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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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geglaubt, daß einer aus ihrem Dorf bei den knauserigen Preußen zu solchem
Glanz gelangen könnte. Wer das fertig brachte, mußte ein wahrer Mords¬
kerl sein.


Letztes Kapitel
Von ungestillter Sehnsucht und einem zerzupften Arcinzlein

Niemand wurde durch die Erscheinung des Cyprian so im Innersten ge¬
troffen wie ich. Also das kann einer werden, dachte ich, wenn er nicht in
Hinterwinkel sitzen bleibt, und meine ganze, halb männliche halb kindische
Sehnsucht nach der Fremde, nach der weiten Welt, nach, ich wußte selbst nicht
was, vor allem nach etwas anderen als der elenden Flickerei und der Gesell¬
schaft von Geisen und Gänsen erwachte von neuem in mir und mit erhöhter
Gewalt. Warum sollte ich auch immerfort nur alte Hosen flicken, ich, der
die Vossische Odyssee auswendig wußte, der inöuW dekliniren und Schillers
Glocke deklamiren konnte, der fünf Instrumente zu spielen verstand: die Flöte,
die Klarinette, die Violine, das Klavier und die Orgel, der Talent zu einem
Schlachtenbummler und zu einem Kriegsberichterstatter an den Tag gelegt
hatte? Das alles bestritt mir auch niemand, und doch sollte ich immer der
Geisbub und Schneiderjung von Hinterwinkel bleibet?? Wenn ich doch nur
wenigstens wie mein Bater einmal hätte die Welt sehen können!

Diesen stillen Mann sah ich in diesen Tagen neu aufleben. Er wußte
den Soldaten von Hamburg zu erzählen, und sie bewunderten laut, wie weit
er gereist war, und seine Bekanntschaft mit ihrer geliebten Vaterstadt; sie
schwatzten mit einander vom Alsterdainm und vom Jungfernstieg, vom Hafen
und von der Sankt-Pauli-Vorstadt mit ihren bunten Schauzelten. Sie be¬
handelten sich gegenseitig fast wie halbe Landsleute. Und die Hinterwinkler,
die das mit ansahen und meinen Vater mit den Soldaten in ihrem heimischen
"Platt" sich unterhalten hörten, wovon sie keine Silbe verstanden, bekamen
auf einmal einen ungeheuern Respekt vor dem Schueiderjakob.

Da that sich unvermutet auch für mich eine Hoffnung auf.

Der Regimentskapellmeister, Herr Franke mit Namen, war unser Nachbar
geworden; und mehr als das: er war bei Nepomuk Rothermund einquartiert.
Diese Gelegenheit machte ich mir zu nutze. Wie ehemals, als ich mit der
Olga musizierte, lag ich wieder tagelang drüben bei meinem alten Meister,
und auf jedes Wort, das zwischen ihm, dem ehemaligen Ludwigsburger Ho-
boisteu, und dem fremden vornehmen Mann mit den goldnen Treffen und
Achfelborten gesprochen wurde, lauschte ich wie auf ein Evangelium. Keine
Silbe davon wollte ich mir entgehn lassen, und man konnte mich nicht un¬
glücklicher machen, als wenn man mich wahrend eines solchen Gesprächs nach
Hanse rief; ich war dann wie außer mir und zu nichts zu gebrauchen.

So konnte es nicht fehlen, daß ich dem Kapellmeister auffiel, was wiederum


geglaubt, daß einer aus ihrem Dorf bei den knauserigen Preußen zu solchem
Glanz gelangen könnte. Wer das fertig brachte, mußte ein wahrer Mords¬
kerl sein.


Letztes Kapitel
Von ungestillter Sehnsucht und einem zerzupften Arcinzlein

Niemand wurde durch die Erscheinung des Cyprian so im Innersten ge¬
troffen wie ich. Also das kann einer werden, dachte ich, wenn er nicht in
Hinterwinkel sitzen bleibt, und meine ganze, halb männliche halb kindische
Sehnsucht nach der Fremde, nach der weiten Welt, nach, ich wußte selbst nicht
was, vor allem nach etwas anderen als der elenden Flickerei und der Gesell¬
schaft von Geisen und Gänsen erwachte von neuem in mir und mit erhöhter
Gewalt. Warum sollte ich auch immerfort nur alte Hosen flicken, ich, der
die Vossische Odyssee auswendig wußte, der inöuW dekliniren und Schillers
Glocke deklamiren konnte, der fünf Instrumente zu spielen verstand: die Flöte,
die Klarinette, die Violine, das Klavier und die Orgel, der Talent zu einem
Schlachtenbummler und zu einem Kriegsberichterstatter an den Tag gelegt
hatte? Das alles bestritt mir auch niemand, und doch sollte ich immer der
Geisbub und Schneiderjung von Hinterwinkel bleibet?? Wenn ich doch nur
wenigstens wie mein Bater einmal hätte die Welt sehen können!

Diesen stillen Mann sah ich in diesen Tagen neu aufleben. Er wußte
den Soldaten von Hamburg zu erzählen, und sie bewunderten laut, wie weit
er gereist war, und seine Bekanntschaft mit ihrer geliebten Vaterstadt; sie
schwatzten mit einander vom Alsterdainm und vom Jungfernstieg, vom Hafen
und von der Sankt-Pauli-Vorstadt mit ihren bunten Schauzelten. Sie be¬
handelten sich gegenseitig fast wie halbe Landsleute. Und die Hinterwinkler,
die das mit ansahen und meinen Vater mit den Soldaten in ihrem heimischen
»Platt" sich unterhalten hörten, wovon sie keine Silbe verstanden, bekamen
auf einmal einen ungeheuern Respekt vor dem Schueiderjakob.

Da that sich unvermutet auch für mich eine Hoffnung auf.

Der Regimentskapellmeister, Herr Franke mit Namen, war unser Nachbar
geworden; und mehr als das: er war bei Nepomuk Rothermund einquartiert.
Diese Gelegenheit machte ich mir zu nutze. Wie ehemals, als ich mit der
Olga musizierte, lag ich wieder tagelang drüben bei meinem alten Meister,
und auf jedes Wort, das zwischen ihm, dem ehemaligen Ludwigsburger Ho-
boisteu, und dem fremden vornehmen Mann mit den goldnen Treffen und
Achfelborten gesprochen wurde, lauschte ich wie auf ein Evangelium. Keine
Silbe davon wollte ich mir entgehn lassen, und man konnte mich nicht un¬
glücklicher machen, als wenn man mich wahrend eines solchen Gesprächs nach
Hanse rief; ich war dann wie außer mir und zu nichts zu gebrauchen.

So konnte es nicht fehlen, daß ich dem Kapellmeister auffiel, was wiederum


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[0431] geglaubt, daß einer aus ihrem Dorf bei den knauserigen Preußen zu solchem Glanz gelangen könnte. Wer das fertig brachte, mußte ein wahrer Mords¬ kerl sein. Letztes Kapitel Von ungestillter Sehnsucht und einem zerzupften Arcinzlein Niemand wurde durch die Erscheinung des Cyprian so im Innersten ge¬ troffen wie ich. Also das kann einer werden, dachte ich, wenn er nicht in Hinterwinkel sitzen bleibt, und meine ganze, halb männliche halb kindische Sehnsucht nach der Fremde, nach der weiten Welt, nach, ich wußte selbst nicht was, vor allem nach etwas anderen als der elenden Flickerei und der Gesell¬ schaft von Geisen und Gänsen erwachte von neuem in mir und mit erhöhter Gewalt. Warum sollte ich auch immerfort nur alte Hosen flicken, ich, der die Vossische Odyssee auswendig wußte, der inöuW dekliniren und Schillers Glocke deklamiren konnte, der fünf Instrumente zu spielen verstand: die Flöte, die Klarinette, die Violine, das Klavier und die Orgel, der Talent zu einem Schlachtenbummler und zu einem Kriegsberichterstatter an den Tag gelegt hatte? Das alles bestritt mir auch niemand, und doch sollte ich immer der Geisbub und Schneiderjung von Hinterwinkel bleibet?? Wenn ich doch nur wenigstens wie mein Bater einmal hätte die Welt sehen können! Diesen stillen Mann sah ich in diesen Tagen neu aufleben. Er wußte den Soldaten von Hamburg zu erzählen, und sie bewunderten laut, wie weit er gereist war, und seine Bekanntschaft mit ihrer geliebten Vaterstadt; sie schwatzten mit einander vom Alsterdainm und vom Jungfernstieg, vom Hafen und von der Sankt-Pauli-Vorstadt mit ihren bunten Schauzelten. Sie be¬ handelten sich gegenseitig fast wie halbe Landsleute. Und die Hinterwinkler, die das mit ansahen und meinen Vater mit den Soldaten in ihrem heimischen »Platt" sich unterhalten hörten, wovon sie keine Silbe verstanden, bekamen auf einmal einen ungeheuern Respekt vor dem Schueiderjakob. Da that sich unvermutet auch für mich eine Hoffnung auf. Der Regimentskapellmeister, Herr Franke mit Namen, war unser Nachbar geworden; und mehr als das: er war bei Nepomuk Rothermund einquartiert. Diese Gelegenheit machte ich mir zu nutze. Wie ehemals, als ich mit der Olga musizierte, lag ich wieder tagelang drüben bei meinem alten Meister, und auf jedes Wort, das zwischen ihm, dem ehemaligen Ludwigsburger Ho- boisteu, und dem fremden vornehmen Mann mit den goldnen Treffen und Achfelborten gesprochen wurde, lauschte ich wie auf ein Evangelium. Keine Silbe davon wollte ich mir entgehn lassen, und man konnte mich nicht un¬ glücklicher machen, als wenn man mich wahrend eines solchen Gesprächs nach Hanse rief; ich war dann wie außer mir und zu nichts zu gebrauchen. So konnte es nicht fehlen, daß ich dem Kapellmeister auffiel, was wiederum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/431>, abgerufen am 05.01.2025.