Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Lhina und das Abendland lange Zeit hinaus zu teuer sein. Aber schon sind die Russen dabei, den bisher Bis jetzt bekümmert man sich in Europa eigentlich nur dann um die Lhina und das Abendland lange Zeit hinaus zu teuer sein. Aber schon sind die Russen dabei, den bisher Bis jetzt bekümmert man sich in Europa eigentlich nur dann um die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212548"/> <fw type="header" place="top"> Lhina und das Abendland</fw><lb/> <p xml:id="ID_164" prev="#ID_163"> lange Zeit hinaus zu teuer sein. Aber schon sind die Russen dabei, den bisher<lb/> so abgeschloßnen fernen Osten durch die Erbauung der sibirische» Eisenbahn<lb/> mit dem Westen auf dem Landwege in bequeme Verbindung zu bringen. Dieser<lb/> ursprünglich aus militärischen Gründen unternommene und bei der geringen<lb/> Dringlichkeit der Sache nicht eben rasch geförderte Bau wird wahrscheinlich<lb/> demnächst beschleunigt werden, weil die Hungersnot im europäischen Nußland<lb/> und die gleichzeitige sehr reiche Ernte in Südsibirien den Russen die Augen<lb/> darüber geöffnet haben, daß eine solche Bahn nicht nur einen nebensächlichen,<lb/> fondern unter Umständen einen geradezu unschätzbaren volkswirtschaftlichen<lb/> Wert habe» kann. Schon hat sich ein Syndikat aus Ncmevuver angeboten,<lb/> mit erfahrnen chinesischen Arbeitern, die die kanadische Pacificbahn gebant<lb/> haben, nach Sibirien zu kommen. Wird dies angenommen, dann erleben wir<lb/> in wenigen Jahren die Vollendung der großen Eisenbahn, zugleich aber bald<lb/> daraus uoch etwas andres, worauf wohl noch niemals hingewiesen worden ist.<lb/> Denn diese Bahn und ihre unabwendbare Verbindung mit chinesische» Eisen¬<lb/> bahnen ermöglicht es dann den Chinesen, die sich schon jetzt, und zwar nicht<lb/> gerade zur Freude der Russen, in Südsibirien anzusiedeln beginnen, sich weiter<lb/> und weiter nach Westen auszubreiten. Damit wird sich Europa dann vor<lb/> eine neue, ganz gewaltige Frage gestellt sehen, deren Wichtigkeit allein schon<lb/> hinreichen sollte, die Blicke des Abendlandes etwas mehr, als es bisher ge¬<lb/> schehen ist, auf das himmlische Reich zu lenken. Vielleicht wird sich diese<lb/> Frage schon in wenigen Jahrzehnten in ihrem ganzen Ernste zeigen. Denn<lb/> ob die Russen, die selbst halbe Asiaten sind, dem Eindringen von zahlreichen<lb/> andern asiatischen Elementen nachhaltigen Widerstand entgegensetzen werden,<lb/> ist wohl sehr fraglich. Und dann hat das deutsche Reich die erfreuliche Aus¬<lb/> sicht, seine breite Ostgrenze noch mehr schützen zu müssen als bisher, wenn es<lb/> nicht einen Teil des Erwerbs von Arbeitern, Dienstboten u. s. w. in die Hände<lb/> der höchst anspruchslosen, fleißige» und gehorsamen Chinesen übergehen lassen<lb/> will. Über kurz oder lang werden diese Verhältnisse jedenfalls eintreten, und<lb/> deshalb ist es gut, wenn man möglichst früh darauf aufmerksam macht, selbst<lb/> auf die Gefahr hin, daß einem etwas abenteuerliche Ansichten vorgeworfen<lb/> werden könnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_165" next="#ID_166"> Bis jetzt bekümmert man sich in Europa eigentlich nur dann um die<lb/> fernliegenden chinesischen Verhältnisse, wenn im Reiche der Mitte etwas unge-<lb/> wöhnliches vorgeht. Aber selbst dann ist es durchaus nicht immer in dem<lb/> Maße der Fall, wie man erwarten sollte. Als ich kürzlich bei einer gerade<lb/> in gebildeten Kreisen viel gehaltenen Berliner Zeitung anfragte, ob sie einen<lb/> Aufsatz über die Unruhen in China haben wollte, wurde mir geantwortet, daß<lb/> man dafür bei den Lesern wohl kaum genügendes Interesse voraussetzen könne.<lb/> Dabei hatte das Blatt oft genug kurze Notizen über denselben Gegenstand<lb/> gebracht, bei denen, wie gewöhnlich, Wahres mit Falschen arg vermischt war.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0072]
Lhina und das Abendland
lange Zeit hinaus zu teuer sein. Aber schon sind die Russen dabei, den bisher
so abgeschloßnen fernen Osten durch die Erbauung der sibirische» Eisenbahn
mit dem Westen auf dem Landwege in bequeme Verbindung zu bringen. Dieser
ursprünglich aus militärischen Gründen unternommene und bei der geringen
Dringlichkeit der Sache nicht eben rasch geförderte Bau wird wahrscheinlich
demnächst beschleunigt werden, weil die Hungersnot im europäischen Nußland
und die gleichzeitige sehr reiche Ernte in Südsibirien den Russen die Augen
darüber geöffnet haben, daß eine solche Bahn nicht nur einen nebensächlichen,
fondern unter Umständen einen geradezu unschätzbaren volkswirtschaftlichen
Wert habe» kann. Schon hat sich ein Syndikat aus Ncmevuver angeboten,
mit erfahrnen chinesischen Arbeitern, die die kanadische Pacificbahn gebant
haben, nach Sibirien zu kommen. Wird dies angenommen, dann erleben wir
in wenigen Jahren die Vollendung der großen Eisenbahn, zugleich aber bald
daraus uoch etwas andres, worauf wohl noch niemals hingewiesen worden ist.
Denn diese Bahn und ihre unabwendbare Verbindung mit chinesische» Eisen¬
bahnen ermöglicht es dann den Chinesen, die sich schon jetzt, und zwar nicht
gerade zur Freude der Russen, in Südsibirien anzusiedeln beginnen, sich weiter
und weiter nach Westen auszubreiten. Damit wird sich Europa dann vor
eine neue, ganz gewaltige Frage gestellt sehen, deren Wichtigkeit allein schon
hinreichen sollte, die Blicke des Abendlandes etwas mehr, als es bisher ge¬
schehen ist, auf das himmlische Reich zu lenken. Vielleicht wird sich diese
Frage schon in wenigen Jahrzehnten in ihrem ganzen Ernste zeigen. Denn
ob die Russen, die selbst halbe Asiaten sind, dem Eindringen von zahlreichen
andern asiatischen Elementen nachhaltigen Widerstand entgegensetzen werden,
ist wohl sehr fraglich. Und dann hat das deutsche Reich die erfreuliche Aus¬
sicht, seine breite Ostgrenze noch mehr schützen zu müssen als bisher, wenn es
nicht einen Teil des Erwerbs von Arbeitern, Dienstboten u. s. w. in die Hände
der höchst anspruchslosen, fleißige» und gehorsamen Chinesen übergehen lassen
will. Über kurz oder lang werden diese Verhältnisse jedenfalls eintreten, und
deshalb ist es gut, wenn man möglichst früh darauf aufmerksam macht, selbst
auf die Gefahr hin, daß einem etwas abenteuerliche Ansichten vorgeworfen
werden könnten.
Bis jetzt bekümmert man sich in Europa eigentlich nur dann um die
fernliegenden chinesischen Verhältnisse, wenn im Reiche der Mitte etwas unge-
wöhnliches vorgeht. Aber selbst dann ist es durchaus nicht immer in dem
Maße der Fall, wie man erwarten sollte. Als ich kürzlich bei einer gerade
in gebildeten Kreisen viel gehaltenen Berliner Zeitung anfragte, ob sie einen
Aufsatz über die Unruhen in China haben wollte, wurde mir geantwortet, daß
man dafür bei den Lesern wohl kaum genügendes Interesse voraussetzen könne.
Dabei hatte das Blatt oft genug kurze Notizen über denselben Gegenstand
gebracht, bei denen, wie gewöhnlich, Wahres mit Falschen arg vermischt war.
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