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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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von unsern Hochschulen

nicht gedacht werden konnte, auf den Einbänder einzurichten beginnt. Es ist
unter Umständen ganz lustig zu sehen, wie durch die hierher gehörigen Ro¬
mane z. B. Des Nächsten Weib von Georg Engel (Berlin, Friedrich und
Comp.), die alten Ideale der Viergroschengaleric wieder wandeln, neu auf¬
geputzt natürlich lind naturalistisch drapirt. Ju dem angeführten Roman tritt
der selige Graf von Monte-Christo als Kapitän von Holstein mit fabelhafte"
Reichtümern und ebenso fabelhaftem Rachedurst auf, der moderne große Effekt
liegt darin, daß diesmal "Des Nächsten Weib" seine Stiefmutter, die schone
junge Frau seines verkommnen Vaters ist, und daß die "Erbschaft des Blutes"
den Kapitän samt seinem Vater in den Untergang jagt. Doch das sind
Kritilerfrenden, deren Nachgeuuß wir unsern Lesern nicht zumuten können.
Den "Einbänder" aber wollen wir doch im Auge behalten. Die neueste Lit¬
teratur leidet, trotz aller "Sensation," so an innerer Eintönigkeit, daß sie nicht
auch uoch der Uniformirung der Komposition und des äußern Umfangs an¬
heimfallen sollte.




Oon unsern Hochschulen

rofessvr Schmoller in Berlin hat diesmal sein Kolleg mit einigen
beachtenswerten Bemerkungen über die Lebensweise unsrer Stu¬
denten geschlossen. Berliner Blättern zufolge hat er unter anderen
gesagt: "Meine Herren. Ich bin weit entfernt, jeden tadeln zu
wollen, der Vorlesungen schwärzt. Vor allem die ältern und
fleißigen Leute, in denen ein lebendiger Wissenstrieb erwacht ist, die viel lesen,
zu Hause arbeiten, sie können oft ihre Zeit besser verwenden, als zum Hören
von Kollegien. Was mich schmerzt, ist nur die Thatsache, daß so viele Studi-
rende zwei bis drei Jahre überhaupt nichts thun, nichts lernen, als Bummeln
und Faulenzen. Ich habe mich gar nichts dagegen, daß die Jugend sich mal
austobe, ewige Tollheiten mache. Aber zwei bis drei Jahre in ocmUnuo nichts
thun, das wird sonst in der ganzen Welt keinem Erwachsenen gestattet, das
kommt in keiner andern Karriere vor, das hat in keinem Erziehungsshstem der
Welt sonst einen Platz. Wer zwei bis drei Jahre nur faulenzt, Frühschoppen
trinkt, Komment lernt, sich einem trägen Genußleben ergiebt, der muß körper¬
lich und geistig zu Grunde gehen. Aus dem kann nur ausnahmsweise später
noch etwas werden. Wir dürfen nicht so viele Referendare, Assessoren, Richter,
Landräte und Geheime Räte haben, die nichts ans der Universität gelernt


von unsern Hochschulen

nicht gedacht werden konnte, auf den Einbänder einzurichten beginnt. Es ist
unter Umständen ganz lustig zu sehen, wie durch die hierher gehörigen Ro¬
mane z. B. Des Nächsten Weib von Georg Engel (Berlin, Friedrich und
Comp.), die alten Ideale der Viergroschengaleric wieder wandeln, neu auf¬
geputzt natürlich lind naturalistisch drapirt. Ju dem angeführten Roman tritt
der selige Graf von Monte-Christo als Kapitän von Holstein mit fabelhafte»
Reichtümern und ebenso fabelhaftem Rachedurst auf, der moderne große Effekt
liegt darin, daß diesmal „Des Nächsten Weib" seine Stiefmutter, die schone
junge Frau seines verkommnen Vaters ist, und daß die „Erbschaft des Blutes"
den Kapitän samt seinem Vater in den Untergang jagt. Doch das sind
Kritilerfrenden, deren Nachgeuuß wir unsern Lesern nicht zumuten können.
Den „Einbänder" aber wollen wir doch im Auge behalten. Die neueste Lit¬
teratur leidet, trotz aller „Sensation," so an innerer Eintönigkeit, daß sie nicht
auch uoch der Uniformirung der Komposition und des äußern Umfangs an¬
heimfallen sollte.




Oon unsern Hochschulen

rofessvr Schmoller in Berlin hat diesmal sein Kolleg mit einigen
beachtenswerten Bemerkungen über die Lebensweise unsrer Stu¬
denten geschlossen. Berliner Blättern zufolge hat er unter anderen
gesagt: „Meine Herren. Ich bin weit entfernt, jeden tadeln zu
wollen, der Vorlesungen schwärzt. Vor allem die ältern und
fleißigen Leute, in denen ein lebendiger Wissenstrieb erwacht ist, die viel lesen,
zu Hause arbeiten, sie können oft ihre Zeit besser verwenden, als zum Hören
von Kollegien. Was mich schmerzt, ist nur die Thatsache, daß so viele Studi-
rende zwei bis drei Jahre überhaupt nichts thun, nichts lernen, als Bummeln
und Faulenzen. Ich habe mich gar nichts dagegen, daß die Jugend sich mal
austobe, ewige Tollheiten mache. Aber zwei bis drei Jahre in ocmUnuo nichts
thun, das wird sonst in der ganzen Welt keinem Erwachsenen gestattet, das
kommt in keiner andern Karriere vor, das hat in keinem Erziehungsshstem der
Welt sonst einen Platz. Wer zwei bis drei Jahre nur faulenzt, Frühschoppen
trinkt, Komment lernt, sich einem trägen Genußleben ergiebt, der muß körper¬
lich und geistig zu Grunde gehen. Aus dem kann nur ausnahmsweise später
noch etwas werden. Wir dürfen nicht so viele Referendare, Assessoren, Richter,
Landräte und Geheime Räte haben, die nichts ans der Universität gelernt


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[0424] von unsern Hochschulen nicht gedacht werden konnte, auf den Einbänder einzurichten beginnt. Es ist unter Umständen ganz lustig zu sehen, wie durch die hierher gehörigen Ro¬ mane z. B. Des Nächsten Weib von Georg Engel (Berlin, Friedrich und Comp.), die alten Ideale der Viergroschengaleric wieder wandeln, neu auf¬ geputzt natürlich lind naturalistisch drapirt. Ju dem angeführten Roman tritt der selige Graf von Monte-Christo als Kapitän von Holstein mit fabelhafte» Reichtümern und ebenso fabelhaftem Rachedurst auf, der moderne große Effekt liegt darin, daß diesmal „Des Nächsten Weib" seine Stiefmutter, die schone junge Frau seines verkommnen Vaters ist, und daß die „Erbschaft des Blutes" den Kapitän samt seinem Vater in den Untergang jagt. Doch das sind Kritilerfrenden, deren Nachgeuuß wir unsern Lesern nicht zumuten können. Den „Einbänder" aber wollen wir doch im Auge behalten. Die neueste Lit¬ teratur leidet, trotz aller „Sensation," so an innerer Eintönigkeit, daß sie nicht auch uoch der Uniformirung der Komposition und des äußern Umfangs an¬ heimfallen sollte. Oon unsern Hochschulen rofessvr Schmoller in Berlin hat diesmal sein Kolleg mit einigen beachtenswerten Bemerkungen über die Lebensweise unsrer Stu¬ denten geschlossen. Berliner Blättern zufolge hat er unter anderen gesagt: „Meine Herren. Ich bin weit entfernt, jeden tadeln zu wollen, der Vorlesungen schwärzt. Vor allem die ältern und fleißigen Leute, in denen ein lebendiger Wissenstrieb erwacht ist, die viel lesen, zu Hause arbeiten, sie können oft ihre Zeit besser verwenden, als zum Hören von Kollegien. Was mich schmerzt, ist nur die Thatsache, daß so viele Studi- rende zwei bis drei Jahre überhaupt nichts thun, nichts lernen, als Bummeln und Faulenzen. Ich habe mich gar nichts dagegen, daß die Jugend sich mal austobe, ewige Tollheiten mache. Aber zwei bis drei Jahre in ocmUnuo nichts thun, das wird sonst in der ganzen Welt keinem Erwachsenen gestattet, das kommt in keiner andern Karriere vor, das hat in keinem Erziehungsshstem der Welt sonst einen Platz. Wer zwei bis drei Jahre nur faulenzt, Frühschoppen trinkt, Komment lernt, sich einem trägen Genußleben ergiebt, der muß körper¬ lich und geistig zu Grunde gehen. Aus dem kann nur ausnahmsweise später noch etwas werden. Wir dürfen nicht so viele Referendare, Assessoren, Richter, Landräte und Geheime Räte haben, die nichts ans der Universität gelernt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/424>, abgerufen am 23.11.2024.