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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts
3

In der ausgezeichneten Arbeit von Walther Lotz über die Ideen der
deutschen Handelspolitik von 1860 bis 1891 wird das Interesse besonders
durch zwei Gegenstande gefesselt: durch den Zusammenhang der Zollpolitik
Preußens vor 1866 mit seiner aus Ausschluß Österreichs gerichteten deutschen
Einigungspolitik, und durch den Umschwung vom Freihandel zum Schutzzoll
im Jahre 1879. Wir beschränken uns auf eine kurze Übersicht des zweiten
Gegenstandes.

Die freihändlerische Bewegung, sagt Lotz, "die in den sechziger und sieb¬
ziger Jahren die öffentliche Meinung beherrscht. ist(?) nicht in erster Linie
von den Universitäten geführt. Die ältere Freihandelsbewegung, welche zur Zeit
der Stein-Hardenbergischen Reformen die Universitäten und Ministerialbnreaus
beherrschte, war von der nächsten Generation der Gelehrten nicht mit gleicher
Energie fortgesetzt worden. Zur ^zu der!) Zeit, in welcher die politische"
Freihändler in Deutschland ihre größten Triumphe feierten, lehrten bereits
Röscher, Knies, Rau und Hermann auf den Kathedern eine Nationalökonomie,
die sich nicht absolut ablehnend gegen alle Schutzzölle verhielt. Obwohl nicht
von den Universitäten ausgegangen, hat die ^wie später ausgeführt wird, von
Prince Smith eingeleitetes deutsche Frcihandelsbeweguug der fünfziger und sech¬
ziger Jahre einen gewissen schulmüßigen, lehrhaften Zug. Dies ist in einem
Umstände begründet, durch welchen sie sich ganz wesentlich von der englischen
unterscheidet. Die Deutschen kämpfen zwar mit denselben Argumenten, wie
die englische Antikornliga. Doch die Argumentation, welche uns in beiden
Fällen begegnet, ist in England urwüchsig aus dem Leben hervorgegangen
und mit den Forderungen der einflußreichsten Interessen identisch, in Deutsch¬
land und überhaupt auf dem Kontinent dagegen eine Schulmeinuug. Der
Standpunkt, von welchem Cobden und seine Freunde in England durchdrungen
sind >wie kann man von einem Punkte, auf dem man steht, durchdrungen sein!),
ist der des exportirenden Fabrikanten. Der englische Fabrikant fürchtet nicht
die industrielle Konkurrenz des Auslandes; woran ihm liegt, ist, Käufer zu
gewinnen. Sein Hauptargument ist: wir müssen dem Auslande abkaufen,
damit wir wiederum als Verkäufer der Waren, in denen wir hervorragen, der
Jndustrieprodnkte, Erfolg haben können. Dies war ganz und gar nicht der
Standpunkt der deutschen Großindustriellen jener Zeit. Deutschland ist erst
neuerdings in diejenige handelspolitische Phase eingetreten, für welche die An¬
schauungen Cobdens über die Interessen eines exportirenden Industrielandes
wieder Geltung gewinnen können. Wollte man in den vierziger und fünf¬
ziger Jahren die freihändlerischen Interessen Deutschlands organisiren, so mußte
man eine Koalition ganz andern Charakters als die der englischen Freihändler
anstreben. Der Konsument, in dessen Interesse Cobden den Freihandel forderte,
ist der gewerbliche Arbeiter, dem die Kornzölle das Brot verteuern. Der Kor-


Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts
3

In der ausgezeichneten Arbeit von Walther Lotz über die Ideen der
deutschen Handelspolitik von 1860 bis 1891 wird das Interesse besonders
durch zwei Gegenstande gefesselt: durch den Zusammenhang der Zollpolitik
Preußens vor 1866 mit seiner aus Ausschluß Österreichs gerichteten deutschen
Einigungspolitik, und durch den Umschwung vom Freihandel zum Schutzzoll
im Jahre 1879. Wir beschränken uns auf eine kurze Übersicht des zweiten
Gegenstandes.

Die freihändlerische Bewegung, sagt Lotz, „die in den sechziger und sieb¬
ziger Jahren die öffentliche Meinung beherrscht. ist(?) nicht in erster Linie
von den Universitäten geführt. Die ältere Freihandelsbewegung, welche zur Zeit
der Stein-Hardenbergischen Reformen die Universitäten und Ministerialbnreaus
beherrschte, war von der nächsten Generation der Gelehrten nicht mit gleicher
Energie fortgesetzt worden. Zur ^zu der!) Zeit, in welcher die politische«
Freihändler in Deutschland ihre größten Triumphe feierten, lehrten bereits
Röscher, Knies, Rau und Hermann auf den Kathedern eine Nationalökonomie,
die sich nicht absolut ablehnend gegen alle Schutzzölle verhielt. Obwohl nicht
von den Universitäten ausgegangen, hat die ^wie später ausgeführt wird, von
Prince Smith eingeleitetes deutsche Frcihandelsbeweguug der fünfziger und sech¬
ziger Jahre einen gewissen schulmüßigen, lehrhaften Zug. Dies ist in einem
Umstände begründet, durch welchen sie sich ganz wesentlich von der englischen
unterscheidet. Die Deutschen kämpfen zwar mit denselben Argumenten, wie
die englische Antikornliga. Doch die Argumentation, welche uns in beiden
Fällen begegnet, ist in England urwüchsig aus dem Leben hervorgegangen
und mit den Forderungen der einflußreichsten Interessen identisch, in Deutsch¬
land und überhaupt auf dem Kontinent dagegen eine Schulmeinuug. Der
Standpunkt, von welchem Cobden und seine Freunde in England durchdrungen
sind >wie kann man von einem Punkte, auf dem man steht, durchdrungen sein!),
ist der des exportirenden Fabrikanten. Der englische Fabrikant fürchtet nicht
die industrielle Konkurrenz des Auslandes; woran ihm liegt, ist, Käufer zu
gewinnen. Sein Hauptargument ist: wir müssen dem Auslande abkaufen,
damit wir wiederum als Verkäufer der Waren, in denen wir hervorragen, der
Jndustrieprodnkte, Erfolg haben können. Dies war ganz und gar nicht der
Standpunkt der deutschen Großindustriellen jener Zeit. Deutschland ist erst
neuerdings in diejenige handelspolitische Phase eingetreten, für welche die An¬
schauungen Cobdens über die Interessen eines exportirenden Industrielandes
wieder Geltung gewinnen können. Wollte man in den vierziger und fünf¬
ziger Jahren die freihändlerischen Interessen Deutschlands organisiren, so mußte
man eine Koalition ganz andern Charakters als die der englischen Freihändler
anstreben. Der Konsument, in dessen Interesse Cobden den Freihandel forderte,
ist der gewerbliche Arbeiter, dem die Kornzölle das Brot verteuern. Der Kor-


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[0408] Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts 3 In der ausgezeichneten Arbeit von Walther Lotz über die Ideen der deutschen Handelspolitik von 1860 bis 1891 wird das Interesse besonders durch zwei Gegenstande gefesselt: durch den Zusammenhang der Zollpolitik Preußens vor 1866 mit seiner aus Ausschluß Österreichs gerichteten deutschen Einigungspolitik, und durch den Umschwung vom Freihandel zum Schutzzoll im Jahre 1879. Wir beschränken uns auf eine kurze Übersicht des zweiten Gegenstandes. Die freihändlerische Bewegung, sagt Lotz, „die in den sechziger und sieb¬ ziger Jahren die öffentliche Meinung beherrscht. ist(?) nicht in erster Linie von den Universitäten geführt. Die ältere Freihandelsbewegung, welche zur Zeit der Stein-Hardenbergischen Reformen die Universitäten und Ministerialbnreaus beherrschte, war von der nächsten Generation der Gelehrten nicht mit gleicher Energie fortgesetzt worden. Zur ^zu der!) Zeit, in welcher die politische« Freihändler in Deutschland ihre größten Triumphe feierten, lehrten bereits Röscher, Knies, Rau und Hermann auf den Kathedern eine Nationalökonomie, die sich nicht absolut ablehnend gegen alle Schutzzölle verhielt. Obwohl nicht von den Universitäten ausgegangen, hat die ^wie später ausgeführt wird, von Prince Smith eingeleitetes deutsche Frcihandelsbeweguug der fünfziger und sech¬ ziger Jahre einen gewissen schulmüßigen, lehrhaften Zug. Dies ist in einem Umstände begründet, durch welchen sie sich ganz wesentlich von der englischen unterscheidet. Die Deutschen kämpfen zwar mit denselben Argumenten, wie die englische Antikornliga. Doch die Argumentation, welche uns in beiden Fällen begegnet, ist in England urwüchsig aus dem Leben hervorgegangen und mit den Forderungen der einflußreichsten Interessen identisch, in Deutsch¬ land und überhaupt auf dem Kontinent dagegen eine Schulmeinuug. Der Standpunkt, von welchem Cobden und seine Freunde in England durchdrungen sind >wie kann man von einem Punkte, auf dem man steht, durchdrungen sein!), ist der des exportirenden Fabrikanten. Der englische Fabrikant fürchtet nicht die industrielle Konkurrenz des Auslandes; woran ihm liegt, ist, Käufer zu gewinnen. Sein Hauptargument ist: wir müssen dem Auslande abkaufen, damit wir wiederum als Verkäufer der Waren, in denen wir hervorragen, der Jndustrieprodnkte, Erfolg haben können. Dies war ganz und gar nicht der Standpunkt der deutschen Großindustriellen jener Zeit. Deutschland ist erst neuerdings in diejenige handelspolitische Phase eingetreten, für welche die An¬ schauungen Cobdens über die Interessen eines exportirenden Industrielandes wieder Geltung gewinnen können. Wollte man in den vierziger und fünf¬ ziger Jahren die freihändlerischen Interessen Deutschlands organisiren, so mußte man eine Koalition ganz andern Charakters als die der englischen Freihändler anstreben. Der Konsument, in dessen Interesse Cobden den Freihandel forderte, ist der gewerbliche Arbeiter, dem die Kornzölle das Brot verteuern. Der Kor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/408>, abgerufen am 05.01.2025.