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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Meine erste Gesellschaft

durch dieses entkam er ins Freie und gewann, ehe die Preußen ihm zu folgen
vermochten, das andre Flußufer, wo er gerade zurecht kam, um an einem
erneuten Angriff seines Regiments teil zu nehmen. Mich wollten die Preußen
nun erstechen, aber ich schrie, man sollte mir doch das Leben lassen, ich wäre
ja nur ein Schneider; so gottserbärmiglich schrie ichs, daß sogar die Preußen
lachen mußten und mir das Leben schenkten.

Von dem letzten Vorgänge konnte der Hannpeter eigentlich nichts mehr
gehört haben; aber er erzählte ihn doch. Gleich dem Dichter wußte er auch
solche Einzelheiten seiner Geschichte, die er der Natur der Sache nach gar
nicht wissen durfte.

Wie ich die Sache hier dargestellt habe, begreift vielleicht niemand, daß
einer damit Glauben finden konnte; aber wie sie der Hannpeter erzählte und
dramatisch dazu agirte, glaubte ihm jeder aufs Wort. Der Hannpeter war
ein großer Erzähler, und er war ein großer Sprachvirtuos. Er beherrschte
seine Sprache, das heißt seine Mundart aufs vollkommenste und verdarb sie
nicht durch fremde, schriftdeutsche Wendungen. Auch verfügte er über den
ganzen Wvrtreichtum der Mundart und wußte davon einen hohen Begriff zu
geben; am meisten aber liebte er, wie ein großer Schriftsteller, Wörter, die
nicht jeder im Munde führte, die ihm deshalb sozusagen allein gehörten,
und er bevorzugte diese um so mehr, je unähnlicher sie dem Schriftdeutsch,
je ungeschlachter, je nackter in gewissem Sinne und zugleich je ungewcischner
sie waren. Er brachte solche Wörter auf eine Art hervor, als ob er sie im
Augenblick erst selber gemacht habe, und das mag auch oft genug der Fall
gewesen sein. Ein solches Redetalent wurde in Hinterwinkel nicht unterschätzt,
besonders bei der Jugend; der Hannpeter hatte immer Zuhörer. Still und
einsilbig habe ich ihn nur einmal im Leben gesehen: in der Scheune zu Tauber-
bischvfsheim.

(Fortsetzung folgt)




Meine erste Gesellschaft

etzt müssen wir aber doch wohl endlich daran denken, die Leute
einmal wieder einzuladen, sagte ich eines Tages zu meinem
Manne. -- Wir waren seit drei Monaten verheiratet und lebten
in einer kleinen Stadt, wohin mein Mann versetzt worden war. --
Wohl am besten nur eine ganz kleine Gesellschaft, fuhr ich fort.
Aber da unterbrach mich Werner lebhaft. Um Gottes willen nicht! Wir wollen


Meine erste Gesellschaft

durch dieses entkam er ins Freie und gewann, ehe die Preußen ihm zu folgen
vermochten, das andre Flußufer, wo er gerade zurecht kam, um an einem
erneuten Angriff seines Regiments teil zu nehmen. Mich wollten die Preußen
nun erstechen, aber ich schrie, man sollte mir doch das Leben lassen, ich wäre
ja nur ein Schneider; so gottserbärmiglich schrie ichs, daß sogar die Preußen
lachen mußten und mir das Leben schenkten.

Von dem letzten Vorgänge konnte der Hannpeter eigentlich nichts mehr
gehört haben; aber er erzählte ihn doch. Gleich dem Dichter wußte er auch
solche Einzelheiten seiner Geschichte, die er der Natur der Sache nach gar
nicht wissen durfte.

Wie ich die Sache hier dargestellt habe, begreift vielleicht niemand, daß
einer damit Glauben finden konnte; aber wie sie der Hannpeter erzählte und
dramatisch dazu agirte, glaubte ihm jeder aufs Wort. Der Hannpeter war
ein großer Erzähler, und er war ein großer Sprachvirtuos. Er beherrschte
seine Sprache, das heißt seine Mundart aufs vollkommenste und verdarb sie
nicht durch fremde, schriftdeutsche Wendungen. Auch verfügte er über den
ganzen Wvrtreichtum der Mundart und wußte davon einen hohen Begriff zu
geben; am meisten aber liebte er, wie ein großer Schriftsteller, Wörter, die
nicht jeder im Munde führte, die ihm deshalb sozusagen allein gehörten,
und er bevorzugte diese um so mehr, je unähnlicher sie dem Schriftdeutsch,
je ungeschlachter, je nackter in gewissem Sinne und zugleich je ungewcischner
sie waren. Er brachte solche Wörter auf eine Art hervor, als ob er sie im
Augenblick erst selber gemacht habe, und das mag auch oft genug der Fall
gewesen sein. Ein solches Redetalent wurde in Hinterwinkel nicht unterschätzt,
besonders bei der Jugend; der Hannpeter hatte immer Zuhörer. Still und
einsilbig habe ich ihn nur einmal im Leben gesehen: in der Scheune zu Tauber-
bischvfsheim.

(Fortsetzung folgt)




Meine erste Gesellschaft

etzt müssen wir aber doch wohl endlich daran denken, die Leute
einmal wieder einzuladen, sagte ich eines Tages zu meinem
Manne. — Wir waren seit drei Monaten verheiratet und lebten
in einer kleinen Stadt, wohin mein Mann versetzt worden war. —
Wohl am besten nur eine ganz kleine Gesellschaft, fuhr ich fort.
Aber da unterbrach mich Werner lebhaft. Um Gottes willen nicht! Wir wollen


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[0326] Meine erste Gesellschaft durch dieses entkam er ins Freie und gewann, ehe die Preußen ihm zu folgen vermochten, das andre Flußufer, wo er gerade zurecht kam, um an einem erneuten Angriff seines Regiments teil zu nehmen. Mich wollten die Preußen nun erstechen, aber ich schrie, man sollte mir doch das Leben lassen, ich wäre ja nur ein Schneider; so gottserbärmiglich schrie ichs, daß sogar die Preußen lachen mußten und mir das Leben schenkten. Von dem letzten Vorgänge konnte der Hannpeter eigentlich nichts mehr gehört haben; aber er erzählte ihn doch. Gleich dem Dichter wußte er auch solche Einzelheiten seiner Geschichte, die er der Natur der Sache nach gar nicht wissen durfte. Wie ich die Sache hier dargestellt habe, begreift vielleicht niemand, daß einer damit Glauben finden konnte; aber wie sie der Hannpeter erzählte und dramatisch dazu agirte, glaubte ihm jeder aufs Wort. Der Hannpeter war ein großer Erzähler, und er war ein großer Sprachvirtuos. Er beherrschte seine Sprache, das heißt seine Mundart aufs vollkommenste und verdarb sie nicht durch fremde, schriftdeutsche Wendungen. Auch verfügte er über den ganzen Wvrtreichtum der Mundart und wußte davon einen hohen Begriff zu geben; am meisten aber liebte er, wie ein großer Schriftsteller, Wörter, die nicht jeder im Munde führte, die ihm deshalb sozusagen allein gehörten, und er bevorzugte diese um so mehr, je unähnlicher sie dem Schriftdeutsch, je ungeschlachter, je nackter in gewissem Sinne und zugleich je ungewcischner sie waren. Er brachte solche Wörter auf eine Art hervor, als ob er sie im Augenblick erst selber gemacht habe, und das mag auch oft genug der Fall gewesen sein. Ein solches Redetalent wurde in Hinterwinkel nicht unterschätzt, besonders bei der Jugend; der Hannpeter hatte immer Zuhörer. Still und einsilbig habe ich ihn nur einmal im Leben gesehen: in der Scheune zu Tauber- bischvfsheim. (Fortsetzung folgt) Meine erste Gesellschaft etzt müssen wir aber doch wohl endlich daran denken, die Leute einmal wieder einzuladen, sagte ich eines Tages zu meinem Manne. — Wir waren seit drei Monaten verheiratet und lebten in einer kleinen Stadt, wohin mein Mann versetzt worden war. — Wohl am besten nur eine ganz kleine Gesellschaft, fuhr ich fort. Aber da unterbrach mich Werner lebhaft. Um Gottes willen nicht! Wir wollen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/326>, abgerufen am 05.01.2025.