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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Weltgeschichte in Hinterwinkel

durch den Genuß des Auges. Und nun stellte ich mir die Menschen vor, die
alle diese Dinge schaffen, in ihren schmutzigen Werkstätten, Fabriken und Berg¬
werken. Nicht überall, wir wissen es wohl, geht es beim Schaffen ungemüt¬
lich zu; die Fleischer z. B. mit ihren breiten lachenden Gesichtern, ihren rot¬
weißen Backen und rvtweißen Hemden sehen im Schlachthof und im Laden
nicht anders aus als hier bei der großen Würstelmaschine, die den kräftigsten
Anziehungspunkt der ganzen Ausstellung bildet. Aber die Bergleute, aber die
Weber, aber die schwindsüchtiger Steinschneider, die rheumatischen Töpfer und
unzählige andre! Und die Frage entringt sich der beklemmten Brust: Wann
wird endlich einmal das Erzeugnis sür den Menschen und nicht mehr der
Mensch bloß sür sein Erzeugnis dasein? Wann wird man es wagen dürfen,
den Schöpfer dieser Herrlichkeiten, der sie jetzt durch sein vogelscheuchenartiges
Aussehn nur verschimpfireu würde, als ihre Krone mitten hineinzusetzen?




Weltgeschichte in Hinterwinkel
Aus den Denkwürdigkeiten eines ehemaligen Schneiderlehrlings
von Benno Rüttenauer
Sechstes Kapitel
Hinterwinkel stellt sich nicht ans den Aopf, aber der Held senkt fast aus den Molken

in Anfang zeigten sich die Hinterwinkler untröstlich über die
Bescherung. Sie meinten, da Preußen im Dorfe lügen, sei
dieses nun auch selbst preußisch. Napoleon mußte also seine
Hilfe verweigert haben.

Aber bald erschien das Unglück nicht so groß, als man be¬
fürchtet hatte. Zunächst erwiesen sich die Einquartierten als ziemlich liebens¬
würdige Feinde und im ganzen als genügsame Gäste. Mit neuen Kartoffeln
und frischer Butter konnte man ihnen ein großes Fest bereiten. Auch waren
es nicht einmal Preußen, sondern Hamburger, Söhne einer freien Stadt, die
selber von den Preußen nicht immer als ihren besten Freunden sprachen und
es jedem sagten, der es hören wollte, daß sie den von Preußen herauf-
beschwornen "Bruderkrieg" von Herzen verabscheuten und nur gezwungen mit¬
gemacht hätten. So konnte es nicht fehlen, daß der Feind gar bald gut
Freund wurde, besonders da sich die sichere Nachricht verbreitete, daß man
württembergisch bleibe nach wie vor, und daß die Kosten der Einquartierung


Weltgeschichte in Hinterwinkel

durch den Genuß des Auges. Und nun stellte ich mir die Menschen vor, die
alle diese Dinge schaffen, in ihren schmutzigen Werkstätten, Fabriken und Berg¬
werken. Nicht überall, wir wissen es wohl, geht es beim Schaffen ungemüt¬
lich zu; die Fleischer z. B. mit ihren breiten lachenden Gesichtern, ihren rot¬
weißen Backen und rvtweißen Hemden sehen im Schlachthof und im Laden
nicht anders aus als hier bei der großen Würstelmaschine, die den kräftigsten
Anziehungspunkt der ganzen Ausstellung bildet. Aber die Bergleute, aber die
Weber, aber die schwindsüchtiger Steinschneider, die rheumatischen Töpfer und
unzählige andre! Und die Frage entringt sich der beklemmten Brust: Wann
wird endlich einmal das Erzeugnis sür den Menschen und nicht mehr der
Mensch bloß sür sein Erzeugnis dasein? Wann wird man es wagen dürfen,
den Schöpfer dieser Herrlichkeiten, der sie jetzt durch sein vogelscheuchenartiges
Aussehn nur verschimpfireu würde, als ihre Krone mitten hineinzusetzen?




Weltgeschichte in Hinterwinkel
Aus den Denkwürdigkeiten eines ehemaligen Schneiderlehrlings
von Benno Rüttenauer
Sechstes Kapitel
Hinterwinkel stellt sich nicht ans den Aopf, aber der Held senkt fast aus den Molken

in Anfang zeigten sich die Hinterwinkler untröstlich über die
Bescherung. Sie meinten, da Preußen im Dorfe lügen, sei
dieses nun auch selbst preußisch. Napoleon mußte also seine
Hilfe verweigert haben.

Aber bald erschien das Unglück nicht so groß, als man be¬
fürchtet hatte. Zunächst erwiesen sich die Einquartierten als ziemlich liebens¬
würdige Feinde und im ganzen als genügsame Gäste. Mit neuen Kartoffeln
und frischer Butter konnte man ihnen ein großes Fest bereiten. Auch waren
es nicht einmal Preußen, sondern Hamburger, Söhne einer freien Stadt, die
selber von den Preußen nicht immer als ihren besten Freunden sprachen und
es jedem sagten, der es hören wollte, daß sie den von Preußen herauf-
beschwornen „Bruderkrieg" von Herzen verabscheuten und nur gezwungen mit¬
gemacht hätten. So konnte es nicht fehlen, daß der Feind gar bald gut
Freund wurde, besonders da sich die sichere Nachricht verbreitete, daß man
württembergisch bleibe nach wie vor, und daß die Kosten der Einquartierung


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[0426] Weltgeschichte in Hinterwinkel durch den Genuß des Auges. Und nun stellte ich mir die Menschen vor, die alle diese Dinge schaffen, in ihren schmutzigen Werkstätten, Fabriken und Berg¬ werken. Nicht überall, wir wissen es wohl, geht es beim Schaffen ungemüt¬ lich zu; die Fleischer z. B. mit ihren breiten lachenden Gesichtern, ihren rot¬ weißen Backen und rvtweißen Hemden sehen im Schlachthof und im Laden nicht anders aus als hier bei der großen Würstelmaschine, die den kräftigsten Anziehungspunkt der ganzen Ausstellung bildet. Aber die Bergleute, aber die Weber, aber die schwindsüchtiger Steinschneider, die rheumatischen Töpfer und unzählige andre! Und die Frage entringt sich der beklemmten Brust: Wann wird endlich einmal das Erzeugnis sür den Menschen und nicht mehr der Mensch bloß sür sein Erzeugnis dasein? Wann wird man es wagen dürfen, den Schöpfer dieser Herrlichkeiten, der sie jetzt durch sein vogelscheuchenartiges Aussehn nur verschimpfireu würde, als ihre Krone mitten hineinzusetzen? Weltgeschichte in Hinterwinkel Aus den Denkwürdigkeiten eines ehemaligen Schneiderlehrlings von Benno Rüttenauer Sechstes Kapitel Hinterwinkel stellt sich nicht ans den Aopf, aber der Held senkt fast aus den Molken in Anfang zeigten sich die Hinterwinkler untröstlich über die Bescherung. Sie meinten, da Preußen im Dorfe lügen, sei dieses nun auch selbst preußisch. Napoleon mußte also seine Hilfe verweigert haben. Aber bald erschien das Unglück nicht so groß, als man be¬ fürchtet hatte. Zunächst erwiesen sich die Einquartierten als ziemlich liebens¬ würdige Feinde und im ganzen als genügsame Gäste. Mit neuen Kartoffeln und frischer Butter konnte man ihnen ein großes Fest bereiten. Auch waren es nicht einmal Preußen, sondern Hamburger, Söhne einer freien Stadt, die selber von den Preußen nicht immer als ihren besten Freunden sprachen und es jedem sagten, der es hören wollte, daß sie den von Preußen herauf- beschwornen „Bruderkrieg" von Herzen verabscheuten und nur gezwungen mit¬ gemacht hätten. So konnte es nicht fehlen, daß der Feind gar bald gut Freund wurde, besonders da sich die sichere Nachricht verbreitete, daß man württembergisch bleibe nach wie vor, und daß die Kosten der Einquartierung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/426>, abgerufen am 05.01.2025.