬<lb/> licher Lebensweisheit, die der längst verstorbne Ansbacher Schulrat Christian<lb/> von Bomhard, ein frommer und geistvoller Mann, vor vierzig Jahren sür seinen<lb/> Sohn ausgezeichnet hat. Die Blätter empfehlen vor allem Selbstüberwindung, Ent¬<lb/> haltsamkeit, stilles Wirken in bescheidner Zurückgezogenheit. Von dem Gymnasial¬<lb/> unterricht seiner Zeit hält Bomhard uicht viel, aber nicht deswegen, weil die alten<lb/> Sprachen gelehrt, sondern deswegen, weil sie nicht erlernt werden. Die alten Klassiker,<lb/> namentlich die Stoiker schätzt er hoch, die neuen desto geringer; den Einfluß Goethes<lb/> und der übrigen Weimaraner erklärt er für verderblich. — Zu den schwierigsten Pro¬<lb/> blemen gehört die genaue Ermittlung der Art und des Grades der Wirkungen, die das<lb/> Christentum und seine verschiednen Konfessionen auf die Völker ausgeübt haben und<lb/> noch ausüben. Die Religiös-sozialen Bilder aus der Geschichte des deutschen<lb/> Bürgertums von G. Malsch (Leipzig, Reinhold Werther, 1893) wollen zu seiner<lb/> Lösung einen Beitrag liefern. Sie „verfolgen die Entstehung und Entwicklung des<lb/> dritten deutschen Volksstandes unter dem religiös-sozialen Gesichtspunkt." Der Zweck<lb/> des Verfassers ist, „in anschaulicher Schilderung darzuthun, wie aus der selbstsüchtigen<lb/> Feudalgesellschaft heraus die in ihrer Existenz bedrohte Volksmasse durch die Städte-<lb/> grttndung Heil und Rettung gefunden hat, und wie das Stadtbürgertum in poli-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0398]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
und gesellschaftlichen Standpunkte aus dargestellt von Paul de Regln (Dr. P. A.
Desjardiu). Ans dem Französischen übertragen von Dr. Albrecht Just (Leipzig,
C. E. M. Pfeffer, 1894). Aus einer Anmerkung erfahren wir, daß Desjardin ein
Arzt ist, der schon vor sechsunddreißig Jahren mit dem Elekromagnetismus wunder¬
bare Erfolge erzielte. Darin lag für ihn der Anknüpfungspunkt für eine wissen¬
schaftliche Behandlung des Lebens Jesu: er brauchte uach seinen Erfahrungen die
Wunder Jesu weder für erlogen noch für Wirkungen einer übernatürlichen Kraft
zu halten. (Vor fünfunddreißig Jahren kannten wir einen alten Arzt, der behauptete,
das Quantum der Medikamente, die er zur Heilung eines Kranken brauche, richte
sich nach dem Grade seiner Gläubigkeit; ein Ungläubiger müsse viele Flaschen voll
schlucken, ein ganz Gläubiger werde auf das bloße Wort des Arztes gesund.) Es
ist aber nicht bloß das medizinische Interesse, was den Franzosen zum Studium
der Evangelien veranlaßt hat, sondern eine der Egidyanischen verwandte Geistes-
richtung. Er stellt Christus weit höher, als es Neunu thut, noch Nieniger denkt
er darau, ihn mit David Strauß in einen Mythus aufzulösen. Für die Er¬
forschung des neutestamentlichen Materials gilt ihm als Richtschnur der Satz: „Die
Unwissenheit leugnet, die Dummheit glaubt, die Albernheit weiß, die wahre Einsicht
zweifelt und beobachtet." (S. 140.) Er ist von Begeisterung für Jesus und seine
Religion erfüllt, von der er sagt, daß sie mit ihrem Urheber gestorben sei; für
die Wiederherstellung des echten „Jesustums" oder „Jesunismus" soll sein Buch
wirken. Jesus, schreibt er Seite 377, „war nicht der Mann einer sich abschließenden
Gesellschaft, einer Partei oder auch nur einer Schule. Er war die herrlichste, die
erhabenste Verkörperung des Gottesgedankens in seiner umfassendsten und hoch¬
herzigsten Bedeutung. Er war der Genius von allem, was die am bestehenden
Hangenden Verehrer der althergebrachten Bräuche, Vorurteile und Bevorrechtungen
den »Umsturz« nennen, um nicht Umschwung sagen zu müssen." Mit einem pa¬
thetischen Nachwort „nu die Märtyrer der Freiheit, an die Unglücklichen und Be¬
drückten!" schließt das Buch, das den Kirchglänbigen zum Ärgernis, den Gläubigen
Egidyanischer Richtung zur Erbauung dienen wird. Die Übersetzung ist nicht übel. —
Die Lebensfragen, aus den Papieren eines Denkers herausgegeben von August
spert (München, C. H. Beck, 1894), sind religiöse, ethische und philosophische Be-
trachtungen und Erfahrungen, Regeln gewöhnlicher Weltklugheit und tieferer christ¬
licher Lebensweisheit, die der längst verstorbne Ansbacher Schulrat Christian
von Bomhard, ein frommer und geistvoller Mann, vor vierzig Jahren sür seinen
Sohn ausgezeichnet hat. Die Blätter empfehlen vor allem Selbstüberwindung, Ent¬
haltsamkeit, stilles Wirken in bescheidner Zurückgezogenheit. Von dem Gymnasial¬
unterricht seiner Zeit hält Bomhard uicht viel, aber nicht deswegen, weil die alten
Sprachen gelehrt, sondern deswegen, weil sie nicht erlernt werden. Die alten Klassiker,
namentlich die Stoiker schätzt er hoch, die neuen desto geringer; den Einfluß Goethes
und der übrigen Weimaraner erklärt er für verderblich. — Zu den schwierigsten Pro¬
blemen gehört die genaue Ermittlung der Art und des Grades der Wirkungen, die das
Christentum und seine verschiednen Konfessionen auf die Völker ausgeübt haben und
noch ausüben. Die Religiös-sozialen Bilder aus der Geschichte des deutschen
Bürgertums von G. Malsch (Leipzig, Reinhold Werther, 1893) wollen zu seiner
Lösung einen Beitrag liefern. Sie „verfolgen die Entstehung und Entwicklung des
dritten deutschen Volksstandes unter dem religiös-sozialen Gesichtspunkt." Der Zweck
des Verfassers ist, „in anschaulicher Schilderung darzuthun, wie aus der selbstsüchtigen
Feudalgesellschaft heraus die in ihrer Existenz bedrohte Volksmasse durch die Städte-
grttndung Heil und Rettung gefunden hat, und wie das Stadtbürgertum in poli-
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