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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts

die besten, zum Teil wilde Abenteurer und Spitzbuben, den neuen Erdteil mit
ihrer Naubwirtschaft ausbeuten, seine Wälder verwüsten, seine Ströme ver¬
sanden lassen, seine Viehherden vernichten und dann, wenn es dort für seine
überschüssigen Arbcitserzeugnisse Absatz und für seiue überzähligen Kinder Boden
begehrt, es sich gefallen lassen, daß ihm die Thür vor der Nase zugeschlagen
wird?


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Wir wenden uns nun zu Italien. "Zweimal während der letzten Jahr¬
hunderte, sagt Werner Sombart in der einleitenden Vorgeschichte der neuern
Handelspolitik Italiens, hat dieses Land, auch darin den deutschen Landen
ähnelnd, geduldig anschauen müssen, wie große Umwandlungen im wirtschaft¬
lichen Leben, technische und ökonomische Errungenschaften, deren Ausbeutung
ihm vor allem auch gebührt hätte, von andern mächtigern Nationen allein zu
ihrem Vorteile ausgenutzt wurden, weil diese ein gnädigeres Geschick befähigt
hatte, durch nationale Einigung gewonnene politische Macht in die Wagschnle
zu werfen, dieweil die italienischen Stämme, vom Ehrgeiz der Fremden auf¬
gereizt, in fruchtlosen Fehden ihre beste Kraft vergeuden sollten." Diesem
Satze scheinen zwei falsche Vorstellungen zu Grunde zu liegen. Mit der einen,
daß die Vorsehung gegen die Engländer gnädiger gewesen sei als gegen die
Italiener, wollen wir uns später beschäftigen. Die andre besteht darin, daß
ein Zustand als möglich vorausgesetzt wird, wo alle Nationen Europas gleich
stark, gleich klug, gleich mächtig und in demselben Grade reich wären, und
zwar reich nicht durch die Ausbeutung des eignen Landes, sondern fremder
Länder. Diese Voraussetzung ist offenbar falsch. Wären Frankreich und
Spanien so klug und seetüchtig wie England, Deutschland und Italien so geeint
und nach außen mächtig wie England, alle vier Länder so industriell wie
England gewesen, dann hätte nicht nnr England nicht werden können, was es
geworden ist, sondern die fünf Nationen würden sich in einem mit materiellen
Waffen geführten wütenden Konkurrenzkampfe verblutet haben.

In Deutschland, heißt es weiter, "war es doch Preußen, das mit einem
leidlichen Besitze den Mindestanforderungen des modernen Verkehrs genügen
konnte. Italien dagegen war ganz und gar in Stücke aufgelöst; bei der eigen¬
tümlichen Struktur des Landes reichten die sieben selbständigen, auer geschich¬
teten Staaten durchaus hin, um jede Regung eines national-italienischen Wirt¬
schaftslebens zu unterbinden." Da hier das "nationale Wirtschaftsleben" als
ein unbedingt erstrebenswertes Gut erscheint, so wollen wir doch nicht ganz
unterlassen, auf seine Schattenseite hinzuweisen. Diese besteht darin, daß in
Deutschland z. B. eine sogenannte blühende Industrie, die eine winzige Anzahl
von Unternehmern bereichert, wie die Zuckerfabrikation, die ländliche Arbeiter-
bevölkerung von einem ganzen Drittel des deutschen Reichs mvbilisiren und
von der heimischen Scholle wegreißen kann, daß ein und derselbe Börsen-


Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts

die besten, zum Teil wilde Abenteurer und Spitzbuben, den neuen Erdteil mit
ihrer Naubwirtschaft ausbeuten, seine Wälder verwüsten, seine Ströme ver¬
sanden lassen, seine Viehherden vernichten und dann, wenn es dort für seine
überschüssigen Arbcitserzeugnisse Absatz und für seiue überzähligen Kinder Boden
begehrt, es sich gefallen lassen, daß ihm die Thür vor der Nase zugeschlagen
wird?


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Wir wenden uns nun zu Italien. „Zweimal während der letzten Jahr¬
hunderte, sagt Werner Sombart in der einleitenden Vorgeschichte der neuern
Handelspolitik Italiens, hat dieses Land, auch darin den deutschen Landen
ähnelnd, geduldig anschauen müssen, wie große Umwandlungen im wirtschaft¬
lichen Leben, technische und ökonomische Errungenschaften, deren Ausbeutung
ihm vor allem auch gebührt hätte, von andern mächtigern Nationen allein zu
ihrem Vorteile ausgenutzt wurden, weil diese ein gnädigeres Geschick befähigt
hatte, durch nationale Einigung gewonnene politische Macht in die Wagschnle
zu werfen, dieweil die italienischen Stämme, vom Ehrgeiz der Fremden auf¬
gereizt, in fruchtlosen Fehden ihre beste Kraft vergeuden sollten." Diesem
Satze scheinen zwei falsche Vorstellungen zu Grunde zu liegen. Mit der einen,
daß die Vorsehung gegen die Engländer gnädiger gewesen sei als gegen die
Italiener, wollen wir uns später beschäftigen. Die andre besteht darin, daß
ein Zustand als möglich vorausgesetzt wird, wo alle Nationen Europas gleich
stark, gleich klug, gleich mächtig und in demselben Grade reich wären, und
zwar reich nicht durch die Ausbeutung des eignen Landes, sondern fremder
Länder. Diese Voraussetzung ist offenbar falsch. Wären Frankreich und
Spanien so klug und seetüchtig wie England, Deutschland und Italien so geeint
und nach außen mächtig wie England, alle vier Länder so industriell wie
England gewesen, dann hätte nicht nnr England nicht werden können, was es
geworden ist, sondern die fünf Nationen würden sich in einem mit materiellen
Waffen geführten wütenden Konkurrenzkampfe verblutet haben.

In Deutschland, heißt es weiter, „war es doch Preußen, das mit einem
leidlichen Besitze den Mindestanforderungen des modernen Verkehrs genügen
konnte. Italien dagegen war ganz und gar in Stücke aufgelöst; bei der eigen¬
tümlichen Struktur des Landes reichten die sieben selbständigen, auer geschich¬
teten Staaten durchaus hin, um jede Regung eines national-italienischen Wirt¬
schaftslebens zu unterbinden." Da hier das „nationale Wirtschaftsleben" als
ein unbedingt erstrebenswertes Gut erscheint, so wollen wir doch nicht ganz
unterlassen, auf seine Schattenseite hinzuweisen. Diese besteht darin, daß in
Deutschland z. B. eine sogenannte blühende Industrie, die eine winzige Anzahl
von Unternehmern bereichert, wie die Zuckerfabrikation, die ländliche Arbeiter-
bevölkerung von einem ganzen Drittel des deutschen Reichs mvbilisiren und
von der heimischen Scholle wegreißen kann, daß ein und derselbe Börsen-


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[0359] Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts die besten, zum Teil wilde Abenteurer und Spitzbuben, den neuen Erdteil mit ihrer Naubwirtschaft ausbeuten, seine Wälder verwüsten, seine Ströme ver¬ sanden lassen, seine Viehherden vernichten und dann, wenn es dort für seine überschüssigen Arbcitserzeugnisse Absatz und für seiue überzähligen Kinder Boden begehrt, es sich gefallen lassen, daß ihm die Thür vor der Nase zugeschlagen wird? 2 Wir wenden uns nun zu Italien. „Zweimal während der letzten Jahr¬ hunderte, sagt Werner Sombart in der einleitenden Vorgeschichte der neuern Handelspolitik Italiens, hat dieses Land, auch darin den deutschen Landen ähnelnd, geduldig anschauen müssen, wie große Umwandlungen im wirtschaft¬ lichen Leben, technische und ökonomische Errungenschaften, deren Ausbeutung ihm vor allem auch gebührt hätte, von andern mächtigern Nationen allein zu ihrem Vorteile ausgenutzt wurden, weil diese ein gnädigeres Geschick befähigt hatte, durch nationale Einigung gewonnene politische Macht in die Wagschnle zu werfen, dieweil die italienischen Stämme, vom Ehrgeiz der Fremden auf¬ gereizt, in fruchtlosen Fehden ihre beste Kraft vergeuden sollten." Diesem Satze scheinen zwei falsche Vorstellungen zu Grunde zu liegen. Mit der einen, daß die Vorsehung gegen die Engländer gnädiger gewesen sei als gegen die Italiener, wollen wir uns später beschäftigen. Die andre besteht darin, daß ein Zustand als möglich vorausgesetzt wird, wo alle Nationen Europas gleich stark, gleich klug, gleich mächtig und in demselben Grade reich wären, und zwar reich nicht durch die Ausbeutung des eignen Landes, sondern fremder Länder. Diese Voraussetzung ist offenbar falsch. Wären Frankreich und Spanien so klug und seetüchtig wie England, Deutschland und Italien so geeint und nach außen mächtig wie England, alle vier Länder so industriell wie England gewesen, dann hätte nicht nnr England nicht werden können, was es geworden ist, sondern die fünf Nationen würden sich in einem mit materiellen Waffen geführten wütenden Konkurrenzkampfe verblutet haben. In Deutschland, heißt es weiter, „war es doch Preußen, das mit einem leidlichen Besitze den Mindestanforderungen des modernen Verkehrs genügen konnte. Italien dagegen war ganz und gar in Stücke aufgelöst; bei der eigen¬ tümlichen Struktur des Landes reichten die sieben selbständigen, auer geschich¬ teten Staaten durchaus hin, um jede Regung eines national-italienischen Wirt¬ schaftslebens zu unterbinden." Da hier das „nationale Wirtschaftsleben" als ein unbedingt erstrebenswertes Gut erscheint, so wollen wir doch nicht ganz unterlassen, auf seine Schattenseite hinzuweisen. Diese besteht darin, daß in Deutschland z. B. eine sogenannte blühende Industrie, die eine winzige Anzahl von Unternehmern bereichert, wie die Zuckerfabrikation, die ländliche Arbeiter- bevölkerung von einem ganzen Drittel des deutschen Reichs mvbilisiren und von der heimischen Scholle wegreißen kann, daß ein und derselbe Börsen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/359>, abgerufen am 05.01.2025.