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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Uinnaßgeblichcs

Wir so viel Zeit für ein "intensives" Kennenlernen Deutschlands gehabt haben,
daß wir uns getrauen, zwischen der Westgrenze und dem mitteleuropäischen
Zeitmeridian irgendwo vom Himmel zu fallen und sofort zu wissen, wo wir
uns befinden.

Vielleicht dürfen wir dem Leser gelegentlich einmal etwas von der Technik
und Ökonomie unsrer bescheidnen und doch so herrlichen Wanderfahrten er¬
zählen. Stangensche Packetrcisen und Gesellschaftsfahrten mit der Augusta
Viktoria oder Kapitän Bade sind freilich nicht dabei.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Das Börsengeheimnis.

Zwei soeben bei Hera. Bayer in Leipzig er¬
schienene Schriften versprechen dieses verschleierte Bild von Sais endlich einmal zu
enthüllen, jedoch mit dem Geständnis, daß es eigentlich nur ein Zipfel des Schleiers
sei, den sie aufgehoben haben, und daß sich der Unhold selbst dem Griff der
tastenden Hände immer noch zu entziehen verstehe. Die eine der Schriften heißt:
Das Geheimnis der Börsenkurse und die Volksansranbung durch die inter¬
nationale Börsenzunft. Von or. F. Kolk; die andre: Der Geheimbund der
Börse. Bon Arw. Svlano. Ob es den Verfassern wirklich gelungen ist, die
"Zeichenschrift" zu entziffern, die den Eingeweihten dnrch die Kursbewegung einer
Woche über die zu erwartenden Kursbewegungen späterer Wochen unterrichten soll,
müssen wir den Börsenkundigen zu entscheiden überlassen; jedenfalls würden Sv-
lanos schöne Kurven überzeugender wirken, wenn er eine Million vorweisen und
sagen könnte: "Seht mal, die habe ich nun mit meinem Schlüssel den schlauen
Kunden abgetropft!" Im allgemeinen bemerken wir solchen Versuchen gegenüber
folgendes. Daß die Börsengewaltigen aller Länder mit einander in Verbindung
stehen, ist richtig; doch handeln sie nicht immer im Einvernehmen mit einander,
sondern zuweilen bekämpft eine Gruppe die andre. Daß sie die Kurse machen,
und daß das Publikum unter allen Umständen von ihnen gerupft wird, mögen sie
auch einander gegenseitig einmal in den Haaren liegen, ist ebenfalls richtig. Aber
so einfach liegt die Sache doch nicht, daß, wenn man mir die Mitglieder des
Bundes in llaKra-uti ertappen, dingfest machen und ausrotten könnte, damit der
Börsenschwindcl, das Börsenspiel und die Volksausbeutung dnrch das Geldknpital
ein- für allemal beseitigt sein würden. So lange es Juden giebt, sind diese na¬
türlich, als gelwrne Geldleute, die nächsten dabei. Aber fehlt es ein Juden, so
benutzen christliche Arier die Gelegenheit mit nicht geringern: Eifer; vielleicht nicht
in so geräuschloser Weise, dafür aber mit desto unverschämterer Roheit, wie die
amerikanischen Börsentönige und die russischen Mirfresser beweisen. Das moderne
Staatsschnldenwesen schafft die eine, das Akticnwesen die andre Gelegenheit zur
Volksausbeutung. Wer am Sammelbecken so ungeheurer flüssiger Geldmassen sitzt,
wie sie mit jenen beiden Hebeln znsammengepnmpt werden, der schöpft eben, er
mag Jude oder Christ sein; und wo Produktion und Konsum so weit von einander
entfernt liegeu wie bei allen auf Aktien gegründeten Unternehmungen, da läßt es
sich gar nicht vermeiden, daß den Mittelspersonen ein unverhältnismäßig großer


Maßgebliches und Uinnaßgeblichcs

Wir so viel Zeit für ein „intensives" Kennenlernen Deutschlands gehabt haben,
daß wir uns getrauen, zwischen der Westgrenze und dem mitteleuropäischen
Zeitmeridian irgendwo vom Himmel zu fallen und sofort zu wissen, wo wir
uns befinden.

Vielleicht dürfen wir dem Leser gelegentlich einmal etwas von der Technik
und Ökonomie unsrer bescheidnen und doch so herrlichen Wanderfahrten er¬
zählen. Stangensche Packetrcisen und Gesellschaftsfahrten mit der Augusta
Viktoria oder Kapitän Bade sind freilich nicht dabei.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Das Börsengeheimnis.

Zwei soeben bei Hera. Bayer in Leipzig er¬
schienene Schriften versprechen dieses verschleierte Bild von Sais endlich einmal zu
enthüllen, jedoch mit dem Geständnis, daß es eigentlich nur ein Zipfel des Schleiers
sei, den sie aufgehoben haben, und daß sich der Unhold selbst dem Griff der
tastenden Hände immer noch zu entziehen verstehe. Die eine der Schriften heißt:
Das Geheimnis der Börsenkurse und die Volksansranbung durch die inter¬
nationale Börsenzunft. Von or. F. Kolk; die andre: Der Geheimbund der
Börse. Bon Arw. Svlano. Ob es den Verfassern wirklich gelungen ist, die
„Zeichenschrift" zu entziffern, die den Eingeweihten dnrch die Kursbewegung einer
Woche über die zu erwartenden Kursbewegungen späterer Wochen unterrichten soll,
müssen wir den Börsenkundigen zu entscheiden überlassen; jedenfalls würden Sv-
lanos schöne Kurven überzeugender wirken, wenn er eine Million vorweisen und
sagen könnte: „Seht mal, die habe ich nun mit meinem Schlüssel den schlauen
Kunden abgetropft!" Im allgemeinen bemerken wir solchen Versuchen gegenüber
folgendes. Daß die Börsengewaltigen aller Länder mit einander in Verbindung
stehen, ist richtig; doch handeln sie nicht immer im Einvernehmen mit einander,
sondern zuweilen bekämpft eine Gruppe die andre. Daß sie die Kurse machen,
und daß das Publikum unter allen Umständen von ihnen gerupft wird, mögen sie
auch einander gegenseitig einmal in den Haaren liegen, ist ebenfalls richtig. Aber
so einfach liegt die Sache doch nicht, daß, wenn man mir die Mitglieder des
Bundes in llaKra-uti ertappen, dingfest machen und ausrotten könnte, damit der
Börsenschwindcl, das Börsenspiel und die Volksausbeutung dnrch das Geldknpital
ein- für allemal beseitigt sein würden. So lange es Juden giebt, sind diese na¬
türlich, als gelwrne Geldleute, die nächsten dabei. Aber fehlt es ein Juden, so
benutzen christliche Arier die Gelegenheit mit nicht geringern: Eifer; vielleicht nicht
in so geräuschloser Weise, dafür aber mit desto unverschämterer Roheit, wie die
amerikanischen Börsentönige und die russischen Mirfresser beweisen. Das moderne
Staatsschnldenwesen schafft die eine, das Akticnwesen die andre Gelegenheit zur
Volksausbeutung. Wer am Sammelbecken so ungeheurer flüssiger Geldmassen sitzt,
wie sie mit jenen beiden Hebeln znsammengepnmpt werden, der schöpft eben, er
mag Jude oder Christ sein; und wo Produktion und Konsum so weit von einander
entfernt liegeu wie bei allen auf Aktien gegründeten Unternehmungen, da läßt es
sich gar nicht vermeiden, daß den Mittelspersonen ein unverhältnismäßig großer


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[0535] Maßgebliches und Uinnaßgeblichcs Wir so viel Zeit für ein „intensives" Kennenlernen Deutschlands gehabt haben, daß wir uns getrauen, zwischen der Westgrenze und dem mitteleuropäischen Zeitmeridian irgendwo vom Himmel zu fallen und sofort zu wissen, wo wir uns befinden. Vielleicht dürfen wir dem Leser gelegentlich einmal etwas von der Technik und Ökonomie unsrer bescheidnen und doch so herrlichen Wanderfahrten er¬ zählen. Stangensche Packetrcisen und Gesellschaftsfahrten mit der Augusta Viktoria oder Kapitän Bade sind freilich nicht dabei. Maßgebliches und Unmaßgebliches Das Börsengeheimnis. Zwei soeben bei Hera. Bayer in Leipzig er¬ schienene Schriften versprechen dieses verschleierte Bild von Sais endlich einmal zu enthüllen, jedoch mit dem Geständnis, daß es eigentlich nur ein Zipfel des Schleiers sei, den sie aufgehoben haben, und daß sich der Unhold selbst dem Griff der tastenden Hände immer noch zu entziehen verstehe. Die eine der Schriften heißt: Das Geheimnis der Börsenkurse und die Volksansranbung durch die inter¬ nationale Börsenzunft. Von or. F. Kolk; die andre: Der Geheimbund der Börse. Bon Arw. Svlano. Ob es den Verfassern wirklich gelungen ist, die „Zeichenschrift" zu entziffern, die den Eingeweihten dnrch die Kursbewegung einer Woche über die zu erwartenden Kursbewegungen späterer Wochen unterrichten soll, müssen wir den Börsenkundigen zu entscheiden überlassen; jedenfalls würden Sv- lanos schöne Kurven überzeugender wirken, wenn er eine Million vorweisen und sagen könnte: „Seht mal, die habe ich nun mit meinem Schlüssel den schlauen Kunden abgetropft!" Im allgemeinen bemerken wir solchen Versuchen gegenüber folgendes. Daß die Börsengewaltigen aller Länder mit einander in Verbindung stehen, ist richtig; doch handeln sie nicht immer im Einvernehmen mit einander, sondern zuweilen bekämpft eine Gruppe die andre. Daß sie die Kurse machen, und daß das Publikum unter allen Umständen von ihnen gerupft wird, mögen sie auch einander gegenseitig einmal in den Haaren liegen, ist ebenfalls richtig. Aber so einfach liegt die Sache doch nicht, daß, wenn man mir die Mitglieder des Bundes in llaKra-uti ertappen, dingfest machen und ausrotten könnte, damit der Börsenschwindcl, das Börsenspiel und die Volksausbeutung dnrch das Geldknpital ein- für allemal beseitigt sein würden. So lange es Juden giebt, sind diese na¬ türlich, als gelwrne Geldleute, die nächsten dabei. Aber fehlt es ein Juden, so benutzen christliche Arier die Gelegenheit mit nicht geringern: Eifer; vielleicht nicht in so geräuschloser Weise, dafür aber mit desto unverschämterer Roheit, wie die amerikanischen Börsentönige und die russischen Mirfresser beweisen. Das moderne Staatsschnldenwesen schafft die eine, das Akticnwesen die andre Gelegenheit zur Volksausbeutung. Wer am Sammelbecken so ungeheurer flüssiger Geldmassen sitzt, wie sie mit jenen beiden Hebeln znsammengepnmpt werden, der schöpft eben, er mag Jude oder Christ sein; und wo Produktion und Konsum so weit von einander entfernt liegeu wie bei allen auf Aktien gegründeten Unternehmungen, da läßt es sich gar nicht vermeiden, daß den Mittelspersonen ein unverhältnismäßig großer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/535>, abgerufen am 23.07.2024.