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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

Nachlaß gefundne Komposition kann also recht gut eine selbständige Arbeit sein.
Der Komponist bliebe dann noch nachzuweisen, wenn -- es der Mühe lohnte.

Aber lohnt es denn der Mühe? Friedländer spricht das Lied augenscheinlich
mit einem gewissen Bedauern Mozart ab. Er spricht von seiner "feinen, zierlichen,
den Musiker wie den Laien gleichmäßig erfreuenden Melodie," die ebenso sehr
"Webers wie Mozarts Züge" trage, "aufs glücklichste die galante Stimmung des
Gedichts" treffe u. f. w.; sogar den recht gewöhnlichen chromatischen Gang am Schlüsse,
der wohl in hundert Liedern jener Zeit wiederkehrt, nennt er den "schönen chro¬
matischen Gang." Wie verschieden wir doch da sühlen! Ich habe das Liedchen
manch liebes mal Sängerinnen begleitet und habe das natürlich stets mit der
nötigen Pietät besorgt. Aber im Geiste sah ich doch dabei immer zu meiner
Rechten eine Hand die Kurbel drehn und dachte: Na, das Lied hangest du auch
nicht, wenn nicht Mozart drüber stünde! Auf mich hat offen gestanden der Nach¬
* ^ * weis Friedländers wie eine Befreiung gewirkt.


Unter den Linden.

In wenigen Wochen wird Berlin durch Eröffnung
des neuen Theaters "Unter den Linden" um eine gUnrorioir bereichert werden --
so melden die Zeitungen. Eine ^ttrirotion für wen? An jedem Abend sollen zwei
große Ballets und eine Operette aufgeführt werden. Zweihundert "Figurantinnen
sind engcigirt"; das Theater faßt tausend Zuschauer. Gespiele wird bis Mitter¬
nacht, doch bleibt das "Etablissement" bis ein Uhr geöffnet. Mit dem Theater
wird sich ein Cas" und ein -- Hotel verbinden. Honn^ soit c^ni irml xsnss!
Vielleicht ist sogar ein Gutes dabei. Man sieht endlich, wo das Ballet hingehört.




Litteratur
Die Neue Welt. ReiseskiMn aus dem Norden und Süden der Bereinigten Staaten, sowie
aus Kanada und Mexiko. Von Emil Deckert. Berlin, Gebrüder Paetel, 18SS,

Amerika tritt uns immer näher. Einst schwamm es wie ein Wolkenstreif,
der sich ins Unbestimmte verliert, tief am Abendhimmel, rot und golden wie ein
Märchen; aber es ist gewachsen und steigt immer höher und dunkler am Firmament
herauf, wir unterscheiden schärfer einzelne Teile und ermessen die Größe des Ganzen,
dessen Schatten über das Meer bis zu uns herüberfällt. In dem Fremden dieser
Erscheinung liegt etwas Drohendes, wir erwarten unbestimmt einen Einfluß dieser
Raumgröße, dieser Menschenmengen und vervielfältigten Hilfsmittel und Leistungen
auf unser soviel kleiner zugeschnittnes Wesen und fragen uns, ob unser politisches
Kleingewerbe in der Konkurrenz mit diesem großen Unternehmer bestehen werde.
Nächst Nußland fordert Nordamerika am dringendsten zum Studium auf, nicht uns
nur, sondern alle Europäer, und da wir keinen Überfluß an guten Büchern über
dieses Land haben, begrüßen wir mit Dank neue, gute Berichte; sie sind um so
notwendiger, als die transatlantischen Länder in ihrem jugendlichen Wachstum sich
in vielen Einzelheiten überraschend schnell verändern.

Gegen das Buch, von dem wir heute ein paar Worte sagen möchten, haben


Litteratur

Nachlaß gefundne Komposition kann also recht gut eine selbständige Arbeit sein.
Der Komponist bliebe dann noch nachzuweisen, wenn — es der Mühe lohnte.

Aber lohnt es denn der Mühe? Friedländer spricht das Lied augenscheinlich
mit einem gewissen Bedauern Mozart ab. Er spricht von seiner „feinen, zierlichen,
den Musiker wie den Laien gleichmäßig erfreuenden Melodie," die ebenso sehr
„Webers wie Mozarts Züge" trage, „aufs glücklichste die galante Stimmung des
Gedichts" treffe u. f. w.; sogar den recht gewöhnlichen chromatischen Gang am Schlüsse,
der wohl in hundert Liedern jener Zeit wiederkehrt, nennt er den „schönen chro¬
matischen Gang." Wie verschieden wir doch da sühlen! Ich habe das Liedchen
manch liebes mal Sängerinnen begleitet und habe das natürlich stets mit der
nötigen Pietät besorgt. Aber im Geiste sah ich doch dabei immer zu meiner
Rechten eine Hand die Kurbel drehn und dachte: Na, das Lied hangest du auch
nicht, wenn nicht Mozart drüber stünde! Auf mich hat offen gestanden der Nach¬
* ^ * weis Friedländers wie eine Befreiung gewirkt.


Unter den Linden.

In wenigen Wochen wird Berlin durch Eröffnung
des neuen Theaters „Unter den Linden" um eine gUnrorioir bereichert werden —
so melden die Zeitungen. Eine ^ttrirotion für wen? An jedem Abend sollen zwei
große Ballets und eine Operette aufgeführt werden. Zweihundert „Figurantinnen
sind engcigirt"; das Theater faßt tausend Zuschauer. Gespiele wird bis Mitter¬
nacht, doch bleibt das „Etablissement" bis ein Uhr geöffnet. Mit dem Theater
wird sich ein Cas« und ein — Hotel verbinden. Honn^ soit c^ni irml xsnss!
Vielleicht ist sogar ein Gutes dabei. Man sieht endlich, wo das Ballet hingehört.




Litteratur
Die Neue Welt. ReiseskiMn aus dem Norden und Süden der Bereinigten Staaten, sowie
aus Kanada und Mexiko. Von Emil Deckert. Berlin, Gebrüder Paetel, 18SS,

Amerika tritt uns immer näher. Einst schwamm es wie ein Wolkenstreif,
der sich ins Unbestimmte verliert, tief am Abendhimmel, rot und golden wie ein
Märchen; aber es ist gewachsen und steigt immer höher und dunkler am Firmament
herauf, wir unterscheiden schärfer einzelne Teile und ermessen die Größe des Ganzen,
dessen Schatten über das Meer bis zu uns herüberfällt. In dem Fremden dieser
Erscheinung liegt etwas Drohendes, wir erwarten unbestimmt einen Einfluß dieser
Raumgröße, dieser Menschenmengen und vervielfältigten Hilfsmittel und Leistungen
auf unser soviel kleiner zugeschnittnes Wesen und fragen uns, ob unser politisches
Kleingewerbe in der Konkurrenz mit diesem großen Unternehmer bestehen werde.
Nächst Nußland fordert Nordamerika am dringendsten zum Studium auf, nicht uns
nur, sondern alle Europäer, und da wir keinen Überfluß an guten Büchern über
dieses Land haben, begrüßen wir mit Dank neue, gute Berichte; sie sind um so
notwendiger, als die transatlantischen Länder in ihrem jugendlichen Wachstum sich
in vielen Einzelheiten überraschend schnell verändern.

Gegen das Buch, von dem wir heute ein paar Worte sagen möchten, haben


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[0390] Litteratur Nachlaß gefundne Komposition kann also recht gut eine selbständige Arbeit sein. Der Komponist bliebe dann noch nachzuweisen, wenn — es der Mühe lohnte. Aber lohnt es denn der Mühe? Friedländer spricht das Lied augenscheinlich mit einem gewissen Bedauern Mozart ab. Er spricht von seiner „feinen, zierlichen, den Musiker wie den Laien gleichmäßig erfreuenden Melodie," die ebenso sehr „Webers wie Mozarts Züge" trage, „aufs glücklichste die galante Stimmung des Gedichts" treffe u. f. w.; sogar den recht gewöhnlichen chromatischen Gang am Schlüsse, der wohl in hundert Liedern jener Zeit wiederkehrt, nennt er den „schönen chro¬ matischen Gang." Wie verschieden wir doch da sühlen! Ich habe das Liedchen manch liebes mal Sängerinnen begleitet und habe das natürlich stets mit der nötigen Pietät besorgt. Aber im Geiste sah ich doch dabei immer zu meiner Rechten eine Hand die Kurbel drehn und dachte: Na, das Lied hangest du auch nicht, wenn nicht Mozart drüber stünde! Auf mich hat offen gestanden der Nach¬ * ^ * weis Friedländers wie eine Befreiung gewirkt. Unter den Linden. In wenigen Wochen wird Berlin durch Eröffnung des neuen Theaters „Unter den Linden" um eine gUnrorioir bereichert werden — so melden die Zeitungen. Eine ^ttrirotion für wen? An jedem Abend sollen zwei große Ballets und eine Operette aufgeführt werden. Zweihundert „Figurantinnen sind engcigirt"; das Theater faßt tausend Zuschauer. Gespiele wird bis Mitter¬ nacht, doch bleibt das „Etablissement" bis ein Uhr geöffnet. Mit dem Theater wird sich ein Cas« und ein — Hotel verbinden. Honn^ soit c^ni irml xsnss! Vielleicht ist sogar ein Gutes dabei. Man sieht endlich, wo das Ballet hingehört. Litteratur Die Neue Welt. ReiseskiMn aus dem Norden und Süden der Bereinigten Staaten, sowie aus Kanada und Mexiko. Von Emil Deckert. Berlin, Gebrüder Paetel, 18SS, Amerika tritt uns immer näher. Einst schwamm es wie ein Wolkenstreif, der sich ins Unbestimmte verliert, tief am Abendhimmel, rot und golden wie ein Märchen; aber es ist gewachsen und steigt immer höher und dunkler am Firmament herauf, wir unterscheiden schärfer einzelne Teile und ermessen die Größe des Ganzen, dessen Schatten über das Meer bis zu uns herüberfällt. In dem Fremden dieser Erscheinung liegt etwas Drohendes, wir erwarten unbestimmt einen Einfluß dieser Raumgröße, dieser Menschenmengen und vervielfältigten Hilfsmittel und Leistungen auf unser soviel kleiner zugeschnittnes Wesen und fragen uns, ob unser politisches Kleingewerbe in der Konkurrenz mit diesem großen Unternehmer bestehen werde. Nächst Nußland fordert Nordamerika am dringendsten zum Studium auf, nicht uns nur, sondern alle Europäer, und da wir keinen Überfluß an guten Büchern über dieses Land haben, begrüßen wir mit Dank neue, gute Berichte; sie sind um so notwendiger, als die transatlantischen Länder in ihrem jugendlichen Wachstum sich in vielen Einzelheiten überraschend schnell verändern. Gegen das Buch, von dem wir heute ein paar Worte sagen möchten, haben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/390>, abgerufen am 05.01.2025.