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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Reise ins Kloster
Von Charlotte Niese (Schluß)

in Kloster wartete unser wieder eine Enttäuschung! Wir hatten
natürlich angenommen, daß das "Kloster" ein Hans mit dicken
Mauern und vielen kleinen Gängen sei. Nun befanden wir uns
plötzlich in einem großen, schönen Garten. Überall blühten die
Rosen und andre Blumen; zwischen Rasenflächen lagen alte und
neue Häuser, und das Ganze sah aus wie ein Bild des Friedens
und der Behaglichkeit.

Das Haus, vor dem unser Wagen hielt, war eins der ältesten des
Klosters, sodaß seine Bewohnerinnen vortrefflich hineinpaßten. Beide standen
vor der Thür, als wir ausstiegen. Fräulein von Moldenwitt ziemlich mager
und freundlich, Tante Emma ziemlich dick und sehr ernst. Mit einigen er¬
mahnenden Worten nahmen sie uns in Empfang.
"

Ihr dürft bei Tante Emma nur immer "ja sagen und sonst nichts ant¬
worten; dann hört sie am ersten auf! Mit diesem Rate hatten uns die ältern
Brüder entlassen. Wir befolgten ihn andächtig und standen uns ganz gut
dabei, denn da wir nur eine Autwort hatten, brauchten wir ihr ja auch nicht
immer zuzuhören.

Es war ein über zweihundert Jahre altes Haus, das die beiden Damen
bewohnten, und es hatte die sonderbarsten kleinen Stuben, winklige Treppen
und Treppchen, einen weiten Bodenraum und einen köstlichen, halb zugewach¬
senen Garten, an dem ein breiter Graben vorüberfloß. Hier fingen wir gleich
in der ersten Stunde nach unsrer Ankunft so viele Grashüpfer, daß wir Sophie,
die Köchin, um ein Gefäß ersuchen mußten, damit wir unsre Schätze unter¬
bringen konnten.

Sophie war ein gutes Mädchen. Gleich zu Anfang unsrer Bekanntschaft
fragten wir sie natürlich nach ihrem Alter, und als sie uns lachend Aufklärung
gegeben hatte, gingen wir in die beste Stube, wo Fräulein von Moldenwitt
mit Tante Emma, Vater und einem Besuch saß, und erkundigten uns teil¬
nehmend auch hier, wie alt die Damen wären. Fräulein von Moldenwitt er¬
schrak sichtlich, lachte aber und sagte nichts, während Tante sehr rot wurde
und einige ernährende Worte an uns richtete, des Inhalts, daß man nach
solchen Dingen nie fragen dürfe. Wir sagten "ja!" und flohen schleunigst
wieder zu Sophien, die uns im ganzen freundlicher schien, als die Damen im
Wohnzimmer. Sie erzählte uns auch gleich, was wir heute essen würden, und
wie viel Geschwister sie habe. Zweimal verlobt war sie auch schon gewesen,




Die Reise ins Kloster
Von Charlotte Niese (Schluß)

in Kloster wartete unser wieder eine Enttäuschung! Wir hatten
natürlich angenommen, daß das „Kloster" ein Hans mit dicken
Mauern und vielen kleinen Gängen sei. Nun befanden wir uns
plötzlich in einem großen, schönen Garten. Überall blühten die
Rosen und andre Blumen; zwischen Rasenflächen lagen alte und
neue Häuser, und das Ganze sah aus wie ein Bild des Friedens
und der Behaglichkeit.

Das Haus, vor dem unser Wagen hielt, war eins der ältesten des
Klosters, sodaß seine Bewohnerinnen vortrefflich hineinpaßten. Beide standen
vor der Thür, als wir ausstiegen. Fräulein von Moldenwitt ziemlich mager
und freundlich, Tante Emma ziemlich dick und sehr ernst. Mit einigen er¬
mahnenden Worten nahmen sie uns in Empfang.
"

Ihr dürft bei Tante Emma nur immer „ja sagen und sonst nichts ant¬
worten; dann hört sie am ersten auf! Mit diesem Rate hatten uns die ältern
Brüder entlassen. Wir befolgten ihn andächtig und standen uns ganz gut
dabei, denn da wir nur eine Autwort hatten, brauchten wir ihr ja auch nicht
immer zuzuhören.

Es war ein über zweihundert Jahre altes Haus, das die beiden Damen
bewohnten, und es hatte die sonderbarsten kleinen Stuben, winklige Treppen
und Treppchen, einen weiten Bodenraum und einen köstlichen, halb zugewach¬
senen Garten, an dem ein breiter Graben vorüberfloß. Hier fingen wir gleich
in der ersten Stunde nach unsrer Ankunft so viele Grashüpfer, daß wir Sophie,
die Köchin, um ein Gefäß ersuchen mußten, damit wir unsre Schätze unter¬
bringen konnten.

Sophie war ein gutes Mädchen. Gleich zu Anfang unsrer Bekanntschaft
fragten wir sie natürlich nach ihrem Alter, und als sie uns lachend Aufklärung
gegeben hatte, gingen wir in die beste Stube, wo Fräulein von Moldenwitt
mit Tante Emma, Vater und einem Besuch saß, und erkundigten uns teil¬
nehmend auch hier, wie alt die Damen wären. Fräulein von Moldenwitt er¬
schrak sichtlich, lachte aber und sagte nichts, während Tante sehr rot wurde
und einige ernährende Worte an uns richtete, des Inhalts, daß man nach
solchen Dingen nie fragen dürfe. Wir sagten „ja!" und flohen schleunigst
wieder zu Sophien, die uns im ganzen freundlicher schien, als die Damen im
Wohnzimmer. Sie erzählte uns auch gleich, was wir heute essen würden, und
wie viel Geschwister sie habe. Zweimal verlobt war sie auch schon gewesen,


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[0624] [Abbildung] Die Reise ins Kloster Von Charlotte Niese (Schluß) in Kloster wartete unser wieder eine Enttäuschung! Wir hatten natürlich angenommen, daß das „Kloster" ein Hans mit dicken Mauern und vielen kleinen Gängen sei. Nun befanden wir uns plötzlich in einem großen, schönen Garten. Überall blühten die Rosen und andre Blumen; zwischen Rasenflächen lagen alte und neue Häuser, und das Ganze sah aus wie ein Bild des Friedens und der Behaglichkeit. Das Haus, vor dem unser Wagen hielt, war eins der ältesten des Klosters, sodaß seine Bewohnerinnen vortrefflich hineinpaßten. Beide standen vor der Thür, als wir ausstiegen. Fräulein von Moldenwitt ziemlich mager und freundlich, Tante Emma ziemlich dick und sehr ernst. Mit einigen er¬ mahnenden Worten nahmen sie uns in Empfang. " Ihr dürft bei Tante Emma nur immer „ja sagen und sonst nichts ant¬ worten; dann hört sie am ersten auf! Mit diesem Rate hatten uns die ältern Brüder entlassen. Wir befolgten ihn andächtig und standen uns ganz gut dabei, denn da wir nur eine Autwort hatten, brauchten wir ihr ja auch nicht immer zuzuhören. Es war ein über zweihundert Jahre altes Haus, das die beiden Damen bewohnten, und es hatte die sonderbarsten kleinen Stuben, winklige Treppen und Treppchen, einen weiten Bodenraum und einen köstlichen, halb zugewach¬ senen Garten, an dem ein breiter Graben vorüberfloß. Hier fingen wir gleich in der ersten Stunde nach unsrer Ankunft so viele Grashüpfer, daß wir Sophie, die Köchin, um ein Gefäß ersuchen mußten, damit wir unsre Schätze unter¬ bringen konnten. Sophie war ein gutes Mädchen. Gleich zu Anfang unsrer Bekanntschaft fragten wir sie natürlich nach ihrem Alter, und als sie uns lachend Aufklärung gegeben hatte, gingen wir in die beste Stube, wo Fräulein von Moldenwitt mit Tante Emma, Vater und einem Besuch saß, und erkundigten uns teil¬ nehmend auch hier, wie alt die Damen wären. Fräulein von Moldenwitt er¬ schrak sichtlich, lachte aber und sagte nichts, während Tante sehr rot wurde und einige ernährende Worte an uns richtete, des Inhalts, daß man nach solchen Dingen nie fragen dürfe. Wir sagten „ja!" und flohen schleunigst wieder zu Sophien, die uns im ganzen freundlicher schien, als die Damen im Wohnzimmer. Sie erzählte uns auch gleich, was wir heute essen würden, und wie viel Geschwister sie habe. Zweimal verlobt war sie auch schon gewesen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/624>, abgerufen am 05.01.2025.