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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Der "Lali Kirchhof

bekanntlich dem Landlord für die bloße Erlaubnis, auf seinem Grund und
Boden Wohnungen zu errichten, Lieeuzen zu zahlen, während die errichteten
Wohnungen selbst nach neunundneunzig Jahren an den Grundherrn ohne
jede Entschädigung heimfallen. Immerhin ist es das Verdienst dieser Einrich¬
tung, die private Bauspekulation in gewissen Schranken und deu Mietzins
noch auf erträglicher Höhe gehalten zu haben. Die Landreform kann deshalb
auch für die Städte nur dann segensreich wirken, wenn sie, vielleicht durch
Übertragung des Eigentums an die Gemeinden, dem drohenden Grundstücks¬
wucher der Privatspekulanten vorzubeugen versteht. Dein englischen Wohn¬
hause wäre dabei zu gönnen, daß es künftig geräumiger, gediegner und ge¬
schmackvoller hergestellt würde. Ich habe wenigstens selbst in den vornehmen
Vierteln des Westends von London die englischen "Burgen" (in^ Iwuse- in,^
vastis) äußerst einförmig und fast von liliputartiger Niedlichkeit gefunden.
Das Bewußtsein, allein im eignen Hanse zu wohnen, scheint für manche Un¬
bequemlichkeit entschuldigen zu müssen.

Von London schweige ich. Davon erzählen, hieße Blumen in die Knopf¬
löcher der Cockneys stecken. Aber jeder Bericht über eine Sommerreise nach
England aus dem Jahre 1893 wäre unvollständig, wenn er nicht Daisy
Betts gedächte, eines Kouplets im Walzertakte, der Liebeserklärung eines Bicykle-
fcchrers an seine Daisy. Es verfolgte mich bis hinauf nach Edinburg und
wieder zurück in allen Städten, auf allen Gassen, am Strande, in der Eisen¬
bahn, auf dein Schiff, im Hotel, gesungen, gepfiffen, geblasen, geklimpert, ge¬
trampelt, ja ganze Volksversammlungen haben es gesungen, um einen un¬
beliebten Redner mundtot zu machen. Ich habe es mir mitgebracht und habe
neulich in einem Kreise, der wie ich selbst das harte Verdammungsurteil der
Grenzboten über den modernen Gassenhauer "voll und ganz" unterschreibt,
mit seinem Vortrag stürmischen Beifall geerntet.




Der "Fall Kirchhof"

n Berlin hat, wie bekannt, vor kurzer Zeit der General z. D.
Kirchhof auf einen gewissen Harich, einen sogenannten Redakteur
des Berliner Tageblatts, geschossen, weil dieser in seiner Zeitung
eine unwahre, skandalöse Notiz über ein Familienmitglied des
Generals gebracht und in dem wegen dieser Verleumdung an¬
hängig gemachten Prozesse die Keckheit gehabt hatte, den "Wahrheitsbeweis"
für seine Behauptung anzutreten. Dieser Wahrheitsbeweis wurde zwar vom


Der „Lali Kirchhof

bekanntlich dem Landlord für die bloße Erlaubnis, auf seinem Grund und
Boden Wohnungen zu errichten, Lieeuzen zu zahlen, während die errichteten
Wohnungen selbst nach neunundneunzig Jahren an den Grundherrn ohne
jede Entschädigung heimfallen. Immerhin ist es das Verdienst dieser Einrich¬
tung, die private Bauspekulation in gewissen Schranken und deu Mietzins
noch auf erträglicher Höhe gehalten zu haben. Die Landreform kann deshalb
auch für die Städte nur dann segensreich wirken, wenn sie, vielleicht durch
Übertragung des Eigentums an die Gemeinden, dem drohenden Grundstücks¬
wucher der Privatspekulanten vorzubeugen versteht. Dein englischen Wohn¬
hause wäre dabei zu gönnen, daß es künftig geräumiger, gediegner und ge¬
schmackvoller hergestellt würde. Ich habe wenigstens selbst in den vornehmen
Vierteln des Westends von London die englischen „Burgen" (in^ Iwuse- in,^
vastis) äußerst einförmig und fast von liliputartiger Niedlichkeit gefunden.
Das Bewußtsein, allein im eignen Hanse zu wohnen, scheint für manche Un¬
bequemlichkeit entschuldigen zu müssen.

Von London schweige ich. Davon erzählen, hieße Blumen in die Knopf¬
löcher der Cockneys stecken. Aber jeder Bericht über eine Sommerreise nach
England aus dem Jahre 1893 wäre unvollständig, wenn er nicht Daisy
Betts gedächte, eines Kouplets im Walzertakte, der Liebeserklärung eines Bicykle-
fcchrers an seine Daisy. Es verfolgte mich bis hinauf nach Edinburg und
wieder zurück in allen Städten, auf allen Gassen, am Strande, in der Eisen¬
bahn, auf dein Schiff, im Hotel, gesungen, gepfiffen, geblasen, geklimpert, ge¬
trampelt, ja ganze Volksversammlungen haben es gesungen, um einen un¬
beliebten Redner mundtot zu machen. Ich habe es mir mitgebracht und habe
neulich in einem Kreise, der wie ich selbst das harte Verdammungsurteil der
Grenzboten über den modernen Gassenhauer „voll und ganz" unterschreibt,
mit seinem Vortrag stürmischen Beifall geerntet.




Der „Fall Kirchhof"

n Berlin hat, wie bekannt, vor kurzer Zeit der General z. D.
Kirchhof auf einen gewissen Harich, einen sogenannten Redakteur
des Berliner Tageblatts, geschossen, weil dieser in seiner Zeitung
eine unwahre, skandalöse Notiz über ein Familienmitglied des
Generals gebracht und in dem wegen dieser Verleumdung an¬
hängig gemachten Prozesse die Keckheit gehabt hatte, den „Wahrheitsbeweis"
für seine Behauptung anzutreten. Dieser Wahrheitsbeweis wurde zwar vom


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[0242] Der „Lali Kirchhof bekanntlich dem Landlord für die bloße Erlaubnis, auf seinem Grund und Boden Wohnungen zu errichten, Lieeuzen zu zahlen, während die errichteten Wohnungen selbst nach neunundneunzig Jahren an den Grundherrn ohne jede Entschädigung heimfallen. Immerhin ist es das Verdienst dieser Einrich¬ tung, die private Bauspekulation in gewissen Schranken und deu Mietzins noch auf erträglicher Höhe gehalten zu haben. Die Landreform kann deshalb auch für die Städte nur dann segensreich wirken, wenn sie, vielleicht durch Übertragung des Eigentums an die Gemeinden, dem drohenden Grundstücks¬ wucher der Privatspekulanten vorzubeugen versteht. Dein englischen Wohn¬ hause wäre dabei zu gönnen, daß es künftig geräumiger, gediegner und ge¬ schmackvoller hergestellt würde. Ich habe wenigstens selbst in den vornehmen Vierteln des Westends von London die englischen „Burgen" (in^ Iwuse- in,^ vastis) äußerst einförmig und fast von liliputartiger Niedlichkeit gefunden. Das Bewußtsein, allein im eignen Hanse zu wohnen, scheint für manche Un¬ bequemlichkeit entschuldigen zu müssen. Von London schweige ich. Davon erzählen, hieße Blumen in die Knopf¬ löcher der Cockneys stecken. Aber jeder Bericht über eine Sommerreise nach England aus dem Jahre 1893 wäre unvollständig, wenn er nicht Daisy Betts gedächte, eines Kouplets im Walzertakte, der Liebeserklärung eines Bicykle- fcchrers an seine Daisy. Es verfolgte mich bis hinauf nach Edinburg und wieder zurück in allen Städten, auf allen Gassen, am Strande, in der Eisen¬ bahn, auf dein Schiff, im Hotel, gesungen, gepfiffen, geblasen, geklimpert, ge¬ trampelt, ja ganze Volksversammlungen haben es gesungen, um einen un¬ beliebten Redner mundtot zu machen. Ich habe es mir mitgebracht und habe neulich in einem Kreise, der wie ich selbst das harte Verdammungsurteil der Grenzboten über den modernen Gassenhauer „voll und ganz" unterschreibt, mit seinem Vortrag stürmischen Beifall geerntet. Der „Fall Kirchhof" n Berlin hat, wie bekannt, vor kurzer Zeit der General z. D. Kirchhof auf einen gewissen Harich, einen sogenannten Redakteur des Berliner Tageblatts, geschossen, weil dieser in seiner Zeitung eine unwahre, skandalöse Notiz über ein Familienmitglied des Generals gebracht und in dem wegen dieser Verleumdung an¬ hängig gemachten Prozesse die Keckheit gehabt hatte, den „Wahrheitsbeweis" für seine Behauptung anzutreten. Dieser Wahrheitsbeweis wurde zwar vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/242>, abgerufen am 22.07.2024.