Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Bundesstaat und Staatenbund; Volk und Land Aber in einer Zeit, wo ein paar Millionen Volksgenossen Hunger leiden, mit Etwas anders liegt die Sache bei der Sperrung unsrer Ostgrenze. Die Bundesstaat und Staatenbund; Volk und Land Aber in einer Zeit, wo ein paar Millionen Volksgenossen Hunger leiden, mit Etwas anders liegt die Sache bei der Sperrung unsrer Ostgrenze. Die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0471" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212947"/> <fw type="header" place="top"> Bundesstaat und Staatenbund; Volk und Land</fw><lb/> <p xml:id="ID_1570" prev="#ID_1569"> Aber in einer Zeit, wo ein paar Millionen Volksgenossen Hunger leiden, mit<lb/> den Früchten unsers Bodens Fremde nähren, wäre Verbrechen, doppelt Ver¬<lb/> brechen, wenn diese Fremden dem ekelhaften und verdorbnen Volke der Chinesen<lb/> angehören. Es ist nicht erlaubt, den Kindern das Brot zu nehmen und es<lb/> den Hunden vorzuwerfen; es ist noch weniger erlaubt, die Volksgenossen vom<lb/> vaterländischen Boden zu vertreiben und Ungeziefer darauf anzusiedeln. Der<lb/> Volkswille, verkörpert in den Regierungen, muß die mecklenburgischen Ritter<lb/> zwingen, ihren deutschen Arbeitern erträgliche Lebensbedingungen zu bewilligen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1571"> Etwas anders liegt die Sache bei der Sperrung unsrer Ostgrenze. Die<lb/> Frage, ob es richtig war, auch die schon seit langer Zeit bei uns ansässigen<lb/> Einwandrer auszuweisen, soll hier nicht untersucht werden. Allein die Ab¬<lb/> wehr weitern Zuflusses ist durch die oben erwähnte Thatsache, daß wir kein<lb/> Land für Fremde übrig haben, zweifellos gerechtfertigt, und doppelt gerecht¬<lb/> fertigt, wenn diese Fremden polnische Juden sind, die uns keinerlei Nutzen ge¬<lb/> währen, und außerdem, daß sie unnütze Mitesser sind, anch noch mannigfachen<lb/> wirtschaftlichen und sittlichen Schaden zufügen. Nicht dasselbe läßt sich von<lb/> den polnischen Arbeitern sagen. Es ist uns kein Fall bekannt, wo Deutsche,<lb/> die mit Slawen zusammen wohnten, deren nachlässige und liederliche Gewohn¬<lb/> heiten angenommen hätten, dagegen Pflegen die Slawen die ordentlichen Ge¬<lb/> wohnheiten der Deutschen anzunehmen. Nun behaupten die Landwirte der<lb/> östlichen Provinzen, sie könnten den polnischen Arbeiter nicht entbehre!?, weil<lb/> sie keine solche Arbeitslöhne und Wohnungen zu gewahren vermöchten, wie<lb/> sie der anspruchsvollere Deutsche oder in Preußen germanisirte Pole fordert.<lb/> Nehmen wir an, das sei wahr, so würde auf die Dauer die Zulassung russisch-<lb/> poluischer Arbeiter nicht verweigert werden können; zeit- und stellenweise ist<lb/> sogar die Erlaubnis schon erteilt worden. Nun entsteht aber der Widersinn,<lb/> daß die Einwanderung Fremder notwendig wird, während das Land die Ein¬<lb/> heimischen nicht zu ernähren vermag. Dieser Widersinn kann nur dadurch<lb/> aufgehoben werde», daß Deutsche in noch größerer Anzahl nach Rußland wan¬<lb/> dern, um dort Stellungen zu finden, die ihrer höhern Bildung und ihren<lb/> höhern Ansprüchen angemessen sind. Dann ist, wie wir in anderm Zusammen¬<lb/> hange schon wiederholt dargelegt haben, allen Teilen geholfen. Wie wenig<lb/> der deutsche Nationalcharakter in jenen Gliedern des deutschen Volks gefährdet<lb/> werden würde, die sich als herrschende Minderheit über den slawischen Osten<lb/> ausbreiten würden, sieht man an den 200 000 baltischen Deutschen, die mitten<lb/> unter Fremden sechshundert Jahre lang ihre deutsche Art weit reiner bewahrt<lb/> haben als wir im Reiche. Aus der richtigen Auffassung des Verhältnisses<lb/> zwischen Volk und Land folgt also, daß der Volkswille darüber zu entscheiden<lb/> hat, ob vaterländischer Boden an Fremde abgetreten werden darf, ob und<lb/> unter welchen Bedingungen Fremde zu seiner Nutznießung zugelassen werden<lb/> dürfen, ob neues Land hinzuerworben werden soll.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0471]
Bundesstaat und Staatenbund; Volk und Land
Aber in einer Zeit, wo ein paar Millionen Volksgenossen Hunger leiden, mit
den Früchten unsers Bodens Fremde nähren, wäre Verbrechen, doppelt Ver¬
brechen, wenn diese Fremden dem ekelhaften und verdorbnen Volke der Chinesen
angehören. Es ist nicht erlaubt, den Kindern das Brot zu nehmen und es
den Hunden vorzuwerfen; es ist noch weniger erlaubt, die Volksgenossen vom
vaterländischen Boden zu vertreiben und Ungeziefer darauf anzusiedeln. Der
Volkswille, verkörpert in den Regierungen, muß die mecklenburgischen Ritter
zwingen, ihren deutschen Arbeitern erträgliche Lebensbedingungen zu bewilligen.
Etwas anders liegt die Sache bei der Sperrung unsrer Ostgrenze. Die
Frage, ob es richtig war, auch die schon seit langer Zeit bei uns ansässigen
Einwandrer auszuweisen, soll hier nicht untersucht werden. Allein die Ab¬
wehr weitern Zuflusses ist durch die oben erwähnte Thatsache, daß wir kein
Land für Fremde übrig haben, zweifellos gerechtfertigt, und doppelt gerecht¬
fertigt, wenn diese Fremden polnische Juden sind, die uns keinerlei Nutzen ge¬
währen, und außerdem, daß sie unnütze Mitesser sind, anch noch mannigfachen
wirtschaftlichen und sittlichen Schaden zufügen. Nicht dasselbe läßt sich von
den polnischen Arbeitern sagen. Es ist uns kein Fall bekannt, wo Deutsche,
die mit Slawen zusammen wohnten, deren nachlässige und liederliche Gewohn¬
heiten angenommen hätten, dagegen Pflegen die Slawen die ordentlichen Ge¬
wohnheiten der Deutschen anzunehmen. Nun behaupten die Landwirte der
östlichen Provinzen, sie könnten den polnischen Arbeiter nicht entbehre!?, weil
sie keine solche Arbeitslöhne und Wohnungen zu gewahren vermöchten, wie
sie der anspruchsvollere Deutsche oder in Preußen germanisirte Pole fordert.
Nehmen wir an, das sei wahr, so würde auf die Dauer die Zulassung russisch-
poluischer Arbeiter nicht verweigert werden können; zeit- und stellenweise ist
sogar die Erlaubnis schon erteilt worden. Nun entsteht aber der Widersinn,
daß die Einwanderung Fremder notwendig wird, während das Land die Ein¬
heimischen nicht zu ernähren vermag. Dieser Widersinn kann nur dadurch
aufgehoben werde», daß Deutsche in noch größerer Anzahl nach Rußland wan¬
dern, um dort Stellungen zu finden, die ihrer höhern Bildung und ihren
höhern Ansprüchen angemessen sind. Dann ist, wie wir in anderm Zusammen¬
hange schon wiederholt dargelegt haben, allen Teilen geholfen. Wie wenig
der deutsche Nationalcharakter in jenen Gliedern des deutschen Volks gefährdet
werden würde, die sich als herrschende Minderheit über den slawischen Osten
ausbreiten würden, sieht man an den 200 000 baltischen Deutschen, die mitten
unter Fremden sechshundert Jahre lang ihre deutsche Art weit reiner bewahrt
haben als wir im Reiche. Aus der richtigen Auffassung des Verhältnisses
zwischen Volk und Land folgt also, daß der Volkswille darüber zu entscheiden
hat, ob vaterländischer Boden an Fremde abgetreten werden darf, ob und
unter welchen Bedingungen Fremde zu seiner Nutznießung zugelassen werden
dürfen, ob neues Land hinzuerworben werden soll.
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