Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Von Wucher. Der den Grenzbotenlesern wohl bekannte or. Leopold Cnro Da in dieser kurzen Anzeige auf das Wesen des Übels natürlich nicht ein¬ Das Hauptgewicht legen wir auf die verschiednen Arten von Wucher, zu Maßgebliches und Unmaßgebliches Von Wucher. Der den Grenzbotenlesern wohl bekannte or. Leopold Cnro Da in dieser kurzen Anzeige auf das Wesen des Übels natürlich nicht ein¬ Das Hauptgewicht legen wir auf die verschiednen Arten von Wucher, zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214550"/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> Von Wucher.</head> <p xml:id="ID_356"> Der den Grenzbotenlesern wohl bekannte or. Leopold Cnro<lb/> in Lemberg hat bei Duncker und Humblot in Leipzig ein sehr gehaltvolles Buch<lb/> herausgegeben: „Der Wucher, eine sozialpolitische Studie." In der Vorrede<lb/> sagt er: „Mein Essay: »Die Judenfrage, eine ethische Frage« (Leipzig, Fr. W.<lb/> Grnnow, 1892), das jsiolj an Stelle des bisherigen Verluschuugssystems eine<lb/> andre Methode der Bekämpfung des Antisemitismus vorschlug, die Methode strenger<lb/> Wahrhaftigkeit und unnachsichtlicher Preisgebung der Schuldigen, wurde von den<lb/> Juden mißverstanden und ich selbst mit niedrigen Schmähungen überhäuft; von<lb/> den Antisemiten dagegen, deren offner aber loyaler Gegner ich stets war und<lb/> bleiben will, wurde dieselbe Schrift meistens gelobt und zum Ausgangspunkte neuer,<lb/> von mir gewiß unerwünschter f«lo!j und unbeabsichtigter Angriffe gegen das Juden¬<lb/> tum im allgemeinen gemacht." Durch diese schlimme Erfahrung hat er sich jedoch<lb/> nicht abhalten lassen, das in demselben Geiste geschriebne vorliegende Buch heraus¬<lb/> zugeben. Er untersucht darin Wesen und Begriff des Wuchers, indem er die vor-<lb/> handnen Theorien mit vollständiger Beherrschung der Litteratur kritisirt, beleuchtet<lb/> die Lehre vom Zins und die verschiednen Formen des Leihvertrages vom ethische»<lb/> wie vom volkswirtschaftlichen Standpunkte aus, erzählt die Geschichte der Wucher¬<lb/> gesetze und schildert den Wucher, wie er in unsrer Zeit betrieben wird. Dem<lb/> „Wucher auf dem Lande in Galizien" ist ein besondrer 108 Seiten starker Ab¬<lb/> schnitt gewidmet, dem das in einer von Landesausschuß veranstalteten Umfrage<lb/> gewonnene handschriftliche Material zu Grunde liegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_357"> Da in dieser kurzen Anzeige auf das Wesen des Übels natürlich nicht ein¬<lb/> gegangen werden kaun, so beschränken nur uns darauf, bei dieser Gelegenheit ganz<lb/> kurz unsre Ansicht über das geeignete Heilverfahren auszusprechen, und überlassen<lb/> es dem Leser, zu prüfen, wie weit sie in dem Buche Caros ihre Begrün¬<lb/> dung findet.</p><lb/> <p xml:id="ID_358" next="#ID_359"> Das Hauptgewicht legen wir auf die verschiednen Arten von Wucher, zu<lb/> denen die Nöte des Gewerbestaudes, namentlich aber die des Kleinbcmernftcmdes<lb/> Anlaß geben. Ob und wie weit die Gesetzgebung den leichtsinnigen Lebemann vor<lb/> den Folgen seiner eignen Thorheit und Gewissenlosigkeit zu schützen habe, ist eine<lb/> Frage von sehr untergeordneter Bedeutung, selbst wenn es sich rin Lebemänner im<lb/> jugendlichen Alter handelt, denn so jugendlich unerfahren ist kein Student, daß er<lb/> nicht wüßte, ein wie großes Unrecht es ist, hinter seines Vaters Rücken Schulden<lb/> zu mache«; das weiß jedes zwölfjährige Kind. Und um Postuuterbeamte mit fiinf-<lb/> uuddreißig bis fünfundvierzig Mark Monatsgehalt vor der Wahl zu schlitzen,<lb/> ob sie dem Wucherer in die Hände fallen oder der Versuchung zu einem Ver¬<lb/> brechen unterliegen wollen, giebt es nur ein Mittel: Gehaltsaufbesserung. Das<lb/> heutige Kreditbedürfnis des Bauernstandes nun, auf den sich unsre kurze Erwägung<lb/> beschränken soll, entspringt daraus, daß er mehr und öfter bares Geld braucht als<lb/> früher. Soll ihn dieses Kreditbedürfnis nicht schließlich Wucherern in die Hände<lb/> treiben, so braucht er Dnrtehnskassen nach dem System Raiffeisen. Diese Kassen<lb/> huben sich überall, wo sie bestehen, bewährt, waren aber vielleicht noch mancher<lb/> zur Verwirklichung ihrer Idee erforderlichen Verbesserung fähig. Diese Idee be¬<lb/> steht darin, daß sie nicht Geldinstitute zur Erzielung von Dividenden für kleine<lb/> Kapitalisten sein sollen, sondern Genossenschaften zu wechselseitiger Hilfe, die darauf</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0094]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Von Wucher. Der den Grenzbotenlesern wohl bekannte or. Leopold Cnro
in Lemberg hat bei Duncker und Humblot in Leipzig ein sehr gehaltvolles Buch
herausgegeben: „Der Wucher, eine sozialpolitische Studie." In der Vorrede
sagt er: „Mein Essay: »Die Judenfrage, eine ethische Frage« (Leipzig, Fr. W.
Grnnow, 1892), das jsiolj an Stelle des bisherigen Verluschuugssystems eine
andre Methode der Bekämpfung des Antisemitismus vorschlug, die Methode strenger
Wahrhaftigkeit und unnachsichtlicher Preisgebung der Schuldigen, wurde von den
Juden mißverstanden und ich selbst mit niedrigen Schmähungen überhäuft; von
den Antisemiten dagegen, deren offner aber loyaler Gegner ich stets war und
bleiben will, wurde dieselbe Schrift meistens gelobt und zum Ausgangspunkte neuer,
von mir gewiß unerwünschter f«lo!j und unbeabsichtigter Angriffe gegen das Juden¬
tum im allgemeinen gemacht." Durch diese schlimme Erfahrung hat er sich jedoch
nicht abhalten lassen, das in demselben Geiste geschriebne vorliegende Buch heraus¬
zugeben. Er untersucht darin Wesen und Begriff des Wuchers, indem er die vor-
handnen Theorien mit vollständiger Beherrschung der Litteratur kritisirt, beleuchtet
die Lehre vom Zins und die verschiednen Formen des Leihvertrages vom ethische»
wie vom volkswirtschaftlichen Standpunkte aus, erzählt die Geschichte der Wucher¬
gesetze und schildert den Wucher, wie er in unsrer Zeit betrieben wird. Dem
„Wucher auf dem Lande in Galizien" ist ein besondrer 108 Seiten starker Ab¬
schnitt gewidmet, dem das in einer von Landesausschuß veranstalteten Umfrage
gewonnene handschriftliche Material zu Grunde liegt.
Da in dieser kurzen Anzeige auf das Wesen des Übels natürlich nicht ein¬
gegangen werden kaun, so beschränken nur uns darauf, bei dieser Gelegenheit ganz
kurz unsre Ansicht über das geeignete Heilverfahren auszusprechen, und überlassen
es dem Leser, zu prüfen, wie weit sie in dem Buche Caros ihre Begrün¬
dung findet.
Das Hauptgewicht legen wir auf die verschiednen Arten von Wucher, zu
denen die Nöte des Gewerbestaudes, namentlich aber die des Kleinbcmernftcmdes
Anlaß geben. Ob und wie weit die Gesetzgebung den leichtsinnigen Lebemann vor
den Folgen seiner eignen Thorheit und Gewissenlosigkeit zu schützen habe, ist eine
Frage von sehr untergeordneter Bedeutung, selbst wenn es sich rin Lebemänner im
jugendlichen Alter handelt, denn so jugendlich unerfahren ist kein Student, daß er
nicht wüßte, ein wie großes Unrecht es ist, hinter seines Vaters Rücken Schulden
zu mache«; das weiß jedes zwölfjährige Kind. Und um Postuuterbeamte mit fiinf-
uuddreißig bis fünfundvierzig Mark Monatsgehalt vor der Wahl zu schlitzen,
ob sie dem Wucherer in die Hände fallen oder der Versuchung zu einem Ver¬
brechen unterliegen wollen, giebt es nur ein Mittel: Gehaltsaufbesserung. Das
heutige Kreditbedürfnis des Bauernstandes nun, auf den sich unsre kurze Erwägung
beschränken soll, entspringt daraus, daß er mehr und öfter bares Geld braucht als
früher. Soll ihn dieses Kreditbedürfnis nicht schließlich Wucherern in die Hände
treiben, so braucht er Dnrtehnskassen nach dem System Raiffeisen. Diese Kassen
huben sich überall, wo sie bestehen, bewährt, waren aber vielleicht noch mancher
zur Verwirklichung ihrer Idee erforderlichen Verbesserung fähig. Diese Idee be¬
steht darin, daß sie nicht Geldinstitute zur Erzielung von Dividenden für kleine
Kapitalisten sein sollen, sondern Genossenschaften zu wechselseitiger Hilfe, die darauf
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |