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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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von unsern Hochschulen

haben, als die Äußerlichkeiten und Genüsse des Studentenlebens. Unsre be¬
sitzenden und gebildeten Klassen sägen den Ast ab, auf dem sie sitzen, wenn
sie einem Drittel ihrer Söhne derartiges gestatten. Unter den Fehlern aristo¬
kratischer Gesellschaftsklassen stehen stets die frivolen Ausschreitungen der heran¬
wachsenden Generation, die vollends in materialistischer Zeit nur genießen,
Patent und schneidig auftreten und nichts arbeiten will, in erster Linie. Nichts
erbittert mehr, als ein solches Treibe". Oft hat es in der Geschichte den
Anlaß zu Umwälzungen gegeben. Nicht also um die harmlose Frage, ob der
Student einmal mehr oder weniger schwarze, handelt es sich, sondern um das
geistige und sittliche Niveau unsrer Beamten, unsrer Lehrer, unsrer führenden
Kreise überhaupt, um die Zukunft des preußischen und des deutschen Staats."

Alles das ist so zutreffend, wie nur etwas sein kann. Im großen Publikum
aber wird man sich verwundert fragen: Ja, wie hat man es denn so weit
kommen lassen können? Ist es denn eine unabänderliche Naturnotwendigkeit,
daß unsre höhern Beamten und Lehrer drei Jahre bummeln, ehe sie sich den
Strapaze" ihres Berufslebens aussetzen? Und wenn das nicht der Fall ist,
was man doch beinahe glauben sollte, warum hat man denn dieser Mißwirt¬
schaft beschaulich zugesehen?

Die Antwort auf diese Fragen hat einmal ein zorniger Volksvertreter in
etwas gewagter, aber nicht unzutreffender Form also ausgesprochen: "Die
Universitäten sind wie rohe Eier; sobald mau sie aufaßt, stellen sie sich auf
die Hinterbeine." Man braucht nur ein Wort davon fallen zu lassen, daß
es mit der Bummelei auf unsern Hochschulen nicht so weiter gehen könne, und
gleich erhebt sich ein gewaltiges Geschnatter derer, die das Kapitol retten wollen,
indem sie behaupten, die "akademische Freiheit" sei in Gefahr. Man kann
aber der Meinung sein, daß nicht nur etwas, sondern recht vieles faul sei an
der Verfassung unsrer Hochschulen, ohne darum das Heilmittel des Übels in
Kvllegienzwang und staatlicher Beaufsichtigung zu suchen. Diese Segnungen
Preußischer Staatsweisheit können wir im Schoße der Zeiten ruhen lassen, bis
die goldne "Kulturepoche" angebrochen ist, wo pensionirte Unteroffiziere die
Vermittler der Volksbildung geworden sind. Übrigens würde das Angstgeschrei
um die akademische Freiheit wohl kaum den Erfolg gehabt haben, die Rufe
wich Reform des akademischen Studiums immer wieder zu übertäuben, wenn
uicht von andrer Seite eine Frage in die Reform hineingezerrt würde, die
auch nichts damit zu thun hat oder doch erst in zweiter Linie kommt, die
Frage des Duellwesens oder Unwesens, wie man will. Wo tausend junge
Leute i" dein engen Raum eiues kleinen Städtchens beisammen leben, da sind
Reibereien unvermeidlich. Daß diese in geregelter Form mit der blanken Waffe
ausgeglichen werden, scheint mir immer noch besser zu sein als der Pariser
Gebrauch, wo die Musensöhne in solchen Füllen mit Spazierstöcken und andern
Hölzern auf einander losschlagen. Freilich hat das Fechten anf den Univer-


Grenzbvteu III 189L ÜZ
von unsern Hochschulen

haben, als die Äußerlichkeiten und Genüsse des Studentenlebens. Unsre be¬
sitzenden und gebildeten Klassen sägen den Ast ab, auf dem sie sitzen, wenn
sie einem Drittel ihrer Söhne derartiges gestatten. Unter den Fehlern aristo¬
kratischer Gesellschaftsklassen stehen stets die frivolen Ausschreitungen der heran¬
wachsenden Generation, die vollends in materialistischer Zeit nur genießen,
Patent und schneidig auftreten und nichts arbeiten will, in erster Linie. Nichts
erbittert mehr, als ein solches Treibe». Oft hat es in der Geschichte den
Anlaß zu Umwälzungen gegeben. Nicht also um die harmlose Frage, ob der
Student einmal mehr oder weniger schwarze, handelt es sich, sondern um das
geistige und sittliche Niveau unsrer Beamten, unsrer Lehrer, unsrer führenden
Kreise überhaupt, um die Zukunft des preußischen und des deutschen Staats."

Alles das ist so zutreffend, wie nur etwas sein kann. Im großen Publikum
aber wird man sich verwundert fragen: Ja, wie hat man es denn so weit
kommen lassen können? Ist es denn eine unabänderliche Naturnotwendigkeit,
daß unsre höhern Beamten und Lehrer drei Jahre bummeln, ehe sie sich den
Strapaze» ihres Berufslebens aussetzen? Und wenn das nicht der Fall ist,
was man doch beinahe glauben sollte, warum hat man denn dieser Mißwirt¬
schaft beschaulich zugesehen?

Die Antwort auf diese Fragen hat einmal ein zorniger Volksvertreter in
etwas gewagter, aber nicht unzutreffender Form also ausgesprochen: „Die
Universitäten sind wie rohe Eier; sobald mau sie aufaßt, stellen sie sich auf
die Hinterbeine." Man braucht nur ein Wort davon fallen zu lassen, daß
es mit der Bummelei auf unsern Hochschulen nicht so weiter gehen könne, und
gleich erhebt sich ein gewaltiges Geschnatter derer, die das Kapitol retten wollen,
indem sie behaupten, die „akademische Freiheit" sei in Gefahr. Man kann
aber der Meinung sein, daß nicht nur etwas, sondern recht vieles faul sei an
der Verfassung unsrer Hochschulen, ohne darum das Heilmittel des Übels in
Kvllegienzwang und staatlicher Beaufsichtigung zu suchen. Diese Segnungen
Preußischer Staatsweisheit können wir im Schoße der Zeiten ruhen lassen, bis
die goldne „Kulturepoche" angebrochen ist, wo pensionirte Unteroffiziere die
Vermittler der Volksbildung geworden sind. Übrigens würde das Angstgeschrei
um die akademische Freiheit wohl kaum den Erfolg gehabt haben, die Rufe
wich Reform des akademischen Studiums immer wieder zu übertäuben, wenn
uicht von andrer Seite eine Frage in die Reform hineingezerrt würde, die
auch nichts damit zu thun hat oder doch erst in zweiter Linie kommt, die
Frage des Duellwesens oder Unwesens, wie man will. Wo tausend junge
Leute i« dein engen Raum eiues kleinen Städtchens beisammen leben, da sind
Reibereien unvermeidlich. Daß diese in geregelter Form mit der blanken Waffe
ausgeglichen werden, scheint mir immer noch besser zu sein als der Pariser
Gebrauch, wo die Musensöhne in solchen Füllen mit Spazierstöcken und andern
Hölzern auf einander losschlagen. Freilich hat das Fechten anf den Univer-


Grenzbvteu III 189L ÜZ
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[0425] von unsern Hochschulen haben, als die Äußerlichkeiten und Genüsse des Studentenlebens. Unsre be¬ sitzenden und gebildeten Klassen sägen den Ast ab, auf dem sie sitzen, wenn sie einem Drittel ihrer Söhne derartiges gestatten. Unter den Fehlern aristo¬ kratischer Gesellschaftsklassen stehen stets die frivolen Ausschreitungen der heran¬ wachsenden Generation, die vollends in materialistischer Zeit nur genießen, Patent und schneidig auftreten und nichts arbeiten will, in erster Linie. Nichts erbittert mehr, als ein solches Treibe». Oft hat es in der Geschichte den Anlaß zu Umwälzungen gegeben. Nicht also um die harmlose Frage, ob der Student einmal mehr oder weniger schwarze, handelt es sich, sondern um das geistige und sittliche Niveau unsrer Beamten, unsrer Lehrer, unsrer führenden Kreise überhaupt, um die Zukunft des preußischen und des deutschen Staats." Alles das ist so zutreffend, wie nur etwas sein kann. Im großen Publikum aber wird man sich verwundert fragen: Ja, wie hat man es denn so weit kommen lassen können? Ist es denn eine unabänderliche Naturnotwendigkeit, daß unsre höhern Beamten und Lehrer drei Jahre bummeln, ehe sie sich den Strapaze» ihres Berufslebens aussetzen? Und wenn das nicht der Fall ist, was man doch beinahe glauben sollte, warum hat man denn dieser Mißwirt¬ schaft beschaulich zugesehen? Die Antwort auf diese Fragen hat einmal ein zorniger Volksvertreter in etwas gewagter, aber nicht unzutreffender Form also ausgesprochen: „Die Universitäten sind wie rohe Eier; sobald mau sie aufaßt, stellen sie sich auf die Hinterbeine." Man braucht nur ein Wort davon fallen zu lassen, daß es mit der Bummelei auf unsern Hochschulen nicht so weiter gehen könne, und gleich erhebt sich ein gewaltiges Geschnatter derer, die das Kapitol retten wollen, indem sie behaupten, die „akademische Freiheit" sei in Gefahr. Man kann aber der Meinung sein, daß nicht nur etwas, sondern recht vieles faul sei an der Verfassung unsrer Hochschulen, ohne darum das Heilmittel des Übels in Kvllegienzwang und staatlicher Beaufsichtigung zu suchen. Diese Segnungen Preußischer Staatsweisheit können wir im Schoße der Zeiten ruhen lassen, bis die goldne „Kulturepoche" angebrochen ist, wo pensionirte Unteroffiziere die Vermittler der Volksbildung geworden sind. Übrigens würde das Angstgeschrei um die akademische Freiheit wohl kaum den Erfolg gehabt haben, die Rufe wich Reform des akademischen Studiums immer wieder zu übertäuben, wenn uicht von andrer Seite eine Frage in die Reform hineingezerrt würde, die auch nichts damit zu thun hat oder doch erst in zweiter Linie kommt, die Frage des Duellwesens oder Unwesens, wie man will. Wo tausend junge Leute i« dein engen Raum eiues kleinen Städtchens beisammen leben, da sind Reibereien unvermeidlich. Daß diese in geregelter Form mit der blanken Waffe ausgeglichen werden, scheint mir immer noch besser zu sein als der Pariser Gebrauch, wo die Musensöhne in solchen Füllen mit Spazierstöcken und andern Hölzern auf einander losschlagen. Freilich hat das Fechten anf den Univer- Grenzbvteu III 189L ÜZ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/425>, abgerufen am 23.11.2024.