Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Gisenbcchndentsch Fahrscheinheft" bitten? Soll ich meinen Freund, der eine Reise vorhat, Ein Fehler, der bei unsern jetzigen Bestrebungen, die deutsche Sprache Ich hasse die Fremdwörterei im Deutschen auch vou Grund meiner Seele, *) Vom lateinischen dnUa (Blase, Kapsel, besonders Siegelkapsel, Marke), italienisch
holt-r, wurde die Verkleinerungsform dollsttg. abgeleitet, aus der wieder lmllsttino, dullotin und, vielleicht mit irrtümlicher Anlehnung an das englische Kill, mich Billet entstanden sind. In Leipzig nannte man schon im sechzehnten Jahrhundert gewisse mit dem Stadtwappen ver¬ söhne Blechmarken, die der Burgkeller in seinem Geschäftsbetriebe gebrauchte, Boteler oder auch Poleten. " Gisenbcchndentsch Fahrscheinheft" bitten? Soll ich meinen Freund, der eine Reise vorhat, Ein Fehler, der bei unsern jetzigen Bestrebungen, die deutsche Sprache Ich hasse die Fremdwörterei im Deutschen auch vou Grund meiner Seele, *) Vom lateinischen dnUa (Blase, Kapsel, besonders Siegelkapsel, Marke), italienisch
holt-r, wurde die Verkleinerungsform dollsttg. abgeleitet, aus der wieder lmllsttino, dullotin und, vielleicht mit irrtümlicher Anlehnung an das englische Kill, mich Billet entstanden sind. In Leipzig nannte man schon im sechzehnten Jahrhundert gewisse mit dem Stadtwappen ver¬ söhne Blechmarken, die der Burgkeller in seinem Geschäftsbetriebe gebrauchte, Boteler oder auch Poleten. « <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0604" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213080"/> <fw type="header" place="top"> Gisenbcchndentsch</fw><lb/> <p xml:id="ID_1998" prev="#ID_1997"> Fahrscheinheft" bitten? Soll ich meinen Freund, der eine Reise vorhat,<lb/> fragen: Hast du dir schon dein „zusammengestelltes Fahrscheinheft" besorgt?</p><lb/> <p xml:id="ID_1999"> Ein Fehler, der bei unsern jetzigen Bestrebungen, die deutsche Sprache<lb/> von Fremdwörtern zu reinigen, fort und fort gemacht wird, ist der, daß man<lb/> für den fremdländischen Namen, den ein Ding hat, nicht einen deutschen Namen<lb/> setzt, sondern den Begriff umständlich definirt. Kommt, wie im vorliegenden<lb/> Falle, noch das büreaukratische Bestreben hinzu, derartige Definitionen auch<lb/> juristisch unanfechtbar zu machen, so entstehen dann solche ungeheuerliche<lb/> Sachbenennungen wie „zusammengestelltes Fahrscheinheft." Unsre Amtssprache<lb/> wird, seitdem die Sprachreinigung im Gange ist, immer mehr mit solchen Un¬<lb/> getümen überschwemmt, die keine Namen mehr sind, sondern nur noch Um¬<lb/> schreibungen, ängstlich logisch und juristisch abgegrenzte Umschreibungen der<lb/> Dinge. Gott schütze unsre Sprache vor weiter» solchen Reinigungserfolgen!</p><lb/> <p xml:id="ID_2000" next="#ID_2001"> Ich hasse die Fremdwörterei im Deutschen auch vou Grund meiner Seele,<lb/> es kann sie niemand mehr hassen als ich. Aber die Reinigung ist ganz am<lb/> falschen Ende angefaßt worden, man hat sich auf die technischen Ausdrücke ge¬<lb/> stürzt; und da fiel denn auch Billet mit zum Opfer. Das Wort Billet<lb/> war aber gar kein Fremdwort mehr, es war schon fast zum Lehnwort<lb/> geworden. Es lebt in unsrer Sprache seit Jahrhunderten, gehört zu den<lb/> zahlreichen Wörtern, die durch den kaufmännischen Verkehr hereingekommen<lb/> sind,") man brauchte es nnr deutsch auszusprechen, wie es das Volk aus¬<lb/> sprach und noch heute ausspricht (ohne das auch etymologisch ganz unberech¬<lb/> tigte 1 incmillö), so konnte es ruhig beibehalten werden. Jetzt heißt es nun<lb/> dafür bald „Fahrkarte," bald „Fahrschein," je nachdem das Ding ans Pappe<lb/> gezogen ist oder aus einem bloßen Stück Papier besteht. Diese Unterscheidung<lb/> ist aber gar nicht richtig. Denn Karte bedeutet ursprünglich keineswegs bloß<lb/> das gesteifte oder uns Pappe gezogne Papier <wie in Spielkarte, Visitenkarte),<lb/> sondern das Papier überhaupt (wie in Landkarte). Mit dem Worte „Schein"<lb/> wiederum verbinden wir unwillkürlich die Vorstellung einer gewissen Größe,<lb/> die bei den „Fahrscheinen" der Eisenbahn allenfalls noch eingehalten ist, denn<lb/> hier ist sie ungefähr dieselbe wie bei den ehemaligen „Kassenscheinen." Aber<lb/> die Pferdebahn — die hat natürlich nun auch keine Billette mehr, sondern<lb/> redet auch von „Fahrkarten," obwohl ihre Billette nicht auf Pappe gezogen<lb/> sind. „Scheine" — das hat mau gefühlt — kann man diese erbärmlichen<lb/> Wischcl doch nicht nennen, höchstens „Fahrblättchen" oder „Fahrschnitzel."</p><lb/> <note xml:id="FID_52" place="foot"> *) Vom lateinischen dnUa (Blase, Kapsel, besonders Siegelkapsel, Marke), italienisch<lb/> holt-r, wurde die Verkleinerungsform dollsttg. abgeleitet, aus der wieder lmllsttino, dullotin<lb/> und, vielleicht mit irrtümlicher Anlehnung an das englische Kill, mich Billet entstanden sind.<lb/> In Leipzig nannte man schon im sechzehnten Jahrhundert gewisse mit dem Stadtwappen ver¬<lb/> söhne Blechmarken, die der Burgkeller in seinem Geschäftsbetriebe gebrauchte, Boteler oder<lb/> auch Poleten. «</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0604]
Gisenbcchndentsch
Fahrscheinheft" bitten? Soll ich meinen Freund, der eine Reise vorhat,
fragen: Hast du dir schon dein „zusammengestelltes Fahrscheinheft" besorgt?
Ein Fehler, der bei unsern jetzigen Bestrebungen, die deutsche Sprache
von Fremdwörtern zu reinigen, fort und fort gemacht wird, ist der, daß man
für den fremdländischen Namen, den ein Ding hat, nicht einen deutschen Namen
setzt, sondern den Begriff umständlich definirt. Kommt, wie im vorliegenden
Falle, noch das büreaukratische Bestreben hinzu, derartige Definitionen auch
juristisch unanfechtbar zu machen, so entstehen dann solche ungeheuerliche
Sachbenennungen wie „zusammengestelltes Fahrscheinheft." Unsre Amtssprache
wird, seitdem die Sprachreinigung im Gange ist, immer mehr mit solchen Un¬
getümen überschwemmt, die keine Namen mehr sind, sondern nur noch Um¬
schreibungen, ängstlich logisch und juristisch abgegrenzte Umschreibungen der
Dinge. Gott schütze unsre Sprache vor weiter» solchen Reinigungserfolgen!
Ich hasse die Fremdwörterei im Deutschen auch vou Grund meiner Seele,
es kann sie niemand mehr hassen als ich. Aber die Reinigung ist ganz am
falschen Ende angefaßt worden, man hat sich auf die technischen Ausdrücke ge¬
stürzt; und da fiel denn auch Billet mit zum Opfer. Das Wort Billet
war aber gar kein Fremdwort mehr, es war schon fast zum Lehnwort
geworden. Es lebt in unsrer Sprache seit Jahrhunderten, gehört zu den
zahlreichen Wörtern, die durch den kaufmännischen Verkehr hereingekommen
sind,") man brauchte es nnr deutsch auszusprechen, wie es das Volk aus¬
sprach und noch heute ausspricht (ohne das auch etymologisch ganz unberech¬
tigte 1 incmillö), so konnte es ruhig beibehalten werden. Jetzt heißt es nun
dafür bald „Fahrkarte," bald „Fahrschein," je nachdem das Ding ans Pappe
gezogen ist oder aus einem bloßen Stück Papier besteht. Diese Unterscheidung
ist aber gar nicht richtig. Denn Karte bedeutet ursprünglich keineswegs bloß
das gesteifte oder uns Pappe gezogne Papier <wie in Spielkarte, Visitenkarte),
sondern das Papier überhaupt (wie in Landkarte). Mit dem Worte „Schein"
wiederum verbinden wir unwillkürlich die Vorstellung einer gewissen Größe,
die bei den „Fahrscheinen" der Eisenbahn allenfalls noch eingehalten ist, denn
hier ist sie ungefähr dieselbe wie bei den ehemaligen „Kassenscheinen." Aber
die Pferdebahn — die hat natürlich nun auch keine Billette mehr, sondern
redet auch von „Fahrkarten," obwohl ihre Billette nicht auf Pappe gezogen
sind. „Scheine" — das hat mau gefühlt — kann man diese erbärmlichen
Wischcl doch nicht nennen, höchstens „Fahrblättchen" oder „Fahrschnitzel."
*) Vom lateinischen dnUa (Blase, Kapsel, besonders Siegelkapsel, Marke), italienisch
holt-r, wurde die Verkleinerungsform dollsttg. abgeleitet, aus der wieder lmllsttino, dullotin
und, vielleicht mit irrtümlicher Anlehnung an das englische Kill, mich Billet entstanden sind.
In Leipzig nannte man schon im sechzehnten Jahrhundert gewisse mit dem Stadtwappen ver¬
söhne Blechmarken, die der Burgkeller in seinem Geschäftsbetriebe gebrauchte, Boteler oder
auch Poleten. «
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