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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Auf der Rundfahrt

vergnügten, wie sie es lieber nicht hatten thun sollen. Falsch war der Schluß,
daß sie sich gegen jeden Versuch, ihnen eine beßre Verwendung ihrer Muße¬
stunden zu bieten, widerwillig zeigen müßten. Der Versuch selbst hat das
Gegenteil bewiesen; ja er hat, wenigstens in der Frankfurter Abendhaushal¬
tungsschule, gezeigt, daß die Mädchen beim Lernen die eifrigsten sind, deren
Tagesbeschäftigung allen hauswirtschaftlichen Verrichtungen am fernsten steht:
die Fabrikarbeiterinnen.

Ich habe in den drei Schuljahren oft Fremde dnrch unsre Räume ge¬
leitet, denen der Stand der Lohnarbeiterinnen wohl bekannt war, ja die zum
Teil selbst als Arbeitgeber von Fabrikmädchen mit deren Tagesbeschäftigung
und der Art, wie sie die Abende und Sonntage ausfüllten, vertraut waren.
Wenn wir dann gegen acht Uhr -- dies ist der zeitliche und sachliche Mittel¬
punkt des Abendunterrichts -- in den Handarbeitssaal traten und dort die
"Handarbeitshälfte" emsig beim Flicken und Stopfen, beim Nähen und Schnei¬
dern fanden, wenn wir am Vügelraum vorbei, wo auch nicht gefeiert wurde,
in die große Küche und den Speiseraum kamen, die Herde gut gefeuert nud
die Mädchen herrichtend, kochend und tischdeckend trafen, alles in fröhlicher
Arbeit, so ging es oft wie ein Gelöbnis über die Gesichter unsrer Gäste.
Manche an andern Orten heute blühende Abendhaushaltungsschule hat in
solchen Augenblicken im Kopfe ihrer Stifter ihren Ursprung genommen.

Weibliche Lohnarbeit, auch die der Fabrikarbeiterinnen, ist ein Teil unsrer
gewerblichen Verhältnisse; wir können sie nicht beseitigen und brauchen das
heute auch nicht mehr mit dem blinden Eifer zu erstreben, der ehemals in der
zur Heirat schreitenden Fabrikarbeiterin, dieser "hauswirtschaftlich ganz unfähigen
Person," die Zerstörerin alles ehelichen Glücks erblickte. Wo sie dies zur Zeit
noch ist, da wende man ein Gegenmittel an, das gern und ohne Zwang be¬
nutzt wird: die Abendhaushaltungsschule.




Auf der Rundfahrt

uf dem Rundfluge, könnte es auch heißen. Denn obwohl man
sich nach heutiger Reisesitte seiner schneckenhaften Langsamkeit zu
schämen hat, wenn man in drei Wochen nicht mehr als drei¬
hundert Meilen zurücklegt, so ist doch dieses Tempo gerade rasch
genug, überall falsch zu sehen und zu hören,*) namentlich
wenn sich der Beobachter wegen mangelhafter Schärfe der Sinnesorgane einiger-M<^M
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*) In einer Gerichtsverhandlung über einen Eisenbahnunfall entschuldigte sich der An¬
geklagte damit, daß er im Zustande der Übermüdung und in der Eile eine Ziffer eines
Auf der Rundfahrt

vergnügten, wie sie es lieber nicht hatten thun sollen. Falsch war der Schluß,
daß sie sich gegen jeden Versuch, ihnen eine beßre Verwendung ihrer Muße¬
stunden zu bieten, widerwillig zeigen müßten. Der Versuch selbst hat das
Gegenteil bewiesen; ja er hat, wenigstens in der Frankfurter Abendhaushal¬
tungsschule, gezeigt, daß die Mädchen beim Lernen die eifrigsten sind, deren
Tagesbeschäftigung allen hauswirtschaftlichen Verrichtungen am fernsten steht:
die Fabrikarbeiterinnen.

Ich habe in den drei Schuljahren oft Fremde dnrch unsre Räume ge¬
leitet, denen der Stand der Lohnarbeiterinnen wohl bekannt war, ja die zum
Teil selbst als Arbeitgeber von Fabrikmädchen mit deren Tagesbeschäftigung
und der Art, wie sie die Abende und Sonntage ausfüllten, vertraut waren.
Wenn wir dann gegen acht Uhr — dies ist der zeitliche und sachliche Mittel¬
punkt des Abendunterrichts — in den Handarbeitssaal traten und dort die
„Handarbeitshälfte" emsig beim Flicken und Stopfen, beim Nähen und Schnei¬
dern fanden, wenn wir am Vügelraum vorbei, wo auch nicht gefeiert wurde,
in die große Küche und den Speiseraum kamen, die Herde gut gefeuert nud
die Mädchen herrichtend, kochend und tischdeckend trafen, alles in fröhlicher
Arbeit, so ging es oft wie ein Gelöbnis über die Gesichter unsrer Gäste.
Manche an andern Orten heute blühende Abendhaushaltungsschule hat in
solchen Augenblicken im Kopfe ihrer Stifter ihren Ursprung genommen.

Weibliche Lohnarbeit, auch die der Fabrikarbeiterinnen, ist ein Teil unsrer
gewerblichen Verhältnisse; wir können sie nicht beseitigen und brauchen das
heute auch nicht mehr mit dem blinden Eifer zu erstreben, der ehemals in der
zur Heirat schreitenden Fabrikarbeiterin, dieser „hauswirtschaftlich ganz unfähigen
Person," die Zerstörerin alles ehelichen Glücks erblickte. Wo sie dies zur Zeit
noch ist, da wende man ein Gegenmittel an, das gern und ohne Zwang be¬
nutzt wird: die Abendhaushaltungsschule.




Auf der Rundfahrt

uf dem Rundfluge, könnte es auch heißen. Denn obwohl man
sich nach heutiger Reisesitte seiner schneckenhaften Langsamkeit zu
schämen hat, wenn man in drei Wochen nicht mehr als drei¬
hundert Meilen zurücklegt, so ist doch dieses Tempo gerade rasch
genug, überall falsch zu sehen und zu hören,*) namentlich
wenn sich der Beobachter wegen mangelhafter Schärfe der Sinnesorgane einiger-M<^M
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*) In einer Gerichtsverhandlung über einen Eisenbahnunfall entschuldigte sich der An¬
geklagte damit, daß er im Zustande der Übermüdung und in der Eile eine Ziffer eines
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[0420] Auf der Rundfahrt vergnügten, wie sie es lieber nicht hatten thun sollen. Falsch war der Schluß, daß sie sich gegen jeden Versuch, ihnen eine beßre Verwendung ihrer Muße¬ stunden zu bieten, widerwillig zeigen müßten. Der Versuch selbst hat das Gegenteil bewiesen; ja er hat, wenigstens in der Frankfurter Abendhaushal¬ tungsschule, gezeigt, daß die Mädchen beim Lernen die eifrigsten sind, deren Tagesbeschäftigung allen hauswirtschaftlichen Verrichtungen am fernsten steht: die Fabrikarbeiterinnen. Ich habe in den drei Schuljahren oft Fremde dnrch unsre Räume ge¬ leitet, denen der Stand der Lohnarbeiterinnen wohl bekannt war, ja die zum Teil selbst als Arbeitgeber von Fabrikmädchen mit deren Tagesbeschäftigung und der Art, wie sie die Abende und Sonntage ausfüllten, vertraut waren. Wenn wir dann gegen acht Uhr — dies ist der zeitliche und sachliche Mittel¬ punkt des Abendunterrichts — in den Handarbeitssaal traten und dort die „Handarbeitshälfte" emsig beim Flicken und Stopfen, beim Nähen und Schnei¬ dern fanden, wenn wir am Vügelraum vorbei, wo auch nicht gefeiert wurde, in die große Küche und den Speiseraum kamen, die Herde gut gefeuert nud die Mädchen herrichtend, kochend und tischdeckend trafen, alles in fröhlicher Arbeit, so ging es oft wie ein Gelöbnis über die Gesichter unsrer Gäste. Manche an andern Orten heute blühende Abendhaushaltungsschule hat in solchen Augenblicken im Kopfe ihrer Stifter ihren Ursprung genommen. Weibliche Lohnarbeit, auch die der Fabrikarbeiterinnen, ist ein Teil unsrer gewerblichen Verhältnisse; wir können sie nicht beseitigen und brauchen das heute auch nicht mehr mit dem blinden Eifer zu erstreben, der ehemals in der zur Heirat schreitenden Fabrikarbeiterin, dieser „hauswirtschaftlich ganz unfähigen Person," die Zerstörerin alles ehelichen Glücks erblickte. Wo sie dies zur Zeit noch ist, da wende man ein Gegenmittel an, das gern und ohne Zwang be¬ nutzt wird: die Abendhaushaltungsschule. Auf der Rundfahrt uf dem Rundfluge, könnte es auch heißen. Denn obwohl man sich nach heutiger Reisesitte seiner schneckenhaften Langsamkeit zu schämen hat, wenn man in drei Wochen nicht mehr als drei¬ hundert Meilen zurücklegt, so ist doch dieses Tempo gerade rasch genug, überall falsch zu sehen und zu hören,*) namentlich wenn sich der Beobachter wegen mangelhafter Schärfe der Sinnesorgane einiger-M<^M >' - «B, WW MW *) In einer Gerichtsverhandlung über einen Eisenbahnunfall entschuldigte sich der An¬ geklagte damit, daß er im Zustande der Übermüdung und in der Eile eine Ziffer eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/420>, abgerufen am 05.01.2025.