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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Weltgeschichte in Hinterwinkel

anliegende Taillenjackets mit Schnüren, Fa<)vn ig. Schillsches Freikorps"
und dergleichen, aber nein -- es ist Fraihait nngorisches, was hier verherr¬
licht wird. Es sind die Kämpfer, die mit der Kraft ihrer Lungen Radetzkys
Bataillone niedergedonnert haben, die Helden, die Nikolaus Zorn wie eine
Portion Liptauer verdaut und die Nerven eines österreichischen Erzherzogs bis
zur Gegenkröuung angegriffen haben: die Männer von 48, Kossuth, Deal
Ferenz und Genossen, Leute mit unglaublich langen Fortschrittsbeinen, Westen,
geschwellt von politischem Bewußtsein und so lang wie eine Verfassnugsrede.
Sie sehen aus, als schritten sie über den grünweißroten Erdball, "Globus
nngorisches," und hielten Reden in einer unendlich vielsilbigen Sprache, "un-
gorische Sproch," und gäben allen Völkern die Freiheit, sie anzuhören.

Für jetzt freilich liegt Nebel über dem ungarischen Globus, und Sklaven¬
sinn beherrscht "nach Schiller" die Erde. Aus diesem kann man nicht gut
heraus, oder "du müßtest die Welt räumen." Aber aus dem Nebel kann
man heraus. Ich will mich überzeugen, ob es wirklich in der ganzen Welt
regnet! Fast hat es den Anschein, ebenso wie man offenbar in der ganzen
Welt die "Ava-Ilörig, rv.8tie!eng, spielt. Janos! die Pferde aus dem Schlägel
Zum Zuge nach Pvprad, Richtung Oderberg! Nichts für ungut, lieber Leser,
daß ich mir meine Langeweile ans deine Kosten vertrieben habe. Pannonischer
Nebel! Lerne ihn nie kennen, oder du lernst begreifen und machst es nach.
Man kann litterarisch noch so charakterfest sein -- niemand kennt sich selbst.




Weltgeschichte in Hinterwinkel
Aus den Denkwürdigkeiten eines ehemaligen Schneiderlehrlings
von Benno Rnttenauer Drittes Kapitel
von drei Helden auf einem Heuboden

es kletterte nun von meinem Wagen herunter und sah mir die
Umgebung etwas näher an, besonders die Soldaten. Die machten
einen sehr friedlichen Eindruck; sie schlenderten in ihren "Holz¬
mützen" behaglich die Straßen auf und ab und rauchten ihre
Pfeifen dabei. Einige sprachen von den Preußen, und wie mir
schien, nicht mit Hochachtung. Angst und Schrecken bemerkte ich nirgends,
alles schien heiter und wohlgemut, nur die Gesichter der Bürgersleute zeigten


Weltgeschichte in Hinterwinkel

anliegende Taillenjackets mit Schnüren, Fa<)vn ig. Schillsches Freikorps"
und dergleichen, aber nein — es ist Fraihait nngorisches, was hier verherr¬
licht wird. Es sind die Kämpfer, die mit der Kraft ihrer Lungen Radetzkys
Bataillone niedergedonnert haben, die Helden, die Nikolaus Zorn wie eine
Portion Liptauer verdaut und die Nerven eines österreichischen Erzherzogs bis
zur Gegenkröuung angegriffen haben: die Männer von 48, Kossuth, Deal
Ferenz und Genossen, Leute mit unglaublich langen Fortschrittsbeinen, Westen,
geschwellt von politischem Bewußtsein und so lang wie eine Verfassnugsrede.
Sie sehen aus, als schritten sie über den grünweißroten Erdball, „Globus
nngorisches," und hielten Reden in einer unendlich vielsilbigen Sprache, „un-
gorische Sproch," und gäben allen Völkern die Freiheit, sie anzuhören.

Für jetzt freilich liegt Nebel über dem ungarischen Globus, und Sklaven¬
sinn beherrscht „nach Schiller" die Erde. Aus diesem kann man nicht gut
heraus, oder „du müßtest die Welt räumen." Aber aus dem Nebel kann
man heraus. Ich will mich überzeugen, ob es wirklich in der ganzen Welt
regnet! Fast hat es den Anschein, ebenso wie man offenbar in der ganzen
Welt die «Ava-Ilörig, rv.8tie!eng, spielt. Janos! die Pferde aus dem Schlägel
Zum Zuge nach Pvprad, Richtung Oderberg! Nichts für ungut, lieber Leser,
daß ich mir meine Langeweile ans deine Kosten vertrieben habe. Pannonischer
Nebel! Lerne ihn nie kennen, oder du lernst begreifen und machst es nach.
Man kann litterarisch noch so charakterfest sein — niemand kennt sich selbst.




Weltgeschichte in Hinterwinkel
Aus den Denkwürdigkeiten eines ehemaligen Schneiderlehrlings
von Benno Rnttenauer Drittes Kapitel
von drei Helden auf einem Heuboden

es kletterte nun von meinem Wagen herunter und sah mir die
Umgebung etwas näher an, besonders die Soldaten. Die machten
einen sehr friedlichen Eindruck; sie schlenderten in ihren „Holz¬
mützen" behaglich die Straßen auf und ab und rauchten ihre
Pfeifen dabei. Einige sprachen von den Preußen, und wie mir
schien, nicht mit Hochachtung. Angst und Schrecken bemerkte ich nirgends,
alles schien heiter und wohlgemut, nur die Gesichter der Bürgersleute zeigten


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[0290] Weltgeschichte in Hinterwinkel anliegende Taillenjackets mit Schnüren, Fa<)vn ig. Schillsches Freikorps" und dergleichen, aber nein — es ist Fraihait nngorisches, was hier verherr¬ licht wird. Es sind die Kämpfer, die mit der Kraft ihrer Lungen Radetzkys Bataillone niedergedonnert haben, die Helden, die Nikolaus Zorn wie eine Portion Liptauer verdaut und die Nerven eines österreichischen Erzherzogs bis zur Gegenkröuung angegriffen haben: die Männer von 48, Kossuth, Deal Ferenz und Genossen, Leute mit unglaublich langen Fortschrittsbeinen, Westen, geschwellt von politischem Bewußtsein und so lang wie eine Verfassnugsrede. Sie sehen aus, als schritten sie über den grünweißroten Erdball, „Globus nngorisches," und hielten Reden in einer unendlich vielsilbigen Sprache, „un- gorische Sproch," und gäben allen Völkern die Freiheit, sie anzuhören. Für jetzt freilich liegt Nebel über dem ungarischen Globus, und Sklaven¬ sinn beherrscht „nach Schiller" die Erde. Aus diesem kann man nicht gut heraus, oder „du müßtest die Welt räumen." Aber aus dem Nebel kann man heraus. Ich will mich überzeugen, ob es wirklich in der ganzen Welt regnet! Fast hat es den Anschein, ebenso wie man offenbar in der ganzen Welt die «Ava-Ilörig, rv.8tie!eng, spielt. Janos! die Pferde aus dem Schlägel Zum Zuge nach Pvprad, Richtung Oderberg! Nichts für ungut, lieber Leser, daß ich mir meine Langeweile ans deine Kosten vertrieben habe. Pannonischer Nebel! Lerne ihn nie kennen, oder du lernst begreifen und machst es nach. Man kann litterarisch noch so charakterfest sein — niemand kennt sich selbst. Weltgeschichte in Hinterwinkel Aus den Denkwürdigkeiten eines ehemaligen Schneiderlehrlings von Benno Rnttenauer Drittes Kapitel von drei Helden auf einem Heuboden es kletterte nun von meinem Wagen herunter und sah mir die Umgebung etwas näher an, besonders die Soldaten. Die machten einen sehr friedlichen Eindruck; sie schlenderten in ihren „Holz¬ mützen" behaglich die Straßen auf und ab und rauchten ihre Pfeifen dabei. Einige sprachen von den Preußen, und wie mir schien, nicht mit Hochachtung. Angst und Schrecken bemerkte ich nirgends, alles schien heiter und wohlgemut, nur die Gesichter der Bürgersleute zeigten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/290>, abgerufen am 05.01.2025.