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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich Hebbels Briefwechsel

aller Zeiten sichert. Bis zum Überdruß hat man für alle bedeutenden Männer
den Einfluß der Mutter als maßgebend hinstellen wollen: Bernhardt hatte
von seiner Mutter nichts als den Geist und seine Beweglichkeit, alles andre
hatte er nur sich selbst zu danken.

Nach sechsjährigem Aufenthalte in Esthland wurde Bernhardts Lebens-
wunsch erfüllt: er bezog die Universität Heidelberg. Der Aufenthalt wär aber
nicht nur für seine Studien von Wichtigkeit, sondern auch deshalb, weil er in
Kreise eingeführt wurde, in denen er täglich den Pulsschlag historischen Lebens
fühlte, und deren Lebensgewohnheiten wie Überlieferungen für den spätern
Historiker von der höchsten Wichtigkeit sein mußten.

Mit dem Tode seiner Mutter, 1833, und seiner Übersiedelung nach Peters¬
burg schließt das unvergleichlich interessante Buch, dessen Fortsetzung jeder
Leser mit der größten Spannung erwarten wird.




Friedrich Hebbels Briefwechsel
Adolf Stern von(Schluß)

le ungewöhnliche Tiefe und Strenge der Kunstanschauung Hebbels
hat -- allerdings nur bei solchen, die den Dichter aus seinen
Schöpfungen weder kannten noch kennen zu lernen verlangten --
die Vorstellung erweckt, daß Hebbel zu den Künstlern gehört
habe, sür die die Welt hinter ihren Stillnnststücken oder Atelier¬
geheimnissen versinkt. Daß es sich gerade umgekehrt verhält, daß der Dichter
die Poesie und die schaffende Kunst überhaupt nur darum so hoch hielt, weil
sie ihm für "einen Schlüssel, der ihm das All erschließt," galt, muß noch
immer betont werden und macht die Briefe zu wichtigen Beweisstücken seiner
geistigen Kraft und seines reinen Willens. Für die warme, ernste und leiden¬
schaftliche Teilnahme Hebbels um Weltleben und an allen Interessen der
Menschheit, für sein blitzartiges, merkwürdig scharfes Verständnis aller wech¬
selnden Erscheinungen und sein Vermögen, die bewegenden Kräfte und das
herrschende Gesetz im Wechsel der Erscheinungen zu ergründen, für die zarten
Regungen einer starken und leidenschaftlichen Seele und die keusche, fast ver¬
schämte Anmut, diese Regungen auszudrücken, lassen sich aus den Briefe"
Hunderte von Belegstellen anführen. Das Gesamtbild des Dichters kann durch
all diese kleinen neuen Züge nur gewinnen, die menschliche Teilnahme an
seinem Leben nur gesteigert werden.

Die religiöse Anschauung Hebbels konnte und wollte es zu einer gewissen


Friedrich Hebbels Briefwechsel

aller Zeiten sichert. Bis zum Überdruß hat man für alle bedeutenden Männer
den Einfluß der Mutter als maßgebend hinstellen wollen: Bernhardt hatte
von seiner Mutter nichts als den Geist und seine Beweglichkeit, alles andre
hatte er nur sich selbst zu danken.

Nach sechsjährigem Aufenthalte in Esthland wurde Bernhardts Lebens-
wunsch erfüllt: er bezog die Universität Heidelberg. Der Aufenthalt wär aber
nicht nur für seine Studien von Wichtigkeit, sondern auch deshalb, weil er in
Kreise eingeführt wurde, in denen er täglich den Pulsschlag historischen Lebens
fühlte, und deren Lebensgewohnheiten wie Überlieferungen für den spätern
Historiker von der höchsten Wichtigkeit sein mußten.

Mit dem Tode seiner Mutter, 1833, und seiner Übersiedelung nach Peters¬
burg schließt das unvergleichlich interessante Buch, dessen Fortsetzung jeder
Leser mit der größten Spannung erwarten wird.




Friedrich Hebbels Briefwechsel
Adolf Stern von(Schluß)

le ungewöhnliche Tiefe und Strenge der Kunstanschauung Hebbels
hat — allerdings nur bei solchen, die den Dichter aus seinen
Schöpfungen weder kannten noch kennen zu lernen verlangten —
die Vorstellung erweckt, daß Hebbel zu den Künstlern gehört
habe, sür die die Welt hinter ihren Stillnnststücken oder Atelier¬
geheimnissen versinkt. Daß es sich gerade umgekehrt verhält, daß der Dichter
die Poesie und die schaffende Kunst überhaupt nur darum so hoch hielt, weil
sie ihm für „einen Schlüssel, der ihm das All erschließt," galt, muß noch
immer betont werden und macht die Briefe zu wichtigen Beweisstücken seiner
geistigen Kraft und seines reinen Willens. Für die warme, ernste und leiden¬
schaftliche Teilnahme Hebbels um Weltleben und an allen Interessen der
Menschheit, für sein blitzartiges, merkwürdig scharfes Verständnis aller wech¬
selnden Erscheinungen und sein Vermögen, die bewegenden Kräfte und das
herrschende Gesetz im Wechsel der Erscheinungen zu ergründen, für die zarten
Regungen einer starken und leidenschaftlichen Seele und die keusche, fast ver¬
schämte Anmut, diese Regungen auszudrücken, lassen sich aus den Briefe»
Hunderte von Belegstellen anführen. Das Gesamtbild des Dichters kann durch
all diese kleinen neuen Züge nur gewinnen, die menschliche Teilnahme an
seinem Leben nur gesteigert werden.

Die religiöse Anschauung Hebbels konnte und wollte es zu einer gewissen


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[0267] Friedrich Hebbels Briefwechsel aller Zeiten sichert. Bis zum Überdruß hat man für alle bedeutenden Männer den Einfluß der Mutter als maßgebend hinstellen wollen: Bernhardt hatte von seiner Mutter nichts als den Geist und seine Beweglichkeit, alles andre hatte er nur sich selbst zu danken. Nach sechsjährigem Aufenthalte in Esthland wurde Bernhardts Lebens- wunsch erfüllt: er bezog die Universität Heidelberg. Der Aufenthalt wär aber nicht nur für seine Studien von Wichtigkeit, sondern auch deshalb, weil er in Kreise eingeführt wurde, in denen er täglich den Pulsschlag historischen Lebens fühlte, und deren Lebensgewohnheiten wie Überlieferungen für den spätern Historiker von der höchsten Wichtigkeit sein mußten. Mit dem Tode seiner Mutter, 1833, und seiner Übersiedelung nach Peters¬ burg schließt das unvergleichlich interessante Buch, dessen Fortsetzung jeder Leser mit der größten Spannung erwarten wird. Friedrich Hebbels Briefwechsel Adolf Stern von(Schluß) le ungewöhnliche Tiefe und Strenge der Kunstanschauung Hebbels hat — allerdings nur bei solchen, die den Dichter aus seinen Schöpfungen weder kannten noch kennen zu lernen verlangten — die Vorstellung erweckt, daß Hebbel zu den Künstlern gehört habe, sür die die Welt hinter ihren Stillnnststücken oder Atelier¬ geheimnissen versinkt. Daß es sich gerade umgekehrt verhält, daß der Dichter die Poesie und die schaffende Kunst überhaupt nur darum so hoch hielt, weil sie ihm für „einen Schlüssel, der ihm das All erschließt," galt, muß noch immer betont werden und macht die Briefe zu wichtigen Beweisstücken seiner geistigen Kraft und seines reinen Willens. Für die warme, ernste und leiden¬ schaftliche Teilnahme Hebbels um Weltleben und an allen Interessen der Menschheit, für sein blitzartiges, merkwürdig scharfes Verständnis aller wech¬ selnden Erscheinungen und sein Vermögen, die bewegenden Kräfte und das herrschende Gesetz im Wechsel der Erscheinungen zu ergründen, für die zarten Regungen einer starken und leidenschaftlichen Seele und die keusche, fast ver¬ schämte Anmut, diese Regungen auszudrücken, lassen sich aus den Briefe» Hunderte von Belegstellen anführen. Das Gesamtbild des Dichters kann durch all diese kleinen neuen Züge nur gewinnen, die menschliche Teilnahme an seinem Leben nur gesteigert werden. Die religiöse Anschauung Hebbels konnte und wollte es zu einer gewissen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/267>, abgerufen am 29.06.2024.