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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker

meer allen Borwürfen, die dem Reichskanzler gemacht werden,
billigen wir am wenigsten den, daß er nicht in der Volksseele
zu lesen verstehe, was diese wolle, ohne es selber deutlich zu
erkennen; dadurch gehe ihm die Fühlung nach der Tiefe ab, die
Bismarck die Macht über die Nation zu williger, weil dankbarer
Gefolgschaft verliehen habe. Wir meinen, daß Graf Caprivi nur zu sehr in
der Volksseele zu lesen suche, und finden gerade das bezeichnend für ihn und
sein politisches Handeln, daß er in allen wichtigen Fällen bekannte Neigungen
unsers Volks mit Klugheit in die Berechnung des Ausgangs gezogen hat.
Gerade darin liegt der Grund jeuer äußerlichen Erfolge, die der Form nach
nichts zu wünschen übrig ließen und doch nicht die Zufriedenheit zu schaffen
vermochten, die nur die Tochter der siegreichen Entscheidung ist. Sowie das
deutsch-englische Abkommen die zaghaften Philister zufriedenstellte, die in der
Kolonialpolitik eine unbesonnene Aufwallung befürchteten, und -- abgesehn
von der stümperhaften Ziehung der Grenzen -- sogar die Fach Politiker, die
die Vermehrung und Verwirrung der ohnehin die deutsche Diplomatie schwer
betastenden europäische" Aufgaben ohne greifbares Entgelt scheuten, so hat
die Ablehnung der Berliner Weltausstellung den Beifall der Mehrheit der
Geschäftsleute, denen die Opfer einer großen Ausstellung nicht im Verhältnis
zum klingenden Erfolg zu stehen schienen, und entspricht in weitern Kreisen
der höchst ehrbaren Abneigung gegen lärmende Kundgebungen des Marktes,
von denen der schwunglose Verstandesmensch weder politischen Erfolg, noch
eine Mehrung des nationalen Ansehens, noch endlich Belehrung oder Anregung
erwartet. Dazu paßt auch die mit den trockensten, man möchte sagen geizigsten
marinetechnischen Gründen belegte Weigerung, an der spanischen Columbus-
feier ein deutsches Kriegsschiff teilnehmen zu lassen. Aus rein sachlichen


Grenzboten III 1892 55


Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker

meer allen Borwürfen, die dem Reichskanzler gemacht werden,
billigen wir am wenigsten den, daß er nicht in der Volksseele
zu lesen verstehe, was diese wolle, ohne es selber deutlich zu
erkennen; dadurch gehe ihm die Fühlung nach der Tiefe ab, die
Bismarck die Macht über die Nation zu williger, weil dankbarer
Gefolgschaft verliehen habe. Wir meinen, daß Graf Caprivi nur zu sehr in
der Volksseele zu lesen suche, und finden gerade das bezeichnend für ihn und
sein politisches Handeln, daß er in allen wichtigen Fällen bekannte Neigungen
unsers Volks mit Klugheit in die Berechnung des Ausgangs gezogen hat.
Gerade darin liegt der Grund jeuer äußerlichen Erfolge, die der Form nach
nichts zu wünschen übrig ließen und doch nicht die Zufriedenheit zu schaffen
vermochten, die nur die Tochter der siegreichen Entscheidung ist. Sowie das
deutsch-englische Abkommen die zaghaften Philister zufriedenstellte, die in der
Kolonialpolitik eine unbesonnene Aufwallung befürchteten, und — abgesehn
von der stümperhaften Ziehung der Grenzen — sogar die Fach Politiker, die
die Vermehrung und Verwirrung der ohnehin die deutsche Diplomatie schwer
betastenden europäische» Aufgaben ohne greifbares Entgelt scheuten, so hat
die Ablehnung der Berliner Weltausstellung den Beifall der Mehrheit der
Geschäftsleute, denen die Opfer einer großen Ausstellung nicht im Verhältnis
zum klingenden Erfolg zu stehen schienen, und entspricht in weitern Kreisen
der höchst ehrbaren Abneigung gegen lärmende Kundgebungen des Marktes,
von denen der schwunglose Verstandesmensch weder politischen Erfolg, noch
eine Mehrung des nationalen Ansehens, noch endlich Belehrung oder Anregung
erwartet. Dazu paßt auch die mit den trockensten, man möchte sagen geizigsten
marinetechnischen Gründen belegte Weigerung, an der spanischen Columbus-
feier ein deutsches Kriegsschiff teilnehmen zu lassen. Aus rein sachlichen


Grenzboten III 1892 55
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[0441] [Abbildung] Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker meer allen Borwürfen, die dem Reichskanzler gemacht werden, billigen wir am wenigsten den, daß er nicht in der Volksseele zu lesen verstehe, was diese wolle, ohne es selber deutlich zu erkennen; dadurch gehe ihm die Fühlung nach der Tiefe ab, die Bismarck die Macht über die Nation zu williger, weil dankbarer Gefolgschaft verliehen habe. Wir meinen, daß Graf Caprivi nur zu sehr in der Volksseele zu lesen suche, und finden gerade das bezeichnend für ihn und sein politisches Handeln, daß er in allen wichtigen Fällen bekannte Neigungen unsers Volks mit Klugheit in die Berechnung des Ausgangs gezogen hat. Gerade darin liegt der Grund jeuer äußerlichen Erfolge, die der Form nach nichts zu wünschen übrig ließen und doch nicht die Zufriedenheit zu schaffen vermochten, die nur die Tochter der siegreichen Entscheidung ist. Sowie das deutsch-englische Abkommen die zaghaften Philister zufriedenstellte, die in der Kolonialpolitik eine unbesonnene Aufwallung befürchteten, und — abgesehn von der stümperhaften Ziehung der Grenzen — sogar die Fach Politiker, die die Vermehrung und Verwirrung der ohnehin die deutsche Diplomatie schwer betastenden europäische» Aufgaben ohne greifbares Entgelt scheuten, so hat die Ablehnung der Berliner Weltausstellung den Beifall der Mehrheit der Geschäftsleute, denen die Opfer einer großen Ausstellung nicht im Verhältnis zum klingenden Erfolg zu stehen schienen, und entspricht in weitern Kreisen der höchst ehrbaren Abneigung gegen lärmende Kundgebungen des Marktes, von denen der schwunglose Verstandesmensch weder politischen Erfolg, noch eine Mehrung des nationalen Ansehens, noch endlich Belehrung oder Anregung erwartet. Dazu paßt auch die mit den trockensten, man möchte sagen geizigsten marinetechnischen Gründen belegte Weigerung, an der spanischen Columbus- feier ein deutsches Kriegsschiff teilnehmen zu lassen. Aus rein sachlichen Grenzboten III 1892 55

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/441>, abgerufen am 05.01.2025.