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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Suggestionen in der Politik

und alles zu überdenken. Aber nun wollte sie nichts davon wissen, sie lehnte jeden
Aufschub ab, sie erklärte, alles lange genug überlegt zu haben , sie wollte endlich
Ruhe haben. So zog er sie denn an sein Herz, das bei aller Freude unruhig
schlug.

Lucie aber war in dieser Stunde wirklich glücklich. Sie glaubte, im Geiste
der rechten Liebe gehandelt zu haben, und dieser Glaube war so süß, daß sie in
ihrem Herzen eine frohe Genugthuung fühlte, eine sanfte Stille, wie das milde
Wehen nach einer Gewitternncht. Und als der Mond am Abend durch das Fettster
ihrer Kammer blickte, da sah er nur noch eine Thräne der Wehmut an ihrem
Auge, keine Thräne des Schmerzes mehr.

(Fortsetzung folgt)




Suggestionen in der Politik

eit den letzten Reichstagswahlen sind Monate verflossen, die neue
Versammlung ist zusammengetreten und nach Erledigung der Auf¬
gabe, für die sie geschaffen wurde, vorläufig in Gnaden entlassen
worden. Was diese Wahlen lehren, ist von allen Standpunkten
aus beleuchtet worden, von dem der grünen Hefte vortrefflich in
Heft 30. Ist es da überhaupt angemessen, noch einmal auf das Thema zu¬
rückzukommen, nachdem für die Zeit der sauern Gurke nicht nur hohe Reisen,
sondern anch die irische und die norwegische Frage, Herz und Clemeneean,
Sozialistenprügeleien und südamerikmiische Revolutionen, Cholera und andre
schöne Dinge hinlänglichen Gesprächsstoff geliefert haben? Wir glauben die
Frage bejahen zu dürfen. Denn eben weil voraussichtlich der deutsche Staats¬
bürger nicht zu bald wieder an die Urne berufen werden wird, haben wir Muße
zu Erörterungen, vielleicht Verständigungen, sür die unmittelbar vor der
Schlacht keine Zeit übrig zu sein pflegt.

Gingen uns die Dinge nicht so verzweifelt nahe an, so würden wir
wünschen. Aristophanes aus dem Grabe heraufbeschwören zu können. Welche
Freude würde der Alte empfinden, seinen Kleon in so vielerlei Gestalten, sogar
als Negierungsassessor a. D. wiederzusehen! Welchen köstlichen Vorwurf böte
ihm das Ergebnis der Wahlen! Was war aus dem "Volke" geworden?
Bekanntlich vertritt nur eine Partei das Volk, nämlich die Grundsuppe, die
von der ehemals demokratischen, Fortschritts-, freisinnigen Partei übrig ge¬
blieben ist, die freisinnige Volkspartei. (Beiläufig bemerkt ist dieser Name
nicht glücklich gewählt, denn er könnte auf die Vermutung bringen, das; es
mich ein nichtfreisinniges Volk oder ein freisinniges NichtVolk gebe. Viel


Suggestionen in der Politik

und alles zu überdenken. Aber nun wollte sie nichts davon wissen, sie lehnte jeden
Aufschub ab, sie erklärte, alles lange genug überlegt zu haben , sie wollte endlich
Ruhe haben. So zog er sie denn an sein Herz, das bei aller Freude unruhig
schlug.

Lucie aber war in dieser Stunde wirklich glücklich. Sie glaubte, im Geiste
der rechten Liebe gehandelt zu haben, und dieser Glaube war so süß, daß sie in
ihrem Herzen eine frohe Genugthuung fühlte, eine sanfte Stille, wie das milde
Wehen nach einer Gewitternncht. Und als der Mond am Abend durch das Fettster
ihrer Kammer blickte, da sah er nur noch eine Thräne der Wehmut an ihrem
Auge, keine Thräne des Schmerzes mehr.

(Fortsetzung folgt)




Suggestionen in der Politik

eit den letzten Reichstagswahlen sind Monate verflossen, die neue
Versammlung ist zusammengetreten und nach Erledigung der Auf¬
gabe, für die sie geschaffen wurde, vorläufig in Gnaden entlassen
worden. Was diese Wahlen lehren, ist von allen Standpunkten
aus beleuchtet worden, von dem der grünen Hefte vortrefflich in
Heft 30. Ist es da überhaupt angemessen, noch einmal auf das Thema zu¬
rückzukommen, nachdem für die Zeit der sauern Gurke nicht nur hohe Reisen,
sondern anch die irische und die norwegische Frage, Herz und Clemeneean,
Sozialistenprügeleien und südamerikmiische Revolutionen, Cholera und andre
schöne Dinge hinlänglichen Gesprächsstoff geliefert haben? Wir glauben die
Frage bejahen zu dürfen. Denn eben weil voraussichtlich der deutsche Staats¬
bürger nicht zu bald wieder an die Urne berufen werden wird, haben wir Muße
zu Erörterungen, vielleicht Verständigungen, sür die unmittelbar vor der
Schlacht keine Zeit übrig zu sein pflegt.

Gingen uns die Dinge nicht so verzweifelt nahe an, so würden wir
wünschen. Aristophanes aus dem Grabe heraufbeschwören zu können. Welche
Freude würde der Alte empfinden, seinen Kleon in so vielerlei Gestalten, sogar
als Negierungsassessor a. D. wiederzusehen! Welchen köstlichen Vorwurf böte
ihm das Ergebnis der Wahlen! Was war aus dem „Volke" geworden?
Bekanntlich vertritt nur eine Partei das Volk, nämlich die Grundsuppe, die
von der ehemals demokratischen, Fortschritts-, freisinnigen Partei übrig ge¬
blieben ist, die freisinnige Volkspartei. (Beiläufig bemerkt ist dieser Name
nicht glücklich gewählt, denn er könnte auf die Vermutung bringen, das; es
mich ein nichtfreisinniges Volk oder ein freisinniges NichtVolk gebe. Viel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/333>, abgerufen am 27.06.2024.