Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bilder aus dem Universitätsleben

Warum nicht? Was kanns denn beßres für mich geben?

Aber wenn Sie an Ihre Kinderzeit denken, muß Ihnen doch manchmal
bang ums Herz werden.

Sie fuhr mir mit der flachen Hand über den Kopf und sagte höhnisch:
Hören Sie mal, mein Verehrter, Sie gehören wohl gar zur innern Mission?
Geben Sie sich keine Mühe! Mit der ewigen Seligkeit ists doch nichts. Über
den Unsinn sind wir naus. Ich sage wie der Otte: ich kriegs nicht mehr
raus aus den Knochen! Und: man muß das Feuer konzentriren! Erinnern
Sie sich, wenn er in der Laube saß, und ich ihm die frischgefüllte Blattlaus
bringen mußte? Zwei oder drei Jahre, denk ich, gehts noch, und gehts dann
nicht mehr, na, dann ists auch gut. Aber andächtig auf dem Gendarmen¬
markt sitzen und für sechs Dreier Äppel verkaufen, mit einem Wärmofen
unterm Stuhl -- nee, mein Bester! Denn lieber rin in den Landwehrkanal,
wos am tiefsten ist. Sitzen Sie doch nicht so trauerklößig da!

Dabei schlug sie mir mit der Hand aufs Knie, daß ich aufsprang.

Ich bin Ihnen wohl nicht mehr hübsch genug? wie? Sie alter, schwer¬
fälliger Prvvinziale! Darf ich mir noch ein Glas holen?

Meinetwegen! sagte ich wie abwesend.

Die Gäste am Nebentisch mußten wohl auf unser Gespräch gehört haben,
denn sie steckten die Köpfe zusammen, sahen auf mich und auf die lachend ab-
tünzelnde Kellnerin und brachen in ein lautes Gelächter aus. Ich griff nach
meinem Hute, warf eine Mark auf den Tisch und verließ das Lokal. Aus dem
Hinterraum ertönte wieder das Pauken des Klavierspielers, und die Gäste der
Bismarckfeier sangen oder brüllten den zweiten Vers von Deutschland, Deutsch¬
land über alles!

Ich schlich verstimmt, wie einer, der eine kolossale Dummheit begangen
hat, die Markgrafenstraße hinunter bis zur Leipziger. Da drehte ich mich
noch einmal um und sah die rote Laterne der wunderliche" Kneipe. Sie er¬
schien mir wie eine große rote Nase. Ich mußte an den alten Pedell und
Bvmbenschmeißer denken, und mir wars, als horte ich durch das nächtliche
Sausen und Rollen seine heisere Stimme brummen: Ich kriegs nicht mehr
raus aus den Knochen -- die verfluchte Kälte vor Paris!




Bilder aus dem Universitätsleben

Warum nicht? Was kanns denn beßres für mich geben?

Aber wenn Sie an Ihre Kinderzeit denken, muß Ihnen doch manchmal
bang ums Herz werden.

Sie fuhr mir mit der flachen Hand über den Kopf und sagte höhnisch:
Hören Sie mal, mein Verehrter, Sie gehören wohl gar zur innern Mission?
Geben Sie sich keine Mühe! Mit der ewigen Seligkeit ists doch nichts. Über
den Unsinn sind wir naus. Ich sage wie der Otte: ich kriegs nicht mehr
raus aus den Knochen! Und: man muß das Feuer konzentriren! Erinnern
Sie sich, wenn er in der Laube saß, und ich ihm die frischgefüllte Blattlaus
bringen mußte? Zwei oder drei Jahre, denk ich, gehts noch, und gehts dann
nicht mehr, na, dann ists auch gut. Aber andächtig auf dem Gendarmen¬
markt sitzen und für sechs Dreier Äppel verkaufen, mit einem Wärmofen
unterm Stuhl — nee, mein Bester! Denn lieber rin in den Landwehrkanal,
wos am tiefsten ist. Sitzen Sie doch nicht so trauerklößig da!

Dabei schlug sie mir mit der Hand aufs Knie, daß ich aufsprang.

Ich bin Ihnen wohl nicht mehr hübsch genug? wie? Sie alter, schwer¬
fälliger Prvvinziale! Darf ich mir noch ein Glas holen?

Meinetwegen! sagte ich wie abwesend.

Die Gäste am Nebentisch mußten wohl auf unser Gespräch gehört haben,
denn sie steckten die Köpfe zusammen, sahen auf mich und auf die lachend ab-
tünzelnde Kellnerin und brachen in ein lautes Gelächter aus. Ich griff nach
meinem Hute, warf eine Mark auf den Tisch und verließ das Lokal. Aus dem
Hinterraum ertönte wieder das Pauken des Klavierspielers, und die Gäste der
Bismarckfeier sangen oder brüllten den zweiten Vers von Deutschland, Deutsch¬
land über alles!

Ich schlich verstimmt, wie einer, der eine kolossale Dummheit begangen
hat, die Markgrafenstraße hinunter bis zur Leipziger. Da drehte ich mich
noch einmal um und sah die rote Laterne der wunderliche» Kneipe. Sie er¬
schien mir wie eine große rote Nase. Ich mußte an den alten Pedell und
Bvmbenschmeißer denken, und mir wars, als horte ich durch das nächtliche
Sausen und Rollen seine heisere Stimme brummen: Ich kriegs nicht mehr
raus aus den Knochen — die verfluchte Kälte vor Paris!




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0623" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213099"/>
          <fw type="header" place="top"> Bilder aus dem Universitätsleben</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2101" prev="#ID_2100"> Warum nicht? Was kanns denn beßres für mich geben?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2102"> Aber wenn Sie an Ihre Kinderzeit denken, muß Ihnen doch manchmal<lb/>
bang ums Herz werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2103"> Sie fuhr mir mit der flachen Hand über den Kopf und sagte höhnisch:<lb/>
Hören Sie mal, mein Verehrter, Sie gehören wohl gar zur innern Mission?<lb/>
Geben Sie sich keine Mühe! Mit der ewigen Seligkeit ists doch nichts. Über<lb/>
den Unsinn sind wir naus. Ich sage wie der Otte: ich kriegs nicht mehr<lb/>
raus aus den Knochen! Und: man muß das Feuer konzentriren! Erinnern<lb/>
Sie sich, wenn er in der Laube saß, und ich ihm die frischgefüllte Blattlaus<lb/>
bringen mußte? Zwei oder drei Jahre, denk ich, gehts noch, und gehts dann<lb/>
nicht mehr, na, dann ists auch gut. Aber andächtig auf dem Gendarmen¬<lb/>
markt sitzen und für sechs Dreier Äppel verkaufen, mit einem Wärmofen<lb/>
unterm Stuhl &#x2014; nee, mein Bester! Denn lieber rin in den Landwehrkanal,<lb/>
wos am tiefsten ist.  Sitzen Sie doch nicht so trauerklößig da!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2104"> Dabei schlug sie mir mit der Hand aufs Knie, daß ich aufsprang.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2105"> Ich bin Ihnen wohl nicht mehr hübsch genug? wie? Sie alter, schwer¬<lb/>
fälliger Prvvinziale! Darf ich mir noch ein Glas holen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2106"> Meinetwegen! sagte ich wie abwesend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2107"> Die Gäste am Nebentisch mußten wohl auf unser Gespräch gehört haben,<lb/>
denn sie steckten die Köpfe zusammen, sahen auf mich und auf die lachend ab-<lb/>
tünzelnde Kellnerin und brachen in ein lautes Gelächter aus. Ich griff nach<lb/>
meinem Hute, warf eine Mark auf den Tisch und verließ das Lokal. Aus dem<lb/>
Hinterraum ertönte wieder das Pauken des Klavierspielers, und die Gäste der<lb/>
Bismarckfeier sangen oder brüllten den zweiten Vers von Deutschland, Deutsch¬<lb/>
land über alles!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2108"> Ich schlich verstimmt, wie einer, der eine kolossale Dummheit begangen<lb/>
hat, die Markgrafenstraße hinunter bis zur Leipziger. Da drehte ich mich<lb/>
noch einmal um und sah die rote Laterne der wunderliche» Kneipe. Sie er¬<lb/>
schien mir wie eine große rote Nase. Ich mußte an den alten Pedell und<lb/>
Bvmbenschmeißer denken, und mir wars, als horte ich durch das nächtliche<lb/>
Sausen und Rollen seine heisere Stimme brummen: Ich kriegs nicht mehr<lb/>
raus aus den Knochen &#x2014; die verfluchte Kälte vor Paris!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0623] Bilder aus dem Universitätsleben Warum nicht? Was kanns denn beßres für mich geben? Aber wenn Sie an Ihre Kinderzeit denken, muß Ihnen doch manchmal bang ums Herz werden. Sie fuhr mir mit der flachen Hand über den Kopf und sagte höhnisch: Hören Sie mal, mein Verehrter, Sie gehören wohl gar zur innern Mission? Geben Sie sich keine Mühe! Mit der ewigen Seligkeit ists doch nichts. Über den Unsinn sind wir naus. Ich sage wie der Otte: ich kriegs nicht mehr raus aus den Knochen! Und: man muß das Feuer konzentriren! Erinnern Sie sich, wenn er in der Laube saß, und ich ihm die frischgefüllte Blattlaus bringen mußte? Zwei oder drei Jahre, denk ich, gehts noch, und gehts dann nicht mehr, na, dann ists auch gut. Aber andächtig auf dem Gendarmen¬ markt sitzen und für sechs Dreier Äppel verkaufen, mit einem Wärmofen unterm Stuhl — nee, mein Bester! Denn lieber rin in den Landwehrkanal, wos am tiefsten ist. Sitzen Sie doch nicht so trauerklößig da! Dabei schlug sie mir mit der Hand aufs Knie, daß ich aufsprang. Ich bin Ihnen wohl nicht mehr hübsch genug? wie? Sie alter, schwer¬ fälliger Prvvinziale! Darf ich mir noch ein Glas holen? Meinetwegen! sagte ich wie abwesend. Die Gäste am Nebentisch mußten wohl auf unser Gespräch gehört haben, denn sie steckten die Köpfe zusammen, sahen auf mich und auf die lachend ab- tünzelnde Kellnerin und brachen in ein lautes Gelächter aus. Ich griff nach meinem Hute, warf eine Mark auf den Tisch und verließ das Lokal. Aus dem Hinterraum ertönte wieder das Pauken des Klavierspielers, und die Gäste der Bismarckfeier sangen oder brüllten den zweiten Vers von Deutschland, Deutsch¬ land über alles! Ich schlich verstimmt, wie einer, der eine kolossale Dummheit begangen hat, die Markgrafenstraße hinunter bis zur Leipziger. Da drehte ich mich noch einmal um und sah die rote Laterne der wunderliche» Kneipe. Sie er¬ schien mir wie eine große rote Nase. Ich mußte an den alten Pedell und Bvmbenschmeißer denken, und mir wars, als horte ich durch das nächtliche Sausen und Rollen seine heisere Stimme brummen: Ich kriegs nicht mehr raus aus den Knochen — die verfluchte Kälte vor Paris!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/623
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/623>, abgerufen am 06.01.2025.