Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Litteratur Wir freilich allerlei einzuwenden; wir wollen aber erst am Schlich berühren, was Wir haben hier die gewissenhafte Arbeit eines gebildeten Deutschen vor uns, Von vornherein hat es uns für den Verfasser eingenommen, daß er offenbar Was uns weniger an dein Buche gefällt, ist der Mangel an Sicherheit und Litteratur Wir freilich allerlei einzuwenden; wir wollen aber erst am Schlich berühren, was Wir haben hier die gewissenhafte Arbeit eines gebildeten Deutschen vor uns, Von vornherein hat es uns für den Verfasser eingenommen, daß er offenbar Was uns weniger an dein Buche gefällt, ist der Mangel an Sicherheit und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0391" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212867"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1322" prev="#ID_1321"> Wir freilich allerlei einzuwenden; wir wollen aber erst am Schlich berühren, was<lb/> uns nicht gefällt, um zuerst das Gute zu loben und zu empfehlen, was uns daran<lb/> angezogen und gefesselt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1323"> Wir haben hier die gewissenhafte Arbeit eines gebildeten Deutschen vor uns,<lb/> der die bedeutendem Städte und Landschaften der Vereinigten Staaten östlich<lb/> vom Felsengebirge fast alle besucht und prüfenden Auges durchwandert hat, den<lb/> der Wunsch beseelt, wahrheitstreuen Bericht zu geben, und dessen Schilderungen<lb/> uns in angenehmer Plandersvrache ohne alle Länge und doch ernst belehre,', indem<lb/> sie uns zugleich unterhalten. Wir halten das Buch für geeignet, ein im ganzen<lb/> richtiges Bild der Bereinigten Staaten diesseits des Mississippi zu geben, und<lb/> wünschen, daß es aufmerksame Leser finden möge.</p><lb/> <p xml:id="ID_1324"> Von vornherein hat es uns für den Verfasser eingenommen, daß er offenbar<lb/> den aufrichtigsten Wunsch hegt, die Wahrheit zu finden und zu sagen. Wir wissen<lb/> aus Erfahrung, daß das nicht leicht ist, um so weniger leicht, als soviele von<lb/> unsern eignen Landsleuten drüben vor dem Amcrikanertmn ans dem Bauche liegen.<lb/> Das erbittert und mischt leicht das Grelle des Widerspruchs in die Farben unsrer<lb/> Schilderung. Es ist überhaupt schwer, einer so jugendlichen Erscheinung gegenüber,<lb/> wie es Nordamerika in Beziehung auf seine Kultur und in politischer Beziehung<lb/> i>t, den richtigen Weg in Anerkennung und Tadel zu finden. Unserm Verfasser<lb/> ist das größtenteils gelungen. Er hat geographische Studien gemacht und verliert<lb/> nicht das Große des Landes über den Einzelheiten ans dem Ange. Es ist ganz<lb/> gut, daß er uns öfter auf die in der Natur, sogar in geologischer Tiefe der neuen<lb/> Welt liegenden Schranken ihrer Entwicklung aufmerksam macht, denn auch in Europa<lb/> lassen wir uus allzu leicht von dem Großen bestechen, das ja nicht alles positiv<lb/> ist, und dem Jugendlichen, das ja nicht alles hoffnungsvoll ist. Wir vergessen<lb/> den ungeheuern Vorzug unsrer alten Geschichte, unsrer ehrwürdigen Umgebungen,<lb/> die uns Wie Kinder einer altangeseßnen Familie, die in großen geschichtlichen,<lb/> erinnerungsreichen Räumen aufwachsen, neben die des reichen, aber unbehaglich in<lb/> all seinem Neuen, Unehrwürdigeu, der Vergessenheit bestimmten Emporkömmlings<lb/> stellen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1325" next="#ID_1326"> Was uns weniger an dein Buche gefällt, ist der Mangel an Sicherheit und<lb/> Bestimmtheit. Wir meinen, der Mann, der es geschrieben hat, könnte nicht weit<lb/> von der mittlern Elbe oder Oder zu Hause sein. Seine vorsichtigen Urteile über<lb/> Dinge, in die ein andrer ein Donnerwetter hineinschlagen ließe, erinnern an die<lb/> bekannten Anekdoten von dem komisch-höflichen Obersachsen. Herr Deckert ist gerade<lb/> kein Bliemchen, aber er hat ein bischen von dessen Manier, was uns von dem<lb/> sonst vortrefflichen Mann aufrichtig leid thut. Es giebt so manches, was klar und<lb/> scharf zu verurteilen wäre. Ihm erscheint die Zukunft gewisser Dinge, die man<lb/> >n deu Boden verwünschen möchte, nur als „vielleicht zweifelhaft." Die Sprache<lb/> der amerikanischen Zeitungen ist manchmal ein „wenig kräftig." An den Niagara-<lb/> sällen, wo ihn, wie schon manchen vorher, die unverschämten Kutscher und Haus¬<lb/> knechte ärgern, schreibt er folgenden Satz nieder: „Land der Freiheit! seufzen<lb/> wir und lassen das Unvermeidliche über uns ergehn, wenn auch uicht, ohne<lb/> dann und wann eine kleine Portion göttlicher Grobheit auf die Zudringlichen<lb/> regnen zu lassen." Sehr gut: kleine Portion, göttlich, regnen lassen, Seufzer,<lb/> leider paßt nur dazu Grobheit nicht; wir glauben gar nicht, daß Herr Deckert<lb/> grob sein kann, und daß er das nicht sein kann, ist hier uicht bloß menschlich,<lb/> sondern auch stilistisch ein großer, ja fast ein grober Fehler. Die Erscheinungen<lb/> des amerikanischen Landes und Lebens sind selbst zu groß und zu massiv, als das</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0391]
Litteratur
Wir freilich allerlei einzuwenden; wir wollen aber erst am Schlich berühren, was
uns nicht gefällt, um zuerst das Gute zu loben und zu empfehlen, was uns daran
angezogen und gefesselt hat.
Wir haben hier die gewissenhafte Arbeit eines gebildeten Deutschen vor uns,
der die bedeutendem Städte und Landschaften der Vereinigten Staaten östlich
vom Felsengebirge fast alle besucht und prüfenden Auges durchwandert hat, den
der Wunsch beseelt, wahrheitstreuen Bericht zu geben, und dessen Schilderungen
uns in angenehmer Plandersvrache ohne alle Länge und doch ernst belehre,', indem
sie uns zugleich unterhalten. Wir halten das Buch für geeignet, ein im ganzen
richtiges Bild der Bereinigten Staaten diesseits des Mississippi zu geben, und
wünschen, daß es aufmerksame Leser finden möge.
Von vornherein hat es uns für den Verfasser eingenommen, daß er offenbar
den aufrichtigsten Wunsch hegt, die Wahrheit zu finden und zu sagen. Wir wissen
aus Erfahrung, daß das nicht leicht ist, um so weniger leicht, als soviele von
unsern eignen Landsleuten drüben vor dem Amcrikanertmn ans dem Bauche liegen.
Das erbittert und mischt leicht das Grelle des Widerspruchs in die Farben unsrer
Schilderung. Es ist überhaupt schwer, einer so jugendlichen Erscheinung gegenüber,
wie es Nordamerika in Beziehung auf seine Kultur und in politischer Beziehung
i>t, den richtigen Weg in Anerkennung und Tadel zu finden. Unserm Verfasser
ist das größtenteils gelungen. Er hat geographische Studien gemacht und verliert
nicht das Große des Landes über den Einzelheiten ans dem Ange. Es ist ganz
gut, daß er uns öfter auf die in der Natur, sogar in geologischer Tiefe der neuen
Welt liegenden Schranken ihrer Entwicklung aufmerksam macht, denn auch in Europa
lassen wir uus allzu leicht von dem Großen bestechen, das ja nicht alles positiv
ist, und dem Jugendlichen, das ja nicht alles hoffnungsvoll ist. Wir vergessen
den ungeheuern Vorzug unsrer alten Geschichte, unsrer ehrwürdigen Umgebungen,
die uns Wie Kinder einer altangeseßnen Familie, die in großen geschichtlichen,
erinnerungsreichen Räumen aufwachsen, neben die des reichen, aber unbehaglich in
all seinem Neuen, Unehrwürdigeu, der Vergessenheit bestimmten Emporkömmlings
stellen.
Was uns weniger an dein Buche gefällt, ist der Mangel an Sicherheit und
Bestimmtheit. Wir meinen, der Mann, der es geschrieben hat, könnte nicht weit
von der mittlern Elbe oder Oder zu Hause sein. Seine vorsichtigen Urteile über
Dinge, in die ein andrer ein Donnerwetter hineinschlagen ließe, erinnern an die
bekannten Anekdoten von dem komisch-höflichen Obersachsen. Herr Deckert ist gerade
kein Bliemchen, aber er hat ein bischen von dessen Manier, was uns von dem
sonst vortrefflichen Mann aufrichtig leid thut. Es giebt so manches, was klar und
scharf zu verurteilen wäre. Ihm erscheint die Zukunft gewisser Dinge, die man
>n deu Boden verwünschen möchte, nur als „vielleicht zweifelhaft." Die Sprache
der amerikanischen Zeitungen ist manchmal ein „wenig kräftig." An den Niagara-
sällen, wo ihn, wie schon manchen vorher, die unverschämten Kutscher und Haus¬
knechte ärgern, schreibt er folgenden Satz nieder: „Land der Freiheit! seufzen
wir und lassen das Unvermeidliche über uns ergehn, wenn auch uicht, ohne
dann und wann eine kleine Portion göttlicher Grobheit auf die Zudringlichen
regnen zu lassen." Sehr gut: kleine Portion, göttlich, regnen lassen, Seufzer,
leider paßt nur dazu Grobheit nicht; wir glauben gar nicht, daß Herr Deckert
grob sein kann, und daß er das nicht sein kann, ist hier uicht bloß menschlich,
sondern auch stilistisch ein großer, ja fast ein grober Fehler. Die Erscheinungen
des amerikanischen Landes und Lebens sind selbst zu groß und zu massiv, als das
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