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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Unsre Ginjährig-jreiwilligen

es sehe ein, daß ich zum Leutnant nicht passe, also mag ich
trotz mancher Aufforderungen und Anerbieten nicht weiter avau-
eireu. Das preußische Heer verdankt gewiß einen großen Teil
seines Erfolgs gerade dem Umstände, daß auch die Gemeinen
mit gebildeten Elementen durchsetzt sind, die dann die Ungebil¬
deten mit sich sichren und fortreißen -- so heißt es in einem der Feldzugs¬
briefe, die einer unsrer hervorragenden Universitätslehrer nach dem deutsch¬
französischen Kriege veröffentlicht hat. Deutlicher als in diesem rühmlichen
Selbstbekenntnis eines Gelehrten, der sich als gemeiner Soldat das eiserne
Kreuz verdient hat, kann es kaum gesagt werden, daß wissenschaftliche Bil¬
dung und Anlagen zum Truppeuführcr zwei ganz verschiedne Dinge sind.
Unsre moderne Schulbildung ist in der That ein sehr unzuverlässiger
Maßstab für die Tüchtigkeit eines Offiziers. Denn die Eigenschaften, die
heutzutage vom Soldaten verlangt werden müsfeiu Kraft und Geschmeidigkeit
des Körpers, Gesundheit und Scharfe der Sinne, Willenskraft, Mut und
Entschlossenheit werden auf der Schulbank nicht erworben. Es ist also eine
vollständige Willkür in der Wehrordnung, die Dauer der militärischen Aus¬
bildung von einer Menge zusammenhangloser Schulkenntnisse abhängig zu
macheu, die sich der Militärpflichtige früher einmal in seinen Schuljahren an¬
geeignet, die er aber im zwanzigsten Jahre beim Beginn seines Dienstjahres
gewöhnlich gründlich wieder vergessen hat.

Auf der andern Seite hat der gesunde" geistigen Bildung des deutschen
Bürgerstandes nichts mehr geschadet als die Einführung des einjährig-frei¬
willigen Dienstes auf Grund eiuer unfertigen Sekundanerbildung. Die ganze
immer unerträglicher werdende Halbbildung z. B. in den wohlhabenden Kauf¬
mannskreisen ist auf diesen unglückselige" Paragraphen zurückzuführen. Wer
als Einjährig-Freiwilliger gedient hat, der weiß, daß nirgends größere Gegen¬
sätze in geistiger und sittlicher Beziehung zu siudeu sind, als uuter der scheinbar
ganz gleichmäßig gebildeten Gruppe der Eiujährig-Freiwilligen. Es giebt
uuter ihnen Leute von einer so unglaublichen Unwissenheit selbst in den ele¬
mentarsten Dingen, daß jeder Junge ans der ersten Klasse einer Volks¬
schule sie beschämen würde. So mancher Dreijährige hat eine viel grünt-




Unsre Ginjährig-jreiwilligen

es sehe ein, daß ich zum Leutnant nicht passe, also mag ich
trotz mancher Aufforderungen und Anerbieten nicht weiter avau-
eireu. Das preußische Heer verdankt gewiß einen großen Teil
seines Erfolgs gerade dem Umstände, daß auch die Gemeinen
mit gebildeten Elementen durchsetzt sind, die dann die Ungebil¬
deten mit sich sichren und fortreißen — so heißt es in einem der Feldzugs¬
briefe, die einer unsrer hervorragenden Universitätslehrer nach dem deutsch¬
französischen Kriege veröffentlicht hat. Deutlicher als in diesem rühmlichen
Selbstbekenntnis eines Gelehrten, der sich als gemeiner Soldat das eiserne
Kreuz verdient hat, kann es kaum gesagt werden, daß wissenschaftliche Bil¬
dung und Anlagen zum Truppeuführcr zwei ganz verschiedne Dinge sind.
Unsre moderne Schulbildung ist in der That ein sehr unzuverlässiger
Maßstab für die Tüchtigkeit eines Offiziers. Denn die Eigenschaften, die
heutzutage vom Soldaten verlangt werden müsfeiu Kraft und Geschmeidigkeit
des Körpers, Gesundheit und Scharfe der Sinne, Willenskraft, Mut und
Entschlossenheit werden auf der Schulbank nicht erworben. Es ist also eine
vollständige Willkür in der Wehrordnung, die Dauer der militärischen Aus¬
bildung von einer Menge zusammenhangloser Schulkenntnisse abhängig zu
macheu, die sich der Militärpflichtige früher einmal in seinen Schuljahren an¬
geeignet, die er aber im zwanzigsten Jahre beim Beginn seines Dienstjahres
gewöhnlich gründlich wieder vergessen hat.

Auf der andern Seite hat der gesunde» geistigen Bildung des deutschen
Bürgerstandes nichts mehr geschadet als die Einführung des einjährig-frei¬
willigen Dienstes auf Grund eiuer unfertigen Sekundanerbildung. Die ganze
immer unerträglicher werdende Halbbildung z. B. in den wohlhabenden Kauf¬
mannskreisen ist auf diesen unglückselige» Paragraphen zurückzuführen. Wer
als Einjährig-Freiwilliger gedient hat, der weiß, daß nirgends größere Gegen¬
sätze in geistiger und sittlicher Beziehung zu siudeu sind, als uuter der scheinbar
ganz gleichmäßig gebildeten Gruppe der Eiujährig-Freiwilligen. Es giebt
uuter ihnen Leute von einer so unglaublichen Unwissenheit selbst in den ele¬
mentarsten Dingen, daß jeder Junge ans der ersten Klasse einer Volks¬
schule sie beschämen würde. So mancher Dreijährige hat eine viel grünt-


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[0117] [Abbildung] Unsre Ginjährig-jreiwilligen es sehe ein, daß ich zum Leutnant nicht passe, also mag ich trotz mancher Aufforderungen und Anerbieten nicht weiter avau- eireu. Das preußische Heer verdankt gewiß einen großen Teil seines Erfolgs gerade dem Umstände, daß auch die Gemeinen mit gebildeten Elementen durchsetzt sind, die dann die Ungebil¬ deten mit sich sichren und fortreißen — so heißt es in einem der Feldzugs¬ briefe, die einer unsrer hervorragenden Universitätslehrer nach dem deutsch¬ französischen Kriege veröffentlicht hat. Deutlicher als in diesem rühmlichen Selbstbekenntnis eines Gelehrten, der sich als gemeiner Soldat das eiserne Kreuz verdient hat, kann es kaum gesagt werden, daß wissenschaftliche Bil¬ dung und Anlagen zum Truppeuführcr zwei ganz verschiedne Dinge sind. Unsre moderne Schulbildung ist in der That ein sehr unzuverlässiger Maßstab für die Tüchtigkeit eines Offiziers. Denn die Eigenschaften, die heutzutage vom Soldaten verlangt werden müsfeiu Kraft und Geschmeidigkeit des Körpers, Gesundheit und Scharfe der Sinne, Willenskraft, Mut und Entschlossenheit werden auf der Schulbank nicht erworben. Es ist also eine vollständige Willkür in der Wehrordnung, die Dauer der militärischen Aus¬ bildung von einer Menge zusammenhangloser Schulkenntnisse abhängig zu macheu, die sich der Militärpflichtige früher einmal in seinen Schuljahren an¬ geeignet, die er aber im zwanzigsten Jahre beim Beginn seines Dienstjahres gewöhnlich gründlich wieder vergessen hat. Auf der andern Seite hat der gesunde» geistigen Bildung des deutschen Bürgerstandes nichts mehr geschadet als die Einführung des einjährig-frei¬ willigen Dienstes auf Grund eiuer unfertigen Sekundanerbildung. Die ganze immer unerträglicher werdende Halbbildung z. B. in den wohlhabenden Kauf¬ mannskreisen ist auf diesen unglückselige» Paragraphen zurückzuführen. Wer als Einjährig-Freiwilliger gedient hat, der weiß, daß nirgends größere Gegen¬ sätze in geistiger und sittlicher Beziehung zu siudeu sind, als uuter der scheinbar ganz gleichmäßig gebildeten Gruppe der Eiujährig-Freiwilligen. Es giebt uuter ihnen Leute von einer so unglaublichen Unwissenheit selbst in den ele¬ mentarsten Dingen, daß jeder Junge ans der ersten Klasse einer Volks¬ schule sie beschämen würde. So mancher Dreijährige hat eine viel grünt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/117>, abgerufen am 29.06.2024.