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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich l^ebdels Briefwechsel

Zeit seines Lebens nicht verleugnen, daß sie dnrch die Schule des Junghegelia¬
nismus und der Tübinger Evangelienkritik hindurchgegangen war. Doch
auch mit dieser Voraussetzung unterschied sie sich von der Tagesphilosophie
nicht bloß durch ihren gewichtigen Ernst, sondern durch die Bescheidung, vou
der letzten und höchsten Lenkung aller Welten, vom Unerforschlichen nichts
zu wissen, dnrch das Gefühl frommer Ehrfurcht, mit dein anch der Nichtchrist
dem unbekannten Gott gegenüberstand. Bezeichnend ist ferner, wie rasch Hebbel
die entschieden widerchristliche Jugendstimmung seiner geistigen Gährnngszeit
überwand, die in einigen seiner Briefe an Elise Lensing so leidenschaftlich, ja
wildgehässig zum Durchbruch kam. Schreibt er doch einmal: "Das Christentum
verrückt den Grundstein der Menschheit. Es predigt die Sünde, die Demut
und die Gnade. Christliche Sünde ist ein Unding, christliche Demut die einzig
mögliche menschliche Sünde, und christliche Gnade wäre eine Sünde Gottes.
Dies ist um nichts zu hart. Die edelsten und ersten Männer stimmen darin
überein, daß das Christentum wenig Segen und viel Unheil über die Welt
gebracht hat. Aber sie suchen meistenteils den Grund in der christlichen Kirche;
ich finde ihn in der christlichen Religion selbst. Das Christentum ist das
Blattergift der Menschheit. Es ist die Wurzel alles Zwiespalts, aller Schlaff¬
heit, der letzten Jahrhunderte vorzüglich.") Wenn mau mit dieser wilden
Aufwallung die spätern Anschauungen Hebbels namentlich in den Briefen an
Üchtritz vergleicht, so empfindet man, wie wunderbar und tief ihn das Leben
und sein eignes unablässiges Ringen auch in dieser Frage geläutert hatten.
An Üchtritz schreibt er: "Die sittliche Welt sollen wir alle gemeinsam bauen,
darum erging an uns alle mit gleicher Eindringlichkeit der gleiche Ruf; das
spekulative Bedürfnis soll sich jeder auf seine Weise befriedigen; darum sind
hierv keine Schranken gesetzt. Wenn der absolute Christ mir die Versicherung
giebt, daß ihm die großen Fragen nach dem Woher und Wohin, die uns
andre vom ersten bis zum letzten Odemzug beschäftigen, ein für allemal ge¬
löst sind, so bin ich weit entfernt, ihn zu bestreiten. Nur muß er mir ein¬
räumen, daß ihm gleich bei seiner Geburt ein besondrer Sinn zu teil geworden
lst, welcher ihn der Aufnahme einer Offenbarung fähig machte, die wir ver¬
gebens mit unserm Schweiß und unserm Blut zu erkaufen suchen." In dem¬
selben Brief erklärt der Dichter, er würde sich als Christ "jedes Streits über
den Kelch begeben, damit der edle Wein, den er enthält, nicht verschüttet
werde. Denn diese Gefahr ist näher, als die Abschließe! der Konkordate und
die Beförderer der Gustav-Adolf-Vereine denken, und da ich den ethischen Kern
des Christentums hoch über den aller ciudcrn Religionen stelle, so würde ich
es unendlich beklagen, wenn sie wirklich hereinbräche."^) Und etwa ein Jahr
später ruft er demselben Freunde zu: "Wenn ein Gedicht wie "Das ab-




>) An Elise Lensing; München, den 12. Februar 1838.-
') Wien, den LZ. Mai 1857.
Friedrich l^ebdels Briefwechsel

Zeit seines Lebens nicht verleugnen, daß sie dnrch die Schule des Junghegelia¬
nismus und der Tübinger Evangelienkritik hindurchgegangen war. Doch
auch mit dieser Voraussetzung unterschied sie sich von der Tagesphilosophie
nicht bloß durch ihren gewichtigen Ernst, sondern durch die Bescheidung, vou
der letzten und höchsten Lenkung aller Welten, vom Unerforschlichen nichts
zu wissen, dnrch das Gefühl frommer Ehrfurcht, mit dein anch der Nichtchrist
dem unbekannten Gott gegenüberstand. Bezeichnend ist ferner, wie rasch Hebbel
die entschieden widerchristliche Jugendstimmung seiner geistigen Gährnngszeit
überwand, die in einigen seiner Briefe an Elise Lensing so leidenschaftlich, ja
wildgehässig zum Durchbruch kam. Schreibt er doch einmal: „Das Christentum
verrückt den Grundstein der Menschheit. Es predigt die Sünde, die Demut
und die Gnade. Christliche Sünde ist ein Unding, christliche Demut die einzig
mögliche menschliche Sünde, und christliche Gnade wäre eine Sünde Gottes.
Dies ist um nichts zu hart. Die edelsten und ersten Männer stimmen darin
überein, daß das Christentum wenig Segen und viel Unheil über die Welt
gebracht hat. Aber sie suchen meistenteils den Grund in der christlichen Kirche;
ich finde ihn in der christlichen Religion selbst. Das Christentum ist das
Blattergift der Menschheit. Es ist die Wurzel alles Zwiespalts, aller Schlaff¬
heit, der letzten Jahrhunderte vorzüglich.") Wenn mau mit dieser wilden
Aufwallung die spätern Anschauungen Hebbels namentlich in den Briefen an
Üchtritz vergleicht, so empfindet man, wie wunderbar und tief ihn das Leben
und sein eignes unablässiges Ringen auch in dieser Frage geläutert hatten.
An Üchtritz schreibt er: „Die sittliche Welt sollen wir alle gemeinsam bauen,
darum erging an uns alle mit gleicher Eindringlichkeit der gleiche Ruf; das
spekulative Bedürfnis soll sich jeder auf seine Weise befriedigen; darum sind
hierv keine Schranken gesetzt. Wenn der absolute Christ mir die Versicherung
giebt, daß ihm die großen Fragen nach dem Woher und Wohin, die uns
andre vom ersten bis zum letzten Odemzug beschäftigen, ein für allemal ge¬
löst sind, so bin ich weit entfernt, ihn zu bestreiten. Nur muß er mir ein¬
räumen, daß ihm gleich bei seiner Geburt ein besondrer Sinn zu teil geworden
lst, welcher ihn der Aufnahme einer Offenbarung fähig machte, die wir ver¬
gebens mit unserm Schweiß und unserm Blut zu erkaufen suchen." In dem¬
selben Brief erklärt der Dichter, er würde sich als Christ „jedes Streits über
den Kelch begeben, damit der edle Wein, den er enthält, nicht verschüttet
werde. Denn diese Gefahr ist näher, als die Abschließe! der Konkordate und
die Beförderer der Gustav-Adolf-Vereine denken, und da ich den ethischen Kern
des Christentums hoch über den aller ciudcrn Religionen stelle, so würde ich
es unendlich beklagen, wenn sie wirklich hereinbräche."^) Und etwa ein Jahr
später ruft er demselben Freunde zu: „Wenn ein Gedicht wie »Das ab-




>) An Elise Lensing; München, den 12. Februar 1838.-
') Wien, den LZ. Mai 1857.
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[0268] Friedrich l^ebdels Briefwechsel Zeit seines Lebens nicht verleugnen, daß sie dnrch die Schule des Junghegelia¬ nismus und der Tübinger Evangelienkritik hindurchgegangen war. Doch auch mit dieser Voraussetzung unterschied sie sich von der Tagesphilosophie nicht bloß durch ihren gewichtigen Ernst, sondern durch die Bescheidung, vou der letzten und höchsten Lenkung aller Welten, vom Unerforschlichen nichts zu wissen, dnrch das Gefühl frommer Ehrfurcht, mit dein anch der Nichtchrist dem unbekannten Gott gegenüberstand. Bezeichnend ist ferner, wie rasch Hebbel die entschieden widerchristliche Jugendstimmung seiner geistigen Gährnngszeit überwand, die in einigen seiner Briefe an Elise Lensing so leidenschaftlich, ja wildgehässig zum Durchbruch kam. Schreibt er doch einmal: „Das Christentum verrückt den Grundstein der Menschheit. Es predigt die Sünde, die Demut und die Gnade. Christliche Sünde ist ein Unding, christliche Demut die einzig mögliche menschliche Sünde, und christliche Gnade wäre eine Sünde Gottes. Dies ist um nichts zu hart. Die edelsten und ersten Männer stimmen darin überein, daß das Christentum wenig Segen und viel Unheil über die Welt gebracht hat. Aber sie suchen meistenteils den Grund in der christlichen Kirche; ich finde ihn in der christlichen Religion selbst. Das Christentum ist das Blattergift der Menschheit. Es ist die Wurzel alles Zwiespalts, aller Schlaff¬ heit, der letzten Jahrhunderte vorzüglich.") Wenn mau mit dieser wilden Aufwallung die spätern Anschauungen Hebbels namentlich in den Briefen an Üchtritz vergleicht, so empfindet man, wie wunderbar und tief ihn das Leben und sein eignes unablässiges Ringen auch in dieser Frage geläutert hatten. An Üchtritz schreibt er: „Die sittliche Welt sollen wir alle gemeinsam bauen, darum erging an uns alle mit gleicher Eindringlichkeit der gleiche Ruf; das spekulative Bedürfnis soll sich jeder auf seine Weise befriedigen; darum sind hierv keine Schranken gesetzt. Wenn der absolute Christ mir die Versicherung giebt, daß ihm die großen Fragen nach dem Woher und Wohin, die uns andre vom ersten bis zum letzten Odemzug beschäftigen, ein für allemal ge¬ löst sind, so bin ich weit entfernt, ihn zu bestreiten. Nur muß er mir ein¬ räumen, daß ihm gleich bei seiner Geburt ein besondrer Sinn zu teil geworden lst, welcher ihn der Aufnahme einer Offenbarung fähig machte, die wir ver¬ gebens mit unserm Schweiß und unserm Blut zu erkaufen suchen." In dem¬ selben Brief erklärt der Dichter, er würde sich als Christ „jedes Streits über den Kelch begeben, damit der edle Wein, den er enthält, nicht verschüttet werde. Denn diese Gefahr ist näher, als die Abschließe! der Konkordate und die Beförderer der Gustav-Adolf-Vereine denken, und da ich den ethischen Kern des Christentums hoch über den aller ciudcrn Religionen stelle, so würde ich es unendlich beklagen, wenn sie wirklich hereinbräche."^) Und etwa ein Jahr später ruft er demselben Freunde zu: „Wenn ein Gedicht wie »Das ab- >) An Elise Lensing; München, den 12. Februar 1838.- ') Wien, den LZ. Mai 1857.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/268>, abgerufen am 01.07.2024.