Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker Gründen hat in all diesen Fällen die Zurückhaltung ihre Berechtigung. Wer die Und doch muß die Frage aufgeworfen werden, ob unsre Lage wirklich so Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker Gründen hat in all diesen Fällen die Zurückhaltung ihre Berechtigung. Wer die Und doch muß die Frage aufgeworfen werden, ob unsre Lage wirklich so <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0442" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212918"/> <fw type="header" place="top"> Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker</fw><lb/> <p xml:id="ID_1490" prev="#ID_1489"> Gründen hat in all diesen Fällen die Zurückhaltung ihre Berechtigung. Wer die<lb/> Berliner Weltausstellung so wie Jannasch oder Neuleaux als den Schlußstein<lb/> des Neichsbaues und ihre Ablehnung als ein nationales Unglück betrachten<lb/> und um die Frage: Weltausstellung oder nicht? einen großen politischen Feld¬<lb/> zug führen wollte, würde derselben Enttäuschung ausgesetzt sein, wie jene<lb/> Kolonialpolitiker, deren Entrüstungsschreie nach dem Abkommen über Ostafrika<lb/> ohne alle Erwiderung verhallten. Auch eine bis zur Dürftigkeit mäßige, bis<lb/> nahe an die Zaghaftigkeit vorsichtige Politik wird in Deutschland immer nur<lb/> von Minderheiten verurteilt werden. Wir machen keinem Staatsmann den<lb/> Mangel an Schwung zum Vorwurf, so gern wir an die heroischen Zeiten<lb/> zurückdenken, wo uns Bismarck uicht uur den Verstand überzeugte, sondern<lb/> Herz und Seele in Begeisterung fortriß. Wir wissen zu gut, mit wie harten<lb/> Notwendigkeiten die Leitung Deutschlands zu kämpfen hat, und die Mehrzahl<lb/> von uns hat die Zeit der schweren Not der Zerrissenheit und der Einheits-<lb/> tümpfe mit durchgemacht, die genügsam machte. Wir sind dem politischen<lb/> Luxus abgeneigt. Die Staatsmänner unsrer Wahl gleichen noch heute mehr<lb/> einem sächsischem Heinrich als einem hohenstaufischen Friedrich. Unsre Ver¬<lb/> ehrung und Liebe freilich gehört immer einem alten Fritz und Bismarck, deren<lb/> Größe beide vereinigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1491"> Und doch muß die Frage aufgeworfen werden, ob unsre Lage wirklich so<lb/> sei, daß wir uns mit Vorteil auf das kühl erwogne Notwendige zurückziehen.<lb/> Die Weltausstellung legt die allgemeinere Frage nach dem Werte der Reprä¬<lb/> sentation im Völkerleben nahe. Ist sie nicht eine Notwendigkeit unter Staaten<lb/> wie unter Einzelnen? Ein großer Teil der Geschäfte der Diplomatie geht ja<lb/> in ihr auf. Mit dem wachsenden internationalen Verkehr ist die internationale<lb/> Neprüsentationspflicht gegeben, die ein Ausbreiten und Darbieten von Höflich¬<lb/> keiten in den vom Herkommen geadelten Formen ist. Im Völkerverkehr ist<lb/> die Repräsentation Trägerin derselben Aufgaben, wie im Verkehr der Ein¬<lb/> zelnen: sie macht das Zusammenleben erträglicher, indem sie durch schöne<lb/> Formen die kleinen Reibungen verhütet oder doch vergessen macht; sie kann<lb/> aber auch darüber hinaus sachlicher und gründlicher wirken, indem sie durch Er¬<lb/> leichterung des internationalen Umgangs Vorurteile und andre Ecken oder<lb/> Beulen ausgleicht. Höflichkeit und Repräsentation sind unzertrennlich ver¬<lb/> bunden mit dem Begriff der Gegenseitigkeit; mit Geben und Nehmen ist ebenso<lb/> innig das Sichnühertreten beider Teile verknüpft. In den Formen des sozialen<lb/> und des Völkerlebens spielt die Anpassung an bestehende Satzungen eine mäch¬<lb/> tige Rolle; auch der Originellste ist nicht ganz von der Nachahmung dessen<lb/> befreit, was die andern ihm vormachen. Im kleinen wie im großen giebt<lb/> es eine volle Unabhängigkeit von den Regeln der Gesellschaft nur für den<lb/> Einsiedler. Der Staat ist als isolirtes Wesen durchaus uicht denkbar, und<lb/> heute weniger als je.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0442]
Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker
Gründen hat in all diesen Fällen die Zurückhaltung ihre Berechtigung. Wer die
Berliner Weltausstellung so wie Jannasch oder Neuleaux als den Schlußstein
des Neichsbaues und ihre Ablehnung als ein nationales Unglück betrachten
und um die Frage: Weltausstellung oder nicht? einen großen politischen Feld¬
zug führen wollte, würde derselben Enttäuschung ausgesetzt sein, wie jene
Kolonialpolitiker, deren Entrüstungsschreie nach dem Abkommen über Ostafrika
ohne alle Erwiderung verhallten. Auch eine bis zur Dürftigkeit mäßige, bis
nahe an die Zaghaftigkeit vorsichtige Politik wird in Deutschland immer nur
von Minderheiten verurteilt werden. Wir machen keinem Staatsmann den
Mangel an Schwung zum Vorwurf, so gern wir an die heroischen Zeiten
zurückdenken, wo uns Bismarck uicht uur den Verstand überzeugte, sondern
Herz und Seele in Begeisterung fortriß. Wir wissen zu gut, mit wie harten
Notwendigkeiten die Leitung Deutschlands zu kämpfen hat, und die Mehrzahl
von uns hat die Zeit der schweren Not der Zerrissenheit und der Einheits-
tümpfe mit durchgemacht, die genügsam machte. Wir sind dem politischen
Luxus abgeneigt. Die Staatsmänner unsrer Wahl gleichen noch heute mehr
einem sächsischem Heinrich als einem hohenstaufischen Friedrich. Unsre Ver¬
ehrung und Liebe freilich gehört immer einem alten Fritz und Bismarck, deren
Größe beide vereinigt.
Und doch muß die Frage aufgeworfen werden, ob unsre Lage wirklich so
sei, daß wir uns mit Vorteil auf das kühl erwogne Notwendige zurückziehen.
Die Weltausstellung legt die allgemeinere Frage nach dem Werte der Reprä¬
sentation im Völkerleben nahe. Ist sie nicht eine Notwendigkeit unter Staaten
wie unter Einzelnen? Ein großer Teil der Geschäfte der Diplomatie geht ja
in ihr auf. Mit dem wachsenden internationalen Verkehr ist die internationale
Neprüsentationspflicht gegeben, die ein Ausbreiten und Darbieten von Höflich¬
keiten in den vom Herkommen geadelten Formen ist. Im Völkerverkehr ist
die Repräsentation Trägerin derselben Aufgaben, wie im Verkehr der Ein¬
zelnen: sie macht das Zusammenleben erträglicher, indem sie durch schöne
Formen die kleinen Reibungen verhütet oder doch vergessen macht; sie kann
aber auch darüber hinaus sachlicher und gründlicher wirken, indem sie durch Er¬
leichterung des internationalen Umgangs Vorurteile und andre Ecken oder
Beulen ausgleicht. Höflichkeit und Repräsentation sind unzertrennlich ver¬
bunden mit dem Begriff der Gegenseitigkeit; mit Geben und Nehmen ist ebenso
innig das Sichnühertreten beider Teile verknüpft. In den Formen des sozialen
und des Völkerlebens spielt die Anpassung an bestehende Satzungen eine mäch¬
tige Rolle; auch der Originellste ist nicht ganz von der Nachahmung dessen
befreit, was die andern ihm vormachen. Im kleinen wie im großen giebt
es eine volle Unabhängigkeit von den Regeln der Gesellschaft nur für den
Einsiedler. Der Staat ist als isolirtes Wesen durchaus uicht denkbar, und
heute weniger als je.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |