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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Allerlei vom Reisen

sich auf in kleine tüchtige Galerien nach Art der Schweriner oder der Karls¬
ruher, dann nach Braunschweig, nach Kassel, dann in die von Berlin und
Dresden, in die alte Pinakothek und den Louvre, und nun erst mögen Mailand,
Florenz, Rom, Neapel, Venedig folgen und die kleinern Sammlungen Italiens,
wo der Besucher nun förmlich schwelgen wird in den Freuden des Entdeckers,
nun in die Kirchen, und schließlich in Deutschland noch einmal überall hin,
jetzt zu den Meistern, und vor allein auf die große Wallfahrt uach Kolmar
und Köln.

Bei unsern Studenten, die von einer süddeutschen Universität im August
uach dem Norden heimkehren, ist jetzt eine ganze Badetonr Mode geworden, etwa:
Wiesbaden, Homburg, Eins u. s. w. Das finden wir recht überflüssig. Nebenbei
einmal in eins davon hineinsehen, das genügt doch vollständig. Und da raten
wir, Wenns sich gerade bequem macht, immer noch am meisten zu Baden-Baden;
dort hat mau alles beisammen, schöne Anlagen, Eleganz, Luxus, internationales
Treiben, und doch nicht bloß die Öde davon, sondern zugleich die herrlichste
Natur, deu prächtige" Blick vom alten Schloß und der ragenden Burg Alt¬
eberstein, wilde Felspnrtien und träumenden Tannenforst, und in der lieblichen
Gartenstadt selbst, wo es immer noch möglich ist, sich behaglich und billig
einzurichten, an warmen, blütenduftenden Frühlings- und Sommerabenden die
wunderbare festliche Rnhestimmung, die durch Hölderlins "Nacht" klingt:

Aber das Saitenspiel tönt fern ans Gärten; vielleicht daß
Dort ein Liebender spielt, oder ein einsamer Mann
Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit; und die Brunnen,
Jmmcrquillend und frisch, rauschen um duftenden Beet,
Still in dämmriger Luft ertönen gekantete Glocken,
Und der Stunden gedenk, rufet ein Wächter die Zahl.
Jetzt auch kommet ein Wehn und regt die Gipfel des Hains auf.
Sieh! und das Ebenbild unserer Erde, der Mond,
Kommet geheim um auch, die schwärmerische, die Nacht, kommt;
Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns
Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen,
Über Gebirgeshöhu traurig und prächtig herauf.

Aber die schönste Jahreszeit ist es doch, wann der Frühling auf die Berge
steigt! Höchstens Heidelberg und der Rheingau kommen diesem Frühling Baden-
Badens gleich. Überhaupt, wie viel schöner ist es, das Erwachen der Natur
von dein ersten Schwellen der Blattknospen und von dem ersten taumelnden
Citronenfalter an Tag für Tag mitzuleben, als, wie es jetzt Mode ist, im
März und April nach Italien zu gehen. Schön ist es dort ja auch, aber
doch kein rechter Frühling.

Frühling am Rhein, August an der See, September im Gebirge, Oktober
in Italien, das wäre unser Programm. Aber wer kanns? Der Leser meint
ohnedies am Ende, wir müßten ein rechtes Tagedicbleben geführt haben, wenn


Allerlei vom Reisen

sich auf in kleine tüchtige Galerien nach Art der Schweriner oder der Karls¬
ruher, dann nach Braunschweig, nach Kassel, dann in die von Berlin und
Dresden, in die alte Pinakothek und den Louvre, und nun erst mögen Mailand,
Florenz, Rom, Neapel, Venedig folgen und die kleinern Sammlungen Italiens,
wo der Besucher nun förmlich schwelgen wird in den Freuden des Entdeckers,
nun in die Kirchen, und schließlich in Deutschland noch einmal überall hin,
jetzt zu den Meistern, und vor allein auf die große Wallfahrt uach Kolmar
und Köln.

Bei unsern Studenten, die von einer süddeutschen Universität im August
uach dem Norden heimkehren, ist jetzt eine ganze Badetonr Mode geworden, etwa:
Wiesbaden, Homburg, Eins u. s. w. Das finden wir recht überflüssig. Nebenbei
einmal in eins davon hineinsehen, das genügt doch vollständig. Und da raten
wir, Wenns sich gerade bequem macht, immer noch am meisten zu Baden-Baden;
dort hat mau alles beisammen, schöne Anlagen, Eleganz, Luxus, internationales
Treiben, und doch nicht bloß die Öde davon, sondern zugleich die herrlichste
Natur, deu prächtige» Blick vom alten Schloß und der ragenden Burg Alt¬
eberstein, wilde Felspnrtien und träumenden Tannenforst, und in der lieblichen
Gartenstadt selbst, wo es immer noch möglich ist, sich behaglich und billig
einzurichten, an warmen, blütenduftenden Frühlings- und Sommerabenden die
wunderbare festliche Rnhestimmung, die durch Hölderlins „Nacht" klingt:

Aber das Saitenspiel tönt fern ans Gärten; vielleicht daß
Dort ein Liebender spielt, oder ein einsamer Mann
Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit; und die Brunnen,
Jmmcrquillend und frisch, rauschen um duftenden Beet,
Still in dämmriger Luft ertönen gekantete Glocken,
Und der Stunden gedenk, rufet ein Wächter die Zahl.
Jetzt auch kommet ein Wehn und regt die Gipfel des Hains auf.
Sieh! und das Ebenbild unserer Erde, der Mond,
Kommet geheim um auch, die schwärmerische, die Nacht, kommt;
Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns
Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen,
Über Gebirgeshöhu traurig und prächtig herauf.

Aber die schönste Jahreszeit ist es doch, wann der Frühling auf die Berge
steigt! Höchstens Heidelberg und der Rheingau kommen diesem Frühling Baden-
Badens gleich. Überhaupt, wie viel schöner ist es, das Erwachen der Natur
von dein ersten Schwellen der Blattknospen und von dem ersten taumelnden
Citronenfalter an Tag für Tag mitzuleben, als, wie es jetzt Mode ist, im
März und April nach Italien zu gehen. Schön ist es dort ja auch, aber
doch kein rechter Frühling.

Frühling am Rhein, August an der See, September im Gebirge, Oktober
in Italien, das wäre unser Programm. Aber wer kanns? Der Leser meint
ohnedies am Ende, wir müßten ein rechtes Tagedicbleben geführt haben, wenn


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[0534] Allerlei vom Reisen sich auf in kleine tüchtige Galerien nach Art der Schweriner oder der Karls¬ ruher, dann nach Braunschweig, nach Kassel, dann in die von Berlin und Dresden, in die alte Pinakothek und den Louvre, und nun erst mögen Mailand, Florenz, Rom, Neapel, Venedig folgen und die kleinern Sammlungen Italiens, wo der Besucher nun förmlich schwelgen wird in den Freuden des Entdeckers, nun in die Kirchen, und schließlich in Deutschland noch einmal überall hin, jetzt zu den Meistern, und vor allein auf die große Wallfahrt uach Kolmar und Köln. Bei unsern Studenten, die von einer süddeutschen Universität im August uach dem Norden heimkehren, ist jetzt eine ganze Badetonr Mode geworden, etwa: Wiesbaden, Homburg, Eins u. s. w. Das finden wir recht überflüssig. Nebenbei einmal in eins davon hineinsehen, das genügt doch vollständig. Und da raten wir, Wenns sich gerade bequem macht, immer noch am meisten zu Baden-Baden; dort hat mau alles beisammen, schöne Anlagen, Eleganz, Luxus, internationales Treiben, und doch nicht bloß die Öde davon, sondern zugleich die herrlichste Natur, deu prächtige» Blick vom alten Schloß und der ragenden Burg Alt¬ eberstein, wilde Felspnrtien und träumenden Tannenforst, und in der lieblichen Gartenstadt selbst, wo es immer noch möglich ist, sich behaglich und billig einzurichten, an warmen, blütenduftenden Frühlings- und Sommerabenden die wunderbare festliche Rnhestimmung, die durch Hölderlins „Nacht" klingt: Aber das Saitenspiel tönt fern ans Gärten; vielleicht daß Dort ein Liebender spielt, oder ein einsamer Mann Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit; und die Brunnen, Jmmcrquillend und frisch, rauschen um duftenden Beet, Still in dämmriger Luft ertönen gekantete Glocken, Und der Stunden gedenk, rufet ein Wächter die Zahl. Jetzt auch kommet ein Wehn und regt die Gipfel des Hains auf. Sieh! und das Ebenbild unserer Erde, der Mond, Kommet geheim um auch, die schwärmerische, die Nacht, kommt; Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen, Über Gebirgeshöhu traurig und prächtig herauf. Aber die schönste Jahreszeit ist es doch, wann der Frühling auf die Berge steigt! Höchstens Heidelberg und der Rheingau kommen diesem Frühling Baden- Badens gleich. Überhaupt, wie viel schöner ist es, das Erwachen der Natur von dein ersten Schwellen der Blattknospen und von dem ersten taumelnden Citronenfalter an Tag für Tag mitzuleben, als, wie es jetzt Mode ist, im März und April nach Italien zu gehen. Schön ist es dort ja auch, aber doch kein rechter Frühling. Frühling am Rhein, August an der See, September im Gebirge, Oktober in Italien, das wäre unser Programm. Aber wer kanns? Der Leser meint ohnedies am Ende, wir müßten ein rechtes Tagedicbleben geführt haben, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/534>, abgerufen am 23.07.2024.