Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Gisenbahndeutsch on meiner diesjährigen Rundreise habe ich mir eine interessante Die Schwierigkeiten beginnen gleich auf der Titelseite: Nundreisebillette Aber ist es denn noch deutsch? Ist es überhaupt noch Sprache? Soll Gisenbahndeutsch on meiner diesjährigen Rundreise habe ich mir eine interessante Die Schwierigkeiten beginnen gleich auf der Titelseite: Nundreisebillette Aber ist es denn noch deutsch? Ist es überhaupt noch Sprache? Soll <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0603" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213079"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341855_212475/figures/grenzboten_341855_212475_213079_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Gisenbahndeutsch</head><lb/> <p xml:id="ID_1995"> on meiner diesjährigen Rundreise habe ich mir eine interessante<lb/> Reliquie mitgebracht: den Umschlag meines Rundreisebillets.<lb/> Ich habe ihn oft studirt auf langweiligen Strecken, wo es draußen<lb/> nichts zu sehen gab, und habe mich redlich bemüht, mich mit<lb/> dem „Auszug aus den Beförderungsbedingungen," der drei<lb/> Seiten davon umfaßt, vertraut zu machen. Aber ganz ist es mir doch nicht<lb/> gelungen; deshalb habe ich ihn mit nach Hause genommen, um hier gelegentlich<lb/> das Studium fortzusetzen, damit ich übers Jahr noch besser gerüstet bin<lb/> als Heuer.</p><lb/> <p xml:id="ID_1996"> Die Schwierigkeiten beginnen gleich auf der Titelseite: Nundreisebillette<lb/> giebt es ja eigentlich gar nicht mehr, sondern nnr noch „zusammengestellte Fahr¬<lb/> scheinhefte." Vor wenigen Jahren sprach man noch allgemein von „kom-<lb/> binirbaren Rundreisen" und „kombinirbaren Rundreisebillets." Das stand in<lb/> meinem diesjährigen Büchelchen nnr noch ans zwei Billetten, aus einem von<lb/> der Main-Neckarbahn und auf einem von der tgi. bairischen Staatseisen¬<lb/> bahn; es waren das wohl noch ältere Billette von seltner befahrenen Strecken.<lb/> Auf alleu übrigen, auf denen der tgi. preußischen und der grvßhzgl. badischen<lb/> Staatseisenbahnen, der hessischen Ludwigseisenbahn und auch auf den meisten<lb/> der tgi. bairischen Staatseisenbahnen war nnr noch von „zusammenstellbareu<lb/> Fahrscheinen" die Rede. In kurzem wird es also jedesfalls in ganz Deutsch¬<lb/> land nur noch „zusammenstellbare Fahrscheine" geben. Und da, wenn zwölf<lb/> solche „Fahrscheine" mit Drahtklammern verbunden werden, natürlich ein<lb/> „Heft" entsteht, die Zusammenstellbarkeit der „Fahrscheine" aber durch deu<lb/> Heftdraht aus dem Bereich der bloßen Möglichkeit in den der Wirklichkeit,<lb/> der Thatsnchlichkeit gerückt wird, so kann kein Zweisel darüber sein: das<lb/> Büchelchen, das mir am Schalter verabreicht wird, damit ich eine Rundreise<lb/> machen kann, ist ein „zusammengestelltes Fahrscheinheft." Das ist logisch<lb/> unanfechtbar und über jeden Zweifel erhaben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1997" next="#ID_1998"> Aber ist es denn noch deutsch? Ist es überhaupt noch Sprache? Soll<lb/> das deutsche Volk wirklich diese Büchelchen in Zukunft „zusammengestellte<lb/> Fahrscheinhefte" nennen? Nennen — darauf kommts doch an! Dinge brauchen<lb/> Namen! Soll ich wirklich in Zukunft am Schalter um ein „zusammengestelltes</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0603]
[Abbildung]
Gisenbahndeutsch
on meiner diesjährigen Rundreise habe ich mir eine interessante
Reliquie mitgebracht: den Umschlag meines Rundreisebillets.
Ich habe ihn oft studirt auf langweiligen Strecken, wo es draußen
nichts zu sehen gab, und habe mich redlich bemüht, mich mit
dem „Auszug aus den Beförderungsbedingungen," der drei
Seiten davon umfaßt, vertraut zu machen. Aber ganz ist es mir doch nicht
gelungen; deshalb habe ich ihn mit nach Hause genommen, um hier gelegentlich
das Studium fortzusetzen, damit ich übers Jahr noch besser gerüstet bin
als Heuer.
Die Schwierigkeiten beginnen gleich auf der Titelseite: Nundreisebillette
giebt es ja eigentlich gar nicht mehr, sondern nnr noch „zusammengestellte Fahr¬
scheinhefte." Vor wenigen Jahren sprach man noch allgemein von „kom-
binirbaren Rundreisen" und „kombinirbaren Rundreisebillets." Das stand in
meinem diesjährigen Büchelchen nnr noch ans zwei Billetten, aus einem von
der Main-Neckarbahn und auf einem von der tgi. bairischen Staatseisen¬
bahn; es waren das wohl noch ältere Billette von seltner befahrenen Strecken.
Auf alleu übrigen, auf denen der tgi. preußischen und der grvßhzgl. badischen
Staatseisenbahnen, der hessischen Ludwigseisenbahn und auch auf den meisten
der tgi. bairischen Staatseisenbahnen war nnr noch von „zusammenstellbareu
Fahrscheinen" die Rede. In kurzem wird es also jedesfalls in ganz Deutsch¬
land nur noch „zusammenstellbare Fahrscheine" geben. Und da, wenn zwölf
solche „Fahrscheine" mit Drahtklammern verbunden werden, natürlich ein
„Heft" entsteht, die Zusammenstellbarkeit der „Fahrscheine" aber durch deu
Heftdraht aus dem Bereich der bloßen Möglichkeit in den der Wirklichkeit,
der Thatsnchlichkeit gerückt wird, so kann kein Zweisel darüber sein: das
Büchelchen, das mir am Schalter verabreicht wird, damit ich eine Rundreise
machen kann, ist ein „zusammengestelltes Fahrscheinheft." Das ist logisch
unanfechtbar und über jeden Zweifel erhaben.
Aber ist es denn noch deutsch? Ist es überhaupt noch Sprache? Soll
das deutsche Volk wirklich diese Büchelchen in Zukunft „zusammengestellte
Fahrscheinhefte" nennen? Nennen — darauf kommts doch an! Dinge brauchen
Namen! Soll ich wirklich in Zukunft am Schalter um ein „zusammengestelltes
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