Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Geduld Daran zu erinnern, wie wichtig es sei, daß der Staat nicht als Kunst¬ Geduld Eine Hundstagserinnerung an eine ZDinterreise aß dir eine Geschichte erzählen, lieber Leser. Eine Reisegeschichte Die Entfernung von der berühmten neuen Stadt Wilhelmshaven nach Geduld Daran zu erinnern, wie wichtig es sei, daß der Staat nicht als Kunst¬ Geduld Eine Hundstagserinnerung an eine ZDinterreise aß dir eine Geschichte erzählen, lieber Leser. Eine Reisegeschichte Die Entfernung von der berühmten neuen Stadt Wilhelmshaven nach <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0472" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212948"/> <fw type="header" place="top"> Geduld</fw><lb/> <p xml:id="ID_1572"> Daran zu erinnern, wie wichtig es sei, daß der Staat nicht als Kunst¬<lb/> produkt auf einem luftigen Gestell wissenschaftlicher Begriffe schwebe, sondern<lb/> als das organisirte Volk fest im vaterländischen Boden wurzle, war der Zweck<lb/> dieser Betrachtung.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Geduld<lb/> Eine Hundstagserinnerung an eine ZDinterreise</head><lb/> <p xml:id="ID_1573"> aß dir eine Geschichte erzählen, lieber Leser. Eine Reisegeschichte<lb/> aus dem Jahre 1891, die den Vorzug hat, nicht nur lustig,<lb/> sondern auch wirklich und wahrhaftig wahr zu sein. Und die<lb/> Moral von der Geschichte laß dir ausnahmsweise im voraus<lb/> geben; sie steht bei Hölderlin im Hhperion. „Meine Insel war<lb/> mir zu enge geworden, ich wollt in die Welt. Geh vorerst mich,<lb/> Smyrna, sagte mein Vater, lerne die Künste der See und des Krieges, lerne die<lb/> Sprache gebildeter Völker und ihre Verfassungen und Meinungen und Sitten und<lb/> Gebräuche. Lern auch ein wenig Geduld, setzte die Mutter hinzu." Das ist die<lb/> Moral: lerne Geduld, lieber Leser! Übe dich in der Geduld, suche Meister zu<lb/> werden in der Geduld. Geduld, das ist was! Du weißt nicht, wie bald du<lb/> dieses Etwas gebrauchen kannst, sei es, daß dich der liebe Gott einmal bei¬<lb/> seite nähme und allein sprechen wollte, sei es, daß du — ach, erschrick nur<lb/> nicht, aber es kommt etwas schreckliches! — auch einmal in die Lage kämest,<lb/> eine Reise thun zu müssen von Wilhelmshaven nach Norden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1574"> Die Entfernung von der berühmten neuen Stadt Wilhelmshaven nach<lb/> der berühmten alten Stadt Norden beträgt ungefähr sechzig Kilometer. Das<lb/> scheint keine so ungeheuerliche Reise befürchten zu lassen. Aber der Schein<lb/> trügt. In Deutschland betrügt die Eisenbahnfahrgeschwindigkeit für Schnell¬<lb/> zuge — aber lassen wir Schnellzuge außer Betracht; was wollen wir uns<lb/> mit ihnen aufhalten? Man kennt sie hierzulande ja doch nur vom Hören¬<lb/> sagen. Es geht uns mit ihnen wie den guten Leuten zu Kirchberg. Kennst<lb/> du Kirchberg, lieber Leser? Sage nur getrost: nein! denn es ist eine der<lb/> kleinsten unter den Städten Deutschlands und liegt noch dazu auf dem Huns-<lb/> rück, hoch oben, wo sich die Füchse und die Wölfe gute Nacht sagen. Bei<lb/> solcher Lage außerhalb des großen Weltverkehrs ist es kein Wunder, daß die<lb/> Errungenschaften der modernen Kultur etwas laugsam und zunächst nur ge¬<lb/> rüchtweise nach Kirchberg dringen. So hatten denn die Kirchberger auch ein<lb/> dunkles Gerücht vernommen, man munkle draußen in der Welt von Chaisen<lb/> und von Regenschirmen. Aber gesehen hatte noch keiner etwas von solchen<lb/> Wunderdingen. Nun verirrte sich eines schönen Tages ein fremder Reisender<lb/> nach Kirchberg, und da es regnete, spannte er seinen Schirm auf. Und siehe<lb/> da! alsbald hatte er die ganze Dorf-, wollte sagen Stadtjugend hinter sich;<lb/> die lief ihm nach und rief im Tone höchster Überraschung: Ein Chaise,<lb/> ein Chaise!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0472]
Geduld
Daran zu erinnern, wie wichtig es sei, daß der Staat nicht als Kunst¬
produkt auf einem luftigen Gestell wissenschaftlicher Begriffe schwebe, sondern
als das organisirte Volk fest im vaterländischen Boden wurzle, war der Zweck
dieser Betrachtung.
Geduld
Eine Hundstagserinnerung an eine ZDinterreise
aß dir eine Geschichte erzählen, lieber Leser. Eine Reisegeschichte
aus dem Jahre 1891, die den Vorzug hat, nicht nur lustig,
sondern auch wirklich und wahrhaftig wahr zu sein. Und die
Moral von der Geschichte laß dir ausnahmsweise im voraus
geben; sie steht bei Hölderlin im Hhperion. „Meine Insel war
mir zu enge geworden, ich wollt in die Welt. Geh vorerst mich,
Smyrna, sagte mein Vater, lerne die Künste der See und des Krieges, lerne die
Sprache gebildeter Völker und ihre Verfassungen und Meinungen und Sitten und
Gebräuche. Lern auch ein wenig Geduld, setzte die Mutter hinzu." Das ist die
Moral: lerne Geduld, lieber Leser! Übe dich in der Geduld, suche Meister zu
werden in der Geduld. Geduld, das ist was! Du weißt nicht, wie bald du
dieses Etwas gebrauchen kannst, sei es, daß dich der liebe Gott einmal bei¬
seite nähme und allein sprechen wollte, sei es, daß du — ach, erschrick nur
nicht, aber es kommt etwas schreckliches! — auch einmal in die Lage kämest,
eine Reise thun zu müssen von Wilhelmshaven nach Norden.
Die Entfernung von der berühmten neuen Stadt Wilhelmshaven nach
der berühmten alten Stadt Norden beträgt ungefähr sechzig Kilometer. Das
scheint keine so ungeheuerliche Reise befürchten zu lassen. Aber der Schein
trügt. In Deutschland betrügt die Eisenbahnfahrgeschwindigkeit für Schnell¬
zuge — aber lassen wir Schnellzuge außer Betracht; was wollen wir uns
mit ihnen aufhalten? Man kennt sie hierzulande ja doch nur vom Hören¬
sagen. Es geht uns mit ihnen wie den guten Leuten zu Kirchberg. Kennst
du Kirchberg, lieber Leser? Sage nur getrost: nein! denn es ist eine der
kleinsten unter den Städten Deutschlands und liegt noch dazu auf dem Huns-
rück, hoch oben, wo sich die Füchse und die Wölfe gute Nacht sagen. Bei
solcher Lage außerhalb des großen Weltverkehrs ist es kein Wunder, daß die
Errungenschaften der modernen Kultur etwas laugsam und zunächst nur ge¬
rüchtweise nach Kirchberg dringen. So hatten denn die Kirchberger auch ein
dunkles Gerücht vernommen, man munkle draußen in der Welt von Chaisen
und von Regenschirmen. Aber gesehen hatte noch keiner etwas von solchen
Wunderdingen. Nun verirrte sich eines schönen Tages ein fremder Reisender
nach Kirchberg, und da es regnete, spannte er seinen Schirm auf. Und siehe
da! alsbald hatte er die ganze Dorf-, wollte sagen Stadtjugend hinter sich;
die lief ihm nach und rief im Tone höchster Überraschung: Ein Chaise,
ein Chaise!
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