Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.China und das Abendland Denn weil bei solchen Gelegenheiten nur sehr wenige Leser zu beurteilen ver¬ 2 Ganz unabhängig von der Kultur des Westens und infolge der großen Ehe wir aber von dem jetzigen Stande der Beziehungen Chinas zum Das Altertum weiß sehr wenig von China. Ob der Name Sirien, der Grenzboten III 1892 9
China und das Abendland Denn weil bei solchen Gelegenheiten nur sehr wenige Leser zu beurteilen ver¬ 2 Ganz unabhängig von der Kultur des Westens und infolge der großen Ehe wir aber von dem jetzigen Stande der Beziehungen Chinas zum Das Altertum weiß sehr wenig von China. Ob der Name Sirien, der Grenzboten III 1892 9
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China und das Abendland
Denn weil bei solchen Gelegenheiten nur sehr wenige Leser zu beurteilen ver¬
mögen, wo die Wahrheit aufhört und die Erfindung der Berichterstatter an¬
fängt, so ist der Phantasie der Zeitungsschreiber ungemeßner Spielraum
gewährt. Was hat man nicht im vorigen Sommer während der Unruhen
für Zeug lesen müssen! Gelogen wie telegraphirt! konnte man da oft, sehr oft
mit Bismarck ausrufen. Fast immer gut unterrichtet zeigten sich nur ganz
wenige Blätter, darunter, wie zu erwarten war, die liinss und der ^so
?orta Hsi'^Ja. Aber sogar die Minieh machten vor einiger Zeit den groben
Schnitzer, von den Fremdenverfolgungen in Hunan zu sprechen, während doch
in dieser Provinz kein einziger Ausländer ansässig ist. Ju den meisten andern
Zeitungen traf man selten ans einen Artikel mit ganz richtigen Angaben.
Vielmehr fanden sich auch in englischen Blättern wiederholt solche Annahmen
wie die, daß Shanghai und Harlan Vorstädte von Hongkong wären. In
Wirklichkeit sind diese beiden großen Städte in der Luftlinie etwa eintausend¬
fünfhundert Kilometer vou Hongkong, also weiter als Berlin von Petersburg,
und etwa tausend Kilometer von einander entfernt. Nun wird man einwenden,
die Engländer stünden überhaupt, ebenso wie die Franzosen, mit der Erdkunde
auf sehr gespanntem Fuße; sie wüßten nicht allzu gut in ihrem eignen großen
Reiche auf der Karte Bescheid und erst recht nicht in andrer Herren Ländern.
Zugegeben! Aber Verwandte des Schreibers dieser Zeilen können davou er¬
zählen, daß anch ein Beamter am Schalter einer Kaiserlich deutschen Ober¬
postdirektion nicht wußte, wo Shanghai, der Endpunkt einer vom Reiche
unterstützten Postdampferlinie, liegt.
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Ganz unabhängig von der Kultur des Westens und infolge der großen
Entfernung gar nicht davon beeinflußt, hat sich im äußersten Osten des asiatisch-
europäischen Kontinents eine ebenso alte Kultur entwickelt. Erst in unsern
Tagen sehen wir beide in nähere Berührung mit einander kommen; Europa
und Amerika suchen tausende von Fäden in diplomatischer, geschäftlicher und
religiöser Beziehung in China anzuknüpfen, finden aber fast überall, daß der
zwar meistens passive, aber sehr zähe Widerstand, der sich ihnen entgegenstellt,
schwer zu überwinden ist. Noch niemals ist die abendländische christliche
Kultur auf einen solchen Widerstand gestoßen wie in China, und für den un¬
befangnen Beobachter wird es von größtem Interesse sein, zu verfolgen, wie
sich dieser Kampf in den nächsten Jahrzehnten gestalten wird.
Ehe wir aber von dem jetzigen Stande der Beziehungen Chinas zum
Abendlande sprechen, werden ein paar geschichtliche Angaben am Platze sein.
Das Altertum weiß sehr wenig von China. Ob der Name Sirien, der
im Jesaias vorkommt, gleichbedeutend ist mit China, ist ungewiß. Arrian,
Ptolemäus und Plinius geben die erste sichere Kunde von einem großen zivili-
Grenzboten III 1892 9
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