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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Reise ins Kloster

fung der Person! -- in sich zu vereinigen und zu diesem Zweck sogar schon
gelegentlich Einzeichnungslisten ausgelegt haben, allerdings erfolglos. Dann
sollten sie also doch ihren Farbenpopanz lassen und Propagandavereine werden.
Aber damit würde die Frage brennend werden, was sie denn eigentlich wirk¬
lich bestimmt "wollen." Wir fürchten, der Kulturfortschritt allein genügt nicht,
und dafür ist außerdem schon die "freie wissenschaftliche Vereinigung" da.

Es steckt trotz alledem und auch bei aller wirklichen oder anempfnndnen
Mensurangst in vielen dieser jungen "Reformer" etwas tüchtiges und gutes,
sogar neben allein auch immer noch der unverwüstlich gute nationale Zug
unsers heutigen Studentengeschlechts. Aber wir fürchten, wenn es so weiter
geht, werden sie nie aus der Unklarheit und der blinden Heeresfolge hinter
dem Schellengeläute der Redensart erlöst werden.

Wir wären noch lange nicht zu Ende; vortreffliche und tüchtige akade¬
mische Korporationen, wie die Leipziger und sonstige Gesangvereine, und manche
andre sind noch nicht genannt. Aber es ist nun doch an der Zeit, in einem
letzten Aufsatze wieder von der aufzählenden zu einer zusammenfassenden Be-
trachtung zu gelangen.




Die Reise ins Kloster
v Charlotte Niese on

llvrgen reisen wir ins Kloster! sagte Vater eines Sommermorgens
zu Jürgen und mir. Wir waren überrascht, aber wir sagten
kein Wort, schon aus Furcht, daß wir uns, wenn wir dunnne
Fragen stellten, das Glück der Reise verscherzen könnten.
!. Wo liegt denn das Kloster? fragte ich nachher meinen Bruder.

Er lächelte überlegen: Weißt du das nicht? In Holstein liegt es, und
lauter alte Damen sind drin -- furchtbar alt sind sie, kann ich dir sagen.
Heinrich ist schon mal mit Papa dort gewesen, und er sagte, er hätte nur
lauter steinalte Damen gesehen, nur eiuen einzigen Mann und gar keine Kinder.

Gar keine Kiuder? wiederholte ich erschrocken. Aber was sollen wir
denn da?

Wir sind eingeladen. Mama hat es mir eben erzählt, daß uns Fräulein
von Moldenwitt und Tante Emma eingeladen haben, etwas bei ihnen zum
Besuch zu sein. Wir müssen uns aber gut betragen, sonst werden wir wieder
fortgeschickt!

Bleibt denn Papa auch im Kloster? fragte ich.


Die Reise ins Kloster

fung der Person! — in sich zu vereinigen und zu diesem Zweck sogar schon
gelegentlich Einzeichnungslisten ausgelegt haben, allerdings erfolglos. Dann
sollten sie also doch ihren Farbenpopanz lassen und Propagandavereine werden.
Aber damit würde die Frage brennend werden, was sie denn eigentlich wirk¬
lich bestimmt „wollen." Wir fürchten, der Kulturfortschritt allein genügt nicht,
und dafür ist außerdem schon die „freie wissenschaftliche Vereinigung" da.

Es steckt trotz alledem und auch bei aller wirklichen oder anempfnndnen
Mensurangst in vielen dieser jungen „Reformer" etwas tüchtiges und gutes,
sogar neben allein auch immer noch der unverwüstlich gute nationale Zug
unsers heutigen Studentengeschlechts. Aber wir fürchten, wenn es so weiter
geht, werden sie nie aus der Unklarheit und der blinden Heeresfolge hinter
dem Schellengeläute der Redensart erlöst werden.

Wir wären noch lange nicht zu Ende; vortreffliche und tüchtige akade¬
mische Korporationen, wie die Leipziger und sonstige Gesangvereine, und manche
andre sind noch nicht genannt. Aber es ist nun doch an der Zeit, in einem
letzten Aufsatze wieder von der aufzählenden zu einer zusammenfassenden Be-
trachtung zu gelangen.




Die Reise ins Kloster
v Charlotte Niese on

llvrgen reisen wir ins Kloster! sagte Vater eines Sommermorgens
zu Jürgen und mir. Wir waren überrascht, aber wir sagten
kein Wort, schon aus Furcht, daß wir uns, wenn wir dunnne
Fragen stellten, das Glück der Reise verscherzen könnten.
!. Wo liegt denn das Kloster? fragte ich nachher meinen Bruder.

Er lächelte überlegen: Weißt du das nicht? In Holstein liegt es, und
lauter alte Damen sind drin — furchtbar alt sind sie, kann ich dir sagen.
Heinrich ist schon mal mit Papa dort gewesen, und er sagte, er hätte nur
lauter steinalte Damen gesehen, nur eiuen einzigen Mann und gar keine Kinder.

Gar keine Kiuder? wiederholte ich erschrocken. Aber was sollen wir
denn da?

Wir sind eingeladen. Mama hat es mir eben erzählt, daß uns Fräulein
von Moldenwitt und Tante Emma eingeladen haben, etwas bei ihnen zum
Besuch zu sein. Wir müssen uns aber gut betragen, sonst werden wir wieder
fortgeschickt!

Bleibt denn Papa auch im Kloster? fragte ich.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/566>, abgerufen am 05.01.2025.