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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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deutschen Gerichten erlassen und ist für deutsche Gerichtseiugesessene bestimmt,
muß also für jeden gebildeten Deutschen verständlich sein." Jeden dieser Sätze
führt der Verfasser im einzelnen näher aus, wobei er zugleich mit zahlreichen
Beispielen belegt, wie dagegen gefehlt zu werden pflegt.

Diese Ausführungen aus der Feder eines uoch thätigen Neichsgerichts-
mitgliedes sind gewiß sehr erfreulich. Man wird ihnen auch in ihren Einzel¬
heiten fast durchweg zustimmen können. Ju manchen Beziehungen erinnern sie
an den Sprachunterricht, den uns allen Wnstmann in seinen "Sprach¬
dummheiten" erteilt hat. Ja man konnte daS Büchelchen einen "kleinen
Wnstmann für Richter" nennen. Es darf wohl auch an die Schrift die Hoff-
nung geknüpft werden, daß sich mancher Richter diesen oder jenen Übeln Aus¬
druck oder Sprachfehler, der die heutige Juristensprache beherrscht, abgewöhnen
werde. Zweifelhafter ist es, ob sich auch noch weitergehende Hoffnungen daran
knüpfen lassen. Kann man Menschen durch Zureden dahin bringen, daß sie sich
kurz und bündig, einfach und klar oder gar edel und vornehm ausdrücken, wenn
sie nach ihrer gnuzeu Denkweise und ihrem Bildungsgrade nicht dazu geeignet
sind? Es geht das ebenso wenig, wie man einen geistesarmen Menschen durch
Zureden dazu bringen kaun, geistreich zu sein. Gutes Deutsch zu schreiben,
ist eine Kunst, die nicht jeder Deutsche zu üben versteht. Der Berfasser mag
Recht haben, wenn er darüber klagt, daß der Schulunterricht zu wenig auf
Förderung dieser Kunst gerichtet sei. Aber es schreiben doch heute manche ein
leidliches Deutsch, die es in ihrer Jugend auch nicht gelernt haben. Der
Richter, der mit seiner Thätigkeit in alle Lebensverhältnisse einzugreifen berufen
ist, sollte ein durchaus gebildeter Maun sein. Leider sind das aber nicht alle
Richter, und das zeigt sich anch in ihrer Schreibweise.

Ein Weg, auf dem man zu einer erträglicher" Form der richterlichen Ur¬
teile gelangen könnte, ist von mir schon in der erwähnten Borrede angedeutet
worden. Es wäre der, daß mau sich entschlösse, wieder wirkliche Urteile zu
schreiben und nicht in Urteilsform eingekleidete Relationen. Denn das sind
unsre heutigen Urteile.

In früherer Zeit fertigte der bei Gericht für die Sache bestellte Referent
nach den Akten eine Schrift an, die neben der Geschichtserzählung ein aus¬
führliches Gutachten enthielt. Diese Schrift hieß Relation. Die Relation
beleuchtete den Rechtsfall nach allen Seiten hin, enthielt wissenschaftliche Aus¬
führungen, die oft reichlich mit Zitaten gespickt waren, erörterte dabei auch
Zmeifelsgründe u. f. w.; kurz, der Referent erging sich darin in seiner ganzen
wissenschaftlichen Eigentümlichkeit. Diese Relation wurde im Schoße des Ge¬
richts vorgetragen, darnach der Fall beraten und über das zu gebende Urteil
Beschluß gefaßt. Nach diesem Beschlusse hatte dann der Referent das Urteil
anzufertigen, das auch in seiner Fassung wieder der Prüfung des Gerichts
unterlag. Dieses Urteil war aber etwas ganz andres als die Relation. Es


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deutschen Gerichten erlassen und ist für deutsche Gerichtseiugesessene bestimmt,
muß also für jeden gebildeten Deutschen verständlich sein." Jeden dieser Sätze
führt der Verfasser im einzelnen näher aus, wobei er zugleich mit zahlreichen
Beispielen belegt, wie dagegen gefehlt zu werden pflegt.

Diese Ausführungen aus der Feder eines uoch thätigen Neichsgerichts-
mitgliedes sind gewiß sehr erfreulich. Man wird ihnen auch in ihren Einzel¬
heiten fast durchweg zustimmen können. Ju manchen Beziehungen erinnern sie
an den Sprachunterricht, den uns allen Wnstmann in seinen „Sprach¬
dummheiten" erteilt hat. Ja man konnte daS Büchelchen einen „kleinen
Wnstmann für Richter" nennen. Es darf wohl auch an die Schrift die Hoff-
nung geknüpft werden, daß sich mancher Richter diesen oder jenen Übeln Aus¬
druck oder Sprachfehler, der die heutige Juristensprache beherrscht, abgewöhnen
werde. Zweifelhafter ist es, ob sich auch noch weitergehende Hoffnungen daran
knüpfen lassen. Kann man Menschen durch Zureden dahin bringen, daß sie sich
kurz und bündig, einfach und klar oder gar edel und vornehm ausdrücken, wenn
sie nach ihrer gnuzeu Denkweise und ihrem Bildungsgrade nicht dazu geeignet
sind? Es geht das ebenso wenig, wie man einen geistesarmen Menschen durch
Zureden dazu bringen kaun, geistreich zu sein. Gutes Deutsch zu schreiben,
ist eine Kunst, die nicht jeder Deutsche zu üben versteht. Der Berfasser mag
Recht haben, wenn er darüber klagt, daß der Schulunterricht zu wenig auf
Förderung dieser Kunst gerichtet sei. Aber es schreiben doch heute manche ein
leidliches Deutsch, die es in ihrer Jugend auch nicht gelernt haben. Der
Richter, der mit seiner Thätigkeit in alle Lebensverhältnisse einzugreifen berufen
ist, sollte ein durchaus gebildeter Maun sein. Leider sind das aber nicht alle
Richter, und das zeigt sich anch in ihrer Schreibweise.

Ein Weg, auf dem man zu einer erträglicher» Form der richterlichen Ur¬
teile gelangen könnte, ist von mir schon in der erwähnten Borrede angedeutet
worden. Es wäre der, daß mau sich entschlösse, wieder wirkliche Urteile zu
schreiben und nicht in Urteilsform eingekleidete Relationen. Denn das sind
unsre heutigen Urteile.

In früherer Zeit fertigte der bei Gericht für die Sache bestellte Referent
nach den Akten eine Schrift an, die neben der Geschichtserzählung ein aus¬
führliches Gutachten enthielt. Diese Schrift hieß Relation. Die Relation
beleuchtete den Rechtsfall nach allen Seiten hin, enthielt wissenschaftliche Aus¬
führungen, die oft reichlich mit Zitaten gespickt waren, erörterte dabei auch
Zmeifelsgründe u. f. w.; kurz, der Referent erging sich darin in seiner ganzen
wissenschaftlichen Eigentümlichkeit. Diese Relation wurde im Schoße des Ge¬
richts vorgetragen, darnach der Fall beraten und über das zu gebende Urteil
Beschluß gefaßt. Nach diesem Beschlusse hatte dann der Referent das Urteil
anzufertigen, das auch in seiner Fassung wieder der Prüfung des Gerichts
unterlag. Dieses Urteil war aber etwas ganz andres als die Relation. Es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/128>, abgerufen am 30.06.2024.