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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung

der Forderung gleichen Rechts auf möglichste Annehmlichkeit des Lebens in
greller Deutlichkeit hervor und damit die UnHaltbarkeit der staatlichen Aufgabe,
solches Recht zu begründen.)

(Schluß folgt)




Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung

it dem dritten Bande, der die Schriftsteller der römischen Kaiser¬
herrschaft bis zu den "Spätlingen" Ausonius, Claudianus und
Namatianus behandelt, hat Otto Ribbeck seine Geschichte der
römischen Dichtung") abgeschlossen. Zwar wird noch ein Nach¬
trag die in Aussicht gestellten "gelehrten Zugaben" bringen:
Belege, Beweise und Widerlegungen, die, um die Eigenart des Werkes nicht
zu stören, in einem besondern Bändchen vereinigt werden sollen; und dem
litterarischen Feinschmecker wird dieser Nachtisch gewiß noch manchen Lecker¬
bissen, dem Gelehrten auch noch anregende und nahrhafte Kost darbieten. Doch
das Hauptgericht ist nun aufgetragen, und für alle Gebildeten gilt das Wort,
das Menelaos bei Homer feinen beiden Gästen zuruft: <7/r"v ^"Tr?/""^^
x"), ^"t^Lro^.

, Es ist ein hoher Genuß, mit Ribbeck die Entwicklung der römischen Dicht-
kunst zu verfolgen, eine besondre Freude in unsrer Zeit, wo die deutsche Bil¬
dung ihren innigen Zusammenhang mit dem Altertum mehr und mehr zu
lösen droht. Mit unheimlicher Schnelligkeit ist in den letzten Jahrzehnten
die Hochachtung vor den Schöpfungen der Alten gesunken und geschwunden,
und jetzt sind wir so weit gekommen, daß der unreife sekundärer den Bergil
einfach langweilig findet, und der gereifte Primaner in Horaz nur noch den
nachahmenden Versifex sieht. Unsre Jugend lächelt schon fast mitleidig über
den alten Großvater, der noch zu seiner Freude und Erholung die griechischen
und lateinischen Schmöker aufschlüge.

Diese Mißachtung des klassischen Altertums beruht gewiß nicht darauf,
daß wir etwa seit einem Menschenalter in der dichtenden und bildenden Kunst
so gewaltige Fortschritte gemacht hätten, daß wir die einst Bewunderten jetzt
Plötzlich weit hinter uns erblicken müßten. Sie entspringt auch kaum einem
tiefer eindringenden Verständnis für die alten Schriftsteller, das den früher
Überschätzten den Lorbeer zu entreißen vermöchte. Nur für eine kleine Anzahl



*) 1. Band. Dichtung der Republik. Stuttgart, Cotw, 1887. -- 2. Band. Augusteisches
Zeitalter. Ebenda, 1889. -- 3. Band. Dichtung der Kaiserherrschaft. Ebenda, 1892.
Grenzboten III 1892 K5
Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung

der Forderung gleichen Rechts auf möglichste Annehmlichkeit des Lebens in
greller Deutlichkeit hervor und damit die UnHaltbarkeit der staatlichen Aufgabe,
solches Recht zu begründen.)

(Schluß folgt)




Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung

it dem dritten Bande, der die Schriftsteller der römischen Kaiser¬
herrschaft bis zu den „Spätlingen" Ausonius, Claudianus und
Namatianus behandelt, hat Otto Ribbeck seine Geschichte der
römischen Dichtung") abgeschlossen. Zwar wird noch ein Nach¬
trag die in Aussicht gestellten „gelehrten Zugaben" bringen:
Belege, Beweise und Widerlegungen, die, um die Eigenart des Werkes nicht
zu stören, in einem besondern Bändchen vereinigt werden sollen; und dem
litterarischen Feinschmecker wird dieser Nachtisch gewiß noch manchen Lecker¬
bissen, dem Gelehrten auch noch anregende und nahrhafte Kost darbieten. Doch
das Hauptgericht ist nun aufgetragen, und für alle Gebildeten gilt das Wort,
das Menelaos bei Homer feinen beiden Gästen zuruft: <7/r»v ^«Tr?/««^^
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, Es ist ein hoher Genuß, mit Ribbeck die Entwicklung der römischen Dicht-
kunst zu verfolgen, eine besondre Freude in unsrer Zeit, wo die deutsche Bil¬
dung ihren innigen Zusammenhang mit dem Altertum mehr und mehr zu
lösen droht. Mit unheimlicher Schnelligkeit ist in den letzten Jahrzehnten
die Hochachtung vor den Schöpfungen der Alten gesunken und geschwunden,
und jetzt sind wir so weit gekommen, daß der unreife sekundärer den Bergil
einfach langweilig findet, und der gereifte Primaner in Horaz nur noch den
nachahmenden Versifex sieht. Unsre Jugend lächelt schon fast mitleidig über
den alten Großvater, der noch zu seiner Freude und Erholung die griechischen
und lateinischen Schmöker aufschlüge.

Diese Mißachtung des klassischen Altertums beruht gewiß nicht darauf,
daß wir etwa seit einem Menschenalter in der dichtenden und bildenden Kunst
so gewaltige Fortschritte gemacht hätten, daß wir die einst Bewunderten jetzt
Plötzlich weit hinter uns erblicken müßten. Sie entspringt auch kaum einem
tiefer eindringenden Verständnis für die alten Schriftsteller, das den früher
Überschätzten den Lorbeer zu entreißen vermöchte. Nur für eine kleine Anzahl



*) 1. Band. Dichtung der Republik. Stuttgart, Cotw, 1887. — 2. Band. Augusteisches
Zeitalter. Ebenda, 1889. — 3. Band. Dichtung der Kaiserherrschaft. Ebenda, 1892.
Grenzboten III 1892 K5
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[0521] Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung der Forderung gleichen Rechts auf möglichste Annehmlichkeit des Lebens in greller Deutlichkeit hervor und damit die UnHaltbarkeit der staatlichen Aufgabe, solches Recht zu begründen.) (Schluß folgt) Ribbecks Geschichte der römischen Dichtung it dem dritten Bande, der die Schriftsteller der römischen Kaiser¬ herrschaft bis zu den „Spätlingen" Ausonius, Claudianus und Namatianus behandelt, hat Otto Ribbeck seine Geschichte der römischen Dichtung") abgeschlossen. Zwar wird noch ein Nach¬ trag die in Aussicht gestellten „gelehrten Zugaben" bringen: Belege, Beweise und Widerlegungen, die, um die Eigenart des Werkes nicht zu stören, in einem besondern Bändchen vereinigt werden sollen; und dem litterarischen Feinschmecker wird dieser Nachtisch gewiß noch manchen Lecker¬ bissen, dem Gelehrten auch noch anregende und nahrhafte Kost darbieten. Doch das Hauptgericht ist nun aufgetragen, und für alle Gebildeten gilt das Wort, das Menelaos bei Homer feinen beiden Gästen zuruft: <7/r»v ^«Tr?/««^^ x«), ^«t^Lro^. , Es ist ein hoher Genuß, mit Ribbeck die Entwicklung der römischen Dicht- kunst zu verfolgen, eine besondre Freude in unsrer Zeit, wo die deutsche Bil¬ dung ihren innigen Zusammenhang mit dem Altertum mehr und mehr zu lösen droht. Mit unheimlicher Schnelligkeit ist in den letzten Jahrzehnten die Hochachtung vor den Schöpfungen der Alten gesunken und geschwunden, und jetzt sind wir so weit gekommen, daß der unreife sekundärer den Bergil einfach langweilig findet, und der gereifte Primaner in Horaz nur noch den nachahmenden Versifex sieht. Unsre Jugend lächelt schon fast mitleidig über den alten Großvater, der noch zu seiner Freude und Erholung die griechischen und lateinischen Schmöker aufschlüge. Diese Mißachtung des klassischen Altertums beruht gewiß nicht darauf, daß wir etwa seit einem Menschenalter in der dichtenden und bildenden Kunst so gewaltige Fortschritte gemacht hätten, daß wir die einst Bewunderten jetzt Plötzlich weit hinter uns erblicken müßten. Sie entspringt auch kaum einem tiefer eindringenden Verständnis für die alten Schriftsteller, das den früher Überschätzten den Lorbeer zu entreißen vermöchte. Nur für eine kleine Anzahl *) 1. Band. Dichtung der Republik. Stuttgart, Cotw, 1887. — 2. Band. Augusteisches Zeitalter. Ebenda, 1889. — 3. Band. Dichtung der Kaiserherrschaft. Ebenda, 1892. Grenzboten III 1892 K5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/521>, abgerufen am 05.01.2025.