Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Weltgeschichte in Hinterwinkel

So endete mein erstes Kriegserlebnis. Mit phantastischen Knabenträumen
hatte es begonnen, blutige Wirklichkeit bildete seinen Schluß. Ich hatte auf
Befriedigung meiner Schaulust gehofft, und ein Tag des Schreckens war mir dar¬
aus geworden. In der Geschichte heißt er der Tag von Tauberbischvfsheim. --

Als ich nach Hause kam, wurde mir nicht der erbaulichste Empfang. Ich
mußte die bitterste,? Vorwürfe hören, und das nach so großen Erlebnissen!

Es konnte nicht fehlen, daß ich die mir wiederfahrende Behandlung als
Ungerechtigkeit empfand, trotz allem Schuldbewußtsein. Aber ich verzieh meinen
Eltern großmütig, weil ich mir sagte, daß sie ja nicht wissen könnten, wessen
ich mich alles rühmen durfte. Und mir wiederum wurde alle Schuld zuletzt
vergeben mit Rücksicht ans mein Zusammentreffen mit Licnhard Reichenbühler
und seinen von mir überbrachten letzten Brief. Lienhard war in der That
gefallen, und die Nachricht von seinem Tode blieb nicht lange aus. So bildete
mein Zusammensein mit dem Unglücklichen kurz vor seinem Ende den einzigen
Trost für die Eltern, besonders für die Mutter, der ich hundertmal alle
Einzelheiten unsrer Begegnung und unsers letzten Abschieds berichten mußte,
wobei ihr Weinen mich oft so ansteckte, daß ich nur mit thränenerstickter
Stimme weiter erzählen konnte.

Aber auch andre Leute wollten von mir Auskunft haben, die Angehörigen
der übrigen Soldaten vor allen, und man bewunderte mich um das, was ich
alles gescheit und gehört hatte. Man hatte mir gar nicht so viel zugetraut.
Aus einem bisher nur mit Spott und Mitleid betrachteten Jungen war ich
auf einmal eine angestaunte Persönlichkeit geworden. Mein Hcldenruf wurde
aber noch gesteigert, und zwar von einer Seite her, von der ich es am
wenigsten erwartet hätte, nämlich dnrch den Hannpeter.

Mit einer leichten Armverwnuduug, die er -- Gott mag wissen, wie und
wo -- erhalten hatte, war er entlassen worden und nach Hinterwinkel heim¬
gekehrt, wo er sogar längere Zeit eine kleine Pension genoß und nicht zu
arbeiten brauchte. Es blieb ihm also Zeit genug, seine Kriegsthaten zu er¬
zählen. In eine davon verslocht er mich meine Persönlichkeit auf eine Weise,
die mir im höchsten Grade schmeicheln mußte, ihm allerdings noch mehr.

Von zehn bis zwölf Preußen verfolgt und in eine Sackgasse geraten,
hatte er sich Wohl eine Viertelstunde laug gegen die ungeheure Übermacht mit
dem Bajonett verteidigt. Fünf von den Feinden waren bereits seinen Stichen
erlegen; aber dann ermüdete sein Arm, und er wäre verloren gewesen, wenn
sich nicht plötzlich ein kleines Pförtleiu, an einem großen Scheunenthor an¬
gebracht, wie von selbst geöffnet hätte, daß es schien, als ob sein Schutzengel
in Person gekommen wäre, ihn uns diese wunderbare Weise zu rette". Da
erkannte er meine ihm zurufende Stimme, denn ich wars gewesen, der Lexel;
niemand anders als ich hatte ihn vor schmählicher Gefangenschaft oder sicherm
Tode gerettet. Ich zeigte ihm an der Hinterwand der Scheune ein Loch;


Weltgeschichte in Hinterwinkel

So endete mein erstes Kriegserlebnis. Mit phantastischen Knabenträumen
hatte es begonnen, blutige Wirklichkeit bildete seinen Schluß. Ich hatte auf
Befriedigung meiner Schaulust gehofft, und ein Tag des Schreckens war mir dar¬
aus geworden. In der Geschichte heißt er der Tag von Tauberbischvfsheim. —

Als ich nach Hause kam, wurde mir nicht der erbaulichste Empfang. Ich
mußte die bitterste,? Vorwürfe hören, und das nach so großen Erlebnissen!

Es konnte nicht fehlen, daß ich die mir wiederfahrende Behandlung als
Ungerechtigkeit empfand, trotz allem Schuldbewußtsein. Aber ich verzieh meinen
Eltern großmütig, weil ich mir sagte, daß sie ja nicht wissen könnten, wessen
ich mich alles rühmen durfte. Und mir wiederum wurde alle Schuld zuletzt
vergeben mit Rücksicht ans mein Zusammentreffen mit Licnhard Reichenbühler
und seinen von mir überbrachten letzten Brief. Lienhard war in der That
gefallen, und die Nachricht von seinem Tode blieb nicht lange aus. So bildete
mein Zusammensein mit dem Unglücklichen kurz vor seinem Ende den einzigen
Trost für die Eltern, besonders für die Mutter, der ich hundertmal alle
Einzelheiten unsrer Begegnung und unsers letzten Abschieds berichten mußte,
wobei ihr Weinen mich oft so ansteckte, daß ich nur mit thränenerstickter
Stimme weiter erzählen konnte.

Aber auch andre Leute wollten von mir Auskunft haben, die Angehörigen
der übrigen Soldaten vor allen, und man bewunderte mich um das, was ich
alles gescheit und gehört hatte. Man hatte mir gar nicht so viel zugetraut.
Aus einem bisher nur mit Spott und Mitleid betrachteten Jungen war ich
auf einmal eine angestaunte Persönlichkeit geworden. Mein Hcldenruf wurde
aber noch gesteigert, und zwar von einer Seite her, von der ich es am
wenigsten erwartet hätte, nämlich dnrch den Hannpeter.

Mit einer leichten Armverwnuduug, die er — Gott mag wissen, wie und
wo — erhalten hatte, war er entlassen worden und nach Hinterwinkel heim¬
gekehrt, wo er sogar längere Zeit eine kleine Pension genoß und nicht zu
arbeiten brauchte. Es blieb ihm also Zeit genug, seine Kriegsthaten zu er¬
zählen. In eine davon verslocht er mich meine Persönlichkeit auf eine Weise,
die mir im höchsten Grade schmeicheln mußte, ihm allerdings noch mehr.

Von zehn bis zwölf Preußen verfolgt und in eine Sackgasse geraten,
hatte er sich Wohl eine Viertelstunde laug gegen die ungeheure Übermacht mit
dem Bajonett verteidigt. Fünf von den Feinden waren bereits seinen Stichen
erlegen; aber dann ermüdete sein Arm, und er wäre verloren gewesen, wenn
sich nicht plötzlich ein kleines Pförtleiu, an einem großen Scheunenthor an¬
gebracht, wie von selbst geöffnet hätte, daß es schien, als ob sein Schutzengel
in Person gekommen wäre, ihn uns diese wunderbare Weise zu rette». Da
erkannte er meine ihm zurufende Stimme, denn ich wars gewesen, der Lexel;
niemand anders als ich hatte ihn vor schmählicher Gefangenschaft oder sicherm
Tode gerettet. Ich zeigte ihm an der Hinterwand der Scheune ein Loch;


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0325" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212801"/>
          <fw type="header" place="top"> Weltgeschichte in Hinterwinkel</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1073"> So endete mein erstes Kriegserlebnis. Mit phantastischen Knabenträumen<lb/>
hatte es begonnen, blutige Wirklichkeit bildete seinen Schluß. Ich hatte auf<lb/>
Befriedigung meiner Schaulust gehofft, und ein Tag des Schreckens war mir dar¬<lb/>
aus geworden. In der Geschichte heißt er der Tag von Tauberbischvfsheim. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1074"> Als ich nach Hause kam, wurde mir nicht der erbaulichste Empfang. Ich<lb/>
mußte die bitterste,? Vorwürfe hören, und das nach so großen Erlebnissen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1075"> Es konnte nicht fehlen, daß ich die mir wiederfahrende Behandlung als<lb/>
Ungerechtigkeit empfand, trotz allem Schuldbewußtsein. Aber ich verzieh meinen<lb/>
Eltern großmütig, weil ich mir sagte, daß sie ja nicht wissen könnten, wessen<lb/>
ich mich alles rühmen durfte. Und mir wiederum wurde alle Schuld zuletzt<lb/>
vergeben mit Rücksicht ans mein Zusammentreffen mit Licnhard Reichenbühler<lb/>
und seinen von mir überbrachten letzten Brief. Lienhard war in der That<lb/>
gefallen, und die Nachricht von seinem Tode blieb nicht lange aus. So bildete<lb/>
mein Zusammensein mit dem Unglücklichen kurz vor seinem Ende den einzigen<lb/>
Trost für die Eltern, besonders für die Mutter, der ich hundertmal alle<lb/>
Einzelheiten unsrer Begegnung und unsers letzten Abschieds berichten mußte,<lb/>
wobei ihr Weinen mich oft so ansteckte, daß ich nur mit thränenerstickter<lb/>
Stimme weiter erzählen konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1076"> Aber auch andre Leute wollten von mir Auskunft haben, die Angehörigen<lb/>
der übrigen Soldaten vor allen, und man bewunderte mich um das, was ich<lb/>
alles gescheit und gehört hatte. Man hatte mir gar nicht so viel zugetraut.<lb/>
Aus einem bisher nur mit Spott und Mitleid betrachteten Jungen war ich<lb/>
auf einmal eine angestaunte Persönlichkeit geworden. Mein Hcldenruf wurde<lb/>
aber noch gesteigert, und zwar von einer Seite her, von der ich es am<lb/>
wenigsten erwartet hätte, nämlich dnrch den Hannpeter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1077"> Mit einer leichten Armverwnuduug, die er &#x2014; Gott mag wissen, wie und<lb/>
wo &#x2014; erhalten hatte, war er entlassen worden und nach Hinterwinkel heim¬<lb/>
gekehrt, wo er sogar längere Zeit eine kleine Pension genoß und nicht zu<lb/>
arbeiten brauchte. Es blieb ihm also Zeit genug, seine Kriegsthaten zu er¬<lb/>
zählen. In eine davon verslocht er mich meine Persönlichkeit auf eine Weise,<lb/>
die mir im höchsten Grade schmeicheln mußte, ihm allerdings noch mehr.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1078" next="#ID_1079"> Von zehn bis zwölf Preußen verfolgt und in eine Sackgasse geraten,<lb/>
hatte er sich Wohl eine Viertelstunde laug gegen die ungeheure Übermacht mit<lb/>
dem Bajonett verteidigt. Fünf von den Feinden waren bereits seinen Stichen<lb/>
erlegen; aber dann ermüdete sein Arm, und er wäre verloren gewesen, wenn<lb/>
sich nicht plötzlich ein kleines Pförtleiu, an einem großen Scheunenthor an¬<lb/>
gebracht, wie von selbst geöffnet hätte, daß es schien, als ob sein Schutzengel<lb/>
in Person gekommen wäre, ihn uns diese wunderbare Weise zu rette». Da<lb/>
erkannte er meine ihm zurufende Stimme, denn ich wars gewesen, der Lexel;<lb/>
niemand anders als ich hatte ihn vor schmählicher Gefangenschaft oder sicherm<lb/>
Tode gerettet.  Ich zeigte ihm an der Hinterwand der Scheune ein Loch;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0325] Weltgeschichte in Hinterwinkel So endete mein erstes Kriegserlebnis. Mit phantastischen Knabenträumen hatte es begonnen, blutige Wirklichkeit bildete seinen Schluß. Ich hatte auf Befriedigung meiner Schaulust gehofft, und ein Tag des Schreckens war mir dar¬ aus geworden. In der Geschichte heißt er der Tag von Tauberbischvfsheim. — Als ich nach Hause kam, wurde mir nicht der erbaulichste Empfang. Ich mußte die bitterste,? Vorwürfe hören, und das nach so großen Erlebnissen! Es konnte nicht fehlen, daß ich die mir wiederfahrende Behandlung als Ungerechtigkeit empfand, trotz allem Schuldbewußtsein. Aber ich verzieh meinen Eltern großmütig, weil ich mir sagte, daß sie ja nicht wissen könnten, wessen ich mich alles rühmen durfte. Und mir wiederum wurde alle Schuld zuletzt vergeben mit Rücksicht ans mein Zusammentreffen mit Licnhard Reichenbühler und seinen von mir überbrachten letzten Brief. Lienhard war in der That gefallen, und die Nachricht von seinem Tode blieb nicht lange aus. So bildete mein Zusammensein mit dem Unglücklichen kurz vor seinem Ende den einzigen Trost für die Eltern, besonders für die Mutter, der ich hundertmal alle Einzelheiten unsrer Begegnung und unsers letzten Abschieds berichten mußte, wobei ihr Weinen mich oft so ansteckte, daß ich nur mit thränenerstickter Stimme weiter erzählen konnte. Aber auch andre Leute wollten von mir Auskunft haben, die Angehörigen der übrigen Soldaten vor allen, und man bewunderte mich um das, was ich alles gescheit und gehört hatte. Man hatte mir gar nicht so viel zugetraut. Aus einem bisher nur mit Spott und Mitleid betrachteten Jungen war ich auf einmal eine angestaunte Persönlichkeit geworden. Mein Hcldenruf wurde aber noch gesteigert, und zwar von einer Seite her, von der ich es am wenigsten erwartet hätte, nämlich dnrch den Hannpeter. Mit einer leichten Armverwnuduug, die er — Gott mag wissen, wie und wo — erhalten hatte, war er entlassen worden und nach Hinterwinkel heim¬ gekehrt, wo er sogar längere Zeit eine kleine Pension genoß und nicht zu arbeiten brauchte. Es blieb ihm also Zeit genug, seine Kriegsthaten zu er¬ zählen. In eine davon verslocht er mich meine Persönlichkeit auf eine Weise, die mir im höchsten Grade schmeicheln mußte, ihm allerdings noch mehr. Von zehn bis zwölf Preußen verfolgt und in eine Sackgasse geraten, hatte er sich Wohl eine Viertelstunde laug gegen die ungeheure Übermacht mit dem Bajonett verteidigt. Fünf von den Feinden waren bereits seinen Stichen erlegen; aber dann ermüdete sein Arm, und er wäre verloren gewesen, wenn sich nicht plötzlich ein kleines Pförtleiu, an einem großen Scheunenthor an¬ gebracht, wie von selbst geöffnet hätte, daß es schien, als ob sein Schutzengel in Person gekommen wäre, ihn uns diese wunderbare Weise zu rette». Da erkannte er meine ihm zurufende Stimme, denn ich wars gewesen, der Lexel; niemand anders als ich hatte ihn vor schmählicher Gefangenschaft oder sicherm Tode gerettet. Ich zeigte ihm an der Hinterwand der Scheune ein Loch;

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/325
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/325>, abgerufen am 06.01.2025.