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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Indische Zustände

aber wir wollen zu Ende kommen mit dem zusammenfassenden Gedanken, daß
die Sozialdemokratie, über berechtigte Forderungen hinausschießend, mechanisch
von außen her den Staat mit Gesetzparagraphen neu gründen will, der Anti¬
semitismus dagegen den gewordnen Staat lebendig von innen heraus mit
Anordnungen reformiren wird, die in einem von wirklichem Lebensblut
zeugenden Zusammenhang mit dem Wesen unsrer Nationalität und dem der
Religion der Liebe stehen. Wie diese Anordnungen im besondern aussehen
werden, darüber wird ebenso wenig von Herrn Stöcker irgend jemand den
Herren vom Freisinn etwas verraten können, aber dessen können sie schon jetzt
versichert sein, daß es Gesetze sein werden, die, ohne den Charakter der Duld¬
samkeit zu verleugnen, doch den Juden und ihresgleichen den Zwang auferlegen,
sich vor dem Geist unsers Glaubens und unsers Volkstums zu beugen.




Indische Zustände
(Schluß)
4

le Verhältnisse der englischen Herrschaft in Indien sind so einzig
in ihrer Art, die innern politische", sozialen und religiösen Zu¬
stände der indischen Bevölkerung so verwickelt, daß die Zukunft
des anglo-indischen Reichs ohne Zweifel das schwierigste Pro¬
blem ist, das sich in unsrer Zeit der politischen Spekulation bietet.
Aber es ist zugleich eins der wichtigsten Probleme für die gesamte Mensch¬
heit, dn es die weitern Geschicke einer bildungsfähigen Bevölkerung von 260 Mil¬
lionen Seelen betrifft, und es ist im besondern auch bedeutungsvoll und an¬
ziehend für uns Deutsche, die wir begonnen haben, auf dem Gebiete der Kolo¬
nisation dem Vorgänge der Engländer zu folgen. Treten wir also diesem Pro¬
blem etwas näher.

Die englische Negierung in Indien stützt sich, wie wir gesehen haben, in
erster Linie auf das Heer, und von diesem Heer bestehen volle zwei Drittel
aus einheimischen Söldnern, die mit ihren Herren durch keine Bande des Bluts
oder Glaubens verbunden sind, sondern deren Treue allein auf ihrem kriege¬
rischen Ehrgefühl und ihrer Dankbarkeit gegen ihre Lohnherren beruht. Nun
kann es zwar nicht bezweifelt werden, daß es die Engländer ausgezeichnet ver¬
standen haben, diesen Sepoys einen echt militärischen Geist anzuerziehen. Ein


Grenzboten IV 1893 77
Indische Zustände

aber wir wollen zu Ende kommen mit dem zusammenfassenden Gedanken, daß
die Sozialdemokratie, über berechtigte Forderungen hinausschießend, mechanisch
von außen her den Staat mit Gesetzparagraphen neu gründen will, der Anti¬
semitismus dagegen den gewordnen Staat lebendig von innen heraus mit
Anordnungen reformiren wird, die in einem von wirklichem Lebensblut
zeugenden Zusammenhang mit dem Wesen unsrer Nationalität und dem der
Religion der Liebe stehen. Wie diese Anordnungen im besondern aussehen
werden, darüber wird ebenso wenig von Herrn Stöcker irgend jemand den
Herren vom Freisinn etwas verraten können, aber dessen können sie schon jetzt
versichert sein, daß es Gesetze sein werden, die, ohne den Charakter der Duld¬
samkeit zu verleugnen, doch den Juden und ihresgleichen den Zwang auferlegen,
sich vor dem Geist unsers Glaubens und unsers Volkstums zu beugen.




Indische Zustände
(Schluß)
4

le Verhältnisse der englischen Herrschaft in Indien sind so einzig
in ihrer Art, die innern politische», sozialen und religiösen Zu¬
stände der indischen Bevölkerung so verwickelt, daß die Zukunft
des anglo-indischen Reichs ohne Zweifel das schwierigste Pro¬
blem ist, das sich in unsrer Zeit der politischen Spekulation bietet.
Aber es ist zugleich eins der wichtigsten Probleme für die gesamte Mensch¬
heit, dn es die weitern Geschicke einer bildungsfähigen Bevölkerung von 260 Mil¬
lionen Seelen betrifft, und es ist im besondern auch bedeutungsvoll und an¬
ziehend für uns Deutsche, die wir begonnen haben, auf dem Gebiete der Kolo¬
nisation dem Vorgänge der Engländer zu folgen. Treten wir also diesem Pro¬
blem etwas näher.

Die englische Negierung in Indien stützt sich, wie wir gesehen haben, in
erster Linie auf das Heer, und von diesem Heer bestehen volle zwei Drittel
aus einheimischen Söldnern, die mit ihren Herren durch keine Bande des Bluts
oder Glaubens verbunden sind, sondern deren Treue allein auf ihrem kriege¬
rischen Ehrgefühl und ihrer Dankbarkeit gegen ihre Lohnherren beruht. Nun
kann es zwar nicht bezweifelt werden, daß es die Engländer ausgezeichnet ver¬
standen haben, diesen Sepoys einen echt militärischen Geist anzuerziehen. Ein


Grenzboten IV 1893 77
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[0617] Indische Zustände aber wir wollen zu Ende kommen mit dem zusammenfassenden Gedanken, daß die Sozialdemokratie, über berechtigte Forderungen hinausschießend, mechanisch von außen her den Staat mit Gesetzparagraphen neu gründen will, der Anti¬ semitismus dagegen den gewordnen Staat lebendig von innen heraus mit Anordnungen reformiren wird, die in einem von wirklichem Lebensblut zeugenden Zusammenhang mit dem Wesen unsrer Nationalität und dem der Religion der Liebe stehen. Wie diese Anordnungen im besondern aussehen werden, darüber wird ebenso wenig von Herrn Stöcker irgend jemand den Herren vom Freisinn etwas verraten können, aber dessen können sie schon jetzt versichert sein, daß es Gesetze sein werden, die, ohne den Charakter der Duld¬ samkeit zu verleugnen, doch den Juden und ihresgleichen den Zwang auferlegen, sich vor dem Geist unsers Glaubens und unsers Volkstums zu beugen. Indische Zustände (Schluß) 4 le Verhältnisse der englischen Herrschaft in Indien sind so einzig in ihrer Art, die innern politische», sozialen und religiösen Zu¬ stände der indischen Bevölkerung so verwickelt, daß die Zukunft des anglo-indischen Reichs ohne Zweifel das schwierigste Pro¬ blem ist, das sich in unsrer Zeit der politischen Spekulation bietet. Aber es ist zugleich eins der wichtigsten Probleme für die gesamte Mensch¬ heit, dn es die weitern Geschicke einer bildungsfähigen Bevölkerung von 260 Mil¬ lionen Seelen betrifft, und es ist im besondern auch bedeutungsvoll und an¬ ziehend für uns Deutsche, die wir begonnen haben, auf dem Gebiete der Kolo¬ nisation dem Vorgänge der Engländer zu folgen. Treten wir also diesem Pro¬ blem etwas näher. Die englische Negierung in Indien stützt sich, wie wir gesehen haben, in erster Linie auf das Heer, und von diesem Heer bestehen volle zwei Drittel aus einheimischen Söldnern, die mit ihren Herren durch keine Bande des Bluts oder Glaubens verbunden sind, sondern deren Treue allein auf ihrem kriege¬ rischen Ehrgefühl und ihrer Dankbarkeit gegen ihre Lohnherren beruht. Nun kann es zwar nicht bezweifelt werden, daß es die Engländer ausgezeichnet ver¬ standen haben, diesen Sepoys einen echt militärischen Geist anzuerziehen. Ein Grenzboten IV 1893 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/617>, abgerufen am 27.06.2024.