Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts Schwindler alle Schafe eines großen Reichs scheren kann, daß jeder Privat¬ Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts Schwindler alle Schafe eines großen Reichs scheren kann, daß jeder Privat¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0360" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212836"/> <fw type="header" place="top"> Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts</fw><lb/> <p xml:id="ID_1209" prev="#ID_1208" next="#ID_1210"> Schwindler alle Schafe eines großen Reichs scheren kann, daß jeder Privat¬<lb/> mensch in jedem verborgnen Winkel von den Stößen unmittelbar getroffen<lb/> wird, die der Weltverkehr von den großen Weltveränderungen erleidet. Damit<lb/> wollen wir natürlich den Zustand Italiens vor 1859 weder gelobt noch<lb/> empfohlen haben, wo, wie Sombart anführt, die .Kaufmannswaren zwischen<lb/> Florenz und Mailand acht, zwischen Bologna und Lucca sieben Zollstätten zu<lb/> Vassiren hatten. Die Wegräumung aller Verkehrshindernisse im Jnnern des<lb/> Landes wird ohne Zweifel von allen Italienern, die den alten Zustand noch<lb/> gekannt haben, als eine große Wohlthat empfunden. Was das Verhältnis<lb/> zum Auslande anlangt, so hat Cavvnr seine piemvntesische Politik auch in<lb/> dieser Beziehung auf das geeinte Italien übertragen; sein Programm: ge¬<lb/> mäßigter Freihandel und Anschluß an Frankreich, ist die Grundlage der italie¬<lb/> nische« Handelspolitik bis aus Ende der siebziger Jahre geblieben; der Handels¬<lb/> vertrag mit Frankreich wurde am 17. Januar 1863 abgeschlossen. Svmbnrt<lb/> glaubt nicht, daß diese Politik dem Lande zum Heile gewesen sei. Die Beweg¬<lb/> gründe zu ihrer Annahme seien nicht den Bedürfnissen der italienischen Volks¬<lb/> wirtschaft entsprungen, sondern von außen geholt worden: aus der Politik und<lb/> aus dem doktrinären Liberalismus; was dem piemontesischen Staate nützlich<lb/> gewesen war, mußte, meint Sombart, darum uoch uicht für das Königreich<lb/> Italien tätigen. Ebenso wenig ging dann später die Abkehr vom Freihandel<lb/> aus der Natur der Sache hervor; die schlechten Finanzen waren es, die zur<lb/> Schwenkung zwangen. Der Staat brauchte Geld, und die ausländischen Waren,<lb/> mit denen seit der Wcgrüumung der Zollschranken das Land überschwemmt<lb/> wurde, und an die sich die Bevölkerung gewöhnt hatte, boten sich als viel ver¬<lb/> sprechende Einnahmequelle dar. Im Jahre 1875 ward der Handelsvertrag<lb/> mit Frankreich gekündigt und 1878 ein neuer, vorzugsweise für die Bedürf¬<lb/> nisse des Fiskus zugeschnittner Tarif eingeführt. Der nun beginnende Tarif¬<lb/> krieg mit Frankreich führte uoch einmal zu einem kurzen Frieden, der durch<lb/> den Handelsvertrag von 1881 abgeschlossen wurde. Mittlerweile aber war<lb/> neben dem fiskalischen Interesse auch das volkswirtschaftliche wach geworden,<lb/> und die schnell erstarkte schutzzöllnerische Strömung fand in dem Gesetz vom<lb/> 6. Jltli 1883 ihren Ausdruck, das eine Untersuchung der Lage der Landwirt¬<lb/> schaft und der Gewerbe anordnete und die Regierung verpflichtete, spätestens<lb/> am 1. Januar 1887 einen neuen Tcirifentwurf vorzulegen. Die Gutachten<lb/> der beide» Enquetekommissiouen täuschten die auf sie gesetzten Erwartungen.<lb/> Die agrarische sprach sich mit dürren Worten gegen den Zvllschutz aus; daß<lb/> unter den Gründen der Ablehnung die Volksernährung keine Rolle spielte,<lb/> finden wir ganz natürlich, da ja die moderne Politik nur Finanzen, Land¬<lb/> wirtschaft, Industrie und andre Abstrakt« kennt, nicht aber das Volk und die<lb/> lebendigen Menschen, aus denen es besteht. Die Judustrietommissivu gestand<lb/> zwar die Zulässigkeit des Zollschutzes grundsätzlich zu, riet aber zur größten</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0360]
Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts
Schwindler alle Schafe eines großen Reichs scheren kann, daß jeder Privat¬
mensch in jedem verborgnen Winkel von den Stößen unmittelbar getroffen
wird, die der Weltverkehr von den großen Weltveränderungen erleidet. Damit
wollen wir natürlich den Zustand Italiens vor 1859 weder gelobt noch
empfohlen haben, wo, wie Sombart anführt, die .Kaufmannswaren zwischen
Florenz und Mailand acht, zwischen Bologna und Lucca sieben Zollstätten zu
Vassiren hatten. Die Wegräumung aller Verkehrshindernisse im Jnnern des
Landes wird ohne Zweifel von allen Italienern, die den alten Zustand noch
gekannt haben, als eine große Wohlthat empfunden. Was das Verhältnis
zum Auslande anlangt, so hat Cavvnr seine piemvntesische Politik auch in
dieser Beziehung auf das geeinte Italien übertragen; sein Programm: ge¬
mäßigter Freihandel und Anschluß an Frankreich, ist die Grundlage der italie¬
nische« Handelspolitik bis aus Ende der siebziger Jahre geblieben; der Handels¬
vertrag mit Frankreich wurde am 17. Januar 1863 abgeschlossen. Svmbnrt
glaubt nicht, daß diese Politik dem Lande zum Heile gewesen sei. Die Beweg¬
gründe zu ihrer Annahme seien nicht den Bedürfnissen der italienischen Volks¬
wirtschaft entsprungen, sondern von außen geholt worden: aus der Politik und
aus dem doktrinären Liberalismus; was dem piemontesischen Staate nützlich
gewesen war, mußte, meint Sombart, darum uoch uicht für das Königreich
Italien tätigen. Ebenso wenig ging dann später die Abkehr vom Freihandel
aus der Natur der Sache hervor; die schlechten Finanzen waren es, die zur
Schwenkung zwangen. Der Staat brauchte Geld, und die ausländischen Waren,
mit denen seit der Wcgrüumung der Zollschranken das Land überschwemmt
wurde, und an die sich die Bevölkerung gewöhnt hatte, boten sich als viel ver¬
sprechende Einnahmequelle dar. Im Jahre 1875 ward der Handelsvertrag
mit Frankreich gekündigt und 1878 ein neuer, vorzugsweise für die Bedürf¬
nisse des Fiskus zugeschnittner Tarif eingeführt. Der nun beginnende Tarif¬
krieg mit Frankreich führte uoch einmal zu einem kurzen Frieden, der durch
den Handelsvertrag von 1881 abgeschlossen wurde. Mittlerweile aber war
neben dem fiskalischen Interesse auch das volkswirtschaftliche wach geworden,
und die schnell erstarkte schutzzöllnerische Strömung fand in dem Gesetz vom
6. Jltli 1883 ihren Ausdruck, das eine Untersuchung der Lage der Landwirt¬
schaft und der Gewerbe anordnete und die Regierung verpflichtete, spätestens
am 1. Januar 1887 einen neuen Tcirifentwurf vorzulegen. Die Gutachten
der beide» Enquetekommissiouen täuschten die auf sie gesetzten Erwartungen.
Die agrarische sprach sich mit dürren Worten gegen den Zvllschutz aus; daß
unter den Gründen der Ablehnung die Volksernährung keine Rolle spielte,
finden wir ganz natürlich, da ja die moderne Politik nur Finanzen, Land¬
wirtschaft, Industrie und andre Abstrakt« kennt, nicht aber das Volk und die
lebendigen Menschen, aus denen es besteht. Die Judustrietommissivu gestand
zwar die Zulässigkeit des Zollschutzes grundsätzlich zu, riet aber zur größten
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