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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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er wird erkennen, daß es weder die Klugheit der englischen Staatsmänner
noch die Sorgfalt der britischen Verwaltung ist, die die englische Herrschaft
auf der Halbinsel ermöglicht, sondern einzig und allein die Zersplitterung der
indischen Bevölkerung.




Die Sprache der gerichtliche!: Entscheidungen
V. Bähr Von

is ich im Jahre 1883 eine Sammlung von "Urteilen des Reichs¬
gerichts mit Besprechungen" herausgab, glaubte ich in der Vor¬
rede mich auch über die Form der Urteile aussprechen zu sollen.
Ich sagte damals: "Man sollte doch nie vergessen, daß das
richterliche Urteil ein Staatsakt ist und sich in deu würdigen
und gemessenen Formen eines solchen zu halten hat. Neben der gebotnen Klar¬
heit ist das erste Erfordernis bündige Kürze. Das Urteil soll nie in doktrinäre
Redseligkeit verfallen. Der Richter hat nicht den Beruf, alles, was ihm dabei
durch deu Kopf geht, vffeuzulcgeu. Nur die positiven Gründe der Entscheidung
soll das Urteil aussprechen. Zweifelsgründe sind nur dann hervorzuheben,
wenn sie von den Parteien gebracht oder dnrch den Ausspruch der Vvrinstanz
angeregt sind. Wissenschaftliche Autoritäten gehören nicht in das Urteil; noch
weniger polemische Auseinandersetzungen mit solchen. Der Richter soll mit
seiner Ansicht selbständig auftreten. Wie er sie sich gebildet hat, gehört nicht
zur Sache." Ich kann mich nicht rühmen, mit diesen Worten einen sonderlichen
Erfolg gehabt zu haben. Die Urteile des Reichsgerichts sind seitdem nur noch
weitschweifiger geworden, und viele Gerichte folgen diesem Beispiele. Vor
kurzem hat jedoch in einer Schrift eines Mitgliedes des Reichsgerichts meine
frühere Äußerung ein lebhaftes Echo gesunde".") Auch der Verfasser dieses
Schriftchens -- dem meine frühere Äußerung wohl nicht bekannt gewesen ist --
stellt an die Spitze seiner Ausführung deu Satz: "Das Urteil ist ein Staatsakt
und als solcher von besondrer Wichtigkeit. Daraus folgt: die Sprache muß
würdig, streng und gemessen auftreten." Daran knüpfen sich folgende weitern
Sätze: "Die Urteilsgründe sollen von hurtiger Kürze sein und sich auf den
Gegenstand der Entscheidung beschränken. Die Begründung muß als behörd¬
licher Ausspruch streug und gemessen gehalten sein. Das Urteil wird von



*) Die Sprache in den gerichtlichen Entscheidungen von Hera. Dauben Speck,
Reichsgerichtsrat. Berlin, Fr. Vahlcn, 1893.

er wird erkennen, daß es weder die Klugheit der englischen Staatsmänner
noch die Sorgfalt der britischen Verwaltung ist, die die englische Herrschaft
auf der Halbinsel ermöglicht, sondern einzig und allein die Zersplitterung der
indischen Bevölkerung.




Die Sprache der gerichtliche!: Entscheidungen
V. Bähr Von

is ich im Jahre 1883 eine Sammlung von „Urteilen des Reichs¬
gerichts mit Besprechungen" herausgab, glaubte ich in der Vor¬
rede mich auch über die Form der Urteile aussprechen zu sollen.
Ich sagte damals: „Man sollte doch nie vergessen, daß das
richterliche Urteil ein Staatsakt ist und sich in deu würdigen
und gemessenen Formen eines solchen zu halten hat. Neben der gebotnen Klar¬
heit ist das erste Erfordernis bündige Kürze. Das Urteil soll nie in doktrinäre
Redseligkeit verfallen. Der Richter hat nicht den Beruf, alles, was ihm dabei
durch deu Kopf geht, vffeuzulcgeu. Nur die positiven Gründe der Entscheidung
soll das Urteil aussprechen. Zweifelsgründe sind nur dann hervorzuheben,
wenn sie von den Parteien gebracht oder dnrch den Ausspruch der Vvrinstanz
angeregt sind. Wissenschaftliche Autoritäten gehören nicht in das Urteil; noch
weniger polemische Auseinandersetzungen mit solchen. Der Richter soll mit
seiner Ansicht selbständig auftreten. Wie er sie sich gebildet hat, gehört nicht
zur Sache." Ich kann mich nicht rühmen, mit diesen Worten einen sonderlichen
Erfolg gehabt zu haben. Die Urteile des Reichsgerichts sind seitdem nur noch
weitschweifiger geworden, und viele Gerichte folgen diesem Beispiele. Vor
kurzem hat jedoch in einer Schrift eines Mitgliedes des Reichsgerichts meine
frühere Äußerung ein lebhaftes Echo gesunde».") Auch der Verfasser dieses
Schriftchens — dem meine frühere Äußerung wohl nicht bekannt gewesen ist —
stellt an die Spitze seiner Ausführung deu Satz: „Das Urteil ist ein Staatsakt
und als solcher von besondrer Wichtigkeit. Daraus folgt: die Sprache muß
würdig, streng und gemessen auftreten." Daran knüpfen sich folgende weitern
Sätze: „Die Urteilsgründe sollen von hurtiger Kürze sein und sich auf den
Gegenstand der Entscheidung beschränken. Die Begründung muß als behörd¬
licher Ausspruch streug und gemessen gehalten sein. Das Urteil wird von



*) Die Sprache in den gerichtlichen Entscheidungen von Hera. Dauben Speck,
Reichsgerichtsrat. Berlin, Fr. Vahlcn, 1893.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/127>, abgerufen am 27.06.2024.