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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Bischof Walter

hinter sich hat wie der Arzt, wird auch gleiche Wertschätzung mit ihm bean¬
spruchen können, wenn auch der Kreis ihrer Wirksamkeit beschränkter sein
wird. Wer also für die Frauen die Berechtigung zum medizinischen Studium
fordert, muß ihnen auch zutrauen und zumuten, daß sie denselben Lehrgang
wie der Arzt durchmachen.

Übrigens sollte, scheint mir, den Studentinnen freistehen, nach Wunsch
das ganze Gebiet der Heilkunde zu erfassen oder sich auf dieses oder jenes
Svnderfach vorzubereiten und dementsprechend eine umfassende oder auch be¬
schränktere Prüfung zu bestehen. Ich möchte z. B. der Meinung sein, daß nur
ein bescheidner Teil der künftigen Ärztinnen sich der operativen Chirurgie zu¬
wenden werde, soweit sie nicht etwa bei Frauenkrankheiten erforderlich ist, daß
sie sich überhaupt so gut wie ausschließlich der Heilung von Frauen und
Kindern oder auch der Geburtshilfe widmen werden. Welche Anforderungen
der Staat überhaupt stellen soll, um einer Frau den Zutritt zum ärztlichen
Berufe zu gewähre", darüber zu entscheiden ist Sache der wissenschaftlichen
Autoritäten; jedenfalls scheint es mir, daß die Anforderungen vielleicht weniger
weitgreifend, aber keineswegs weniger tiefgehend sein dürfen. Man wird die
Anforderungen um so höher stellen dürfen, als überhaupt nur auserwühlte
Kräfte sich dem Studium zuwenden werden. Das medizinische Studium
fordert, abgesehn von der zeitraubenden Vorbereitung, eine Freiheit des Geistes,
eine Kraft des Willens, eine Beherrschung weiblicher Schwachheiten, die nur
einer kleinen Zahl von Auserwählten gegeben sein werden. Ich glaube, daß
sich der Frauenverein Reform irrt, wenn er einen großen Zudrang der
Frauen zu dem ärztlichen Beruf erwartet, sobald die Möglichkeit dazu geboten
ist. Aber es ist an der Zeit, daß Deutschland, dem Vorgänge andrer Nationen
folgend, dem Frauenstudium der Heilkunde eine Stätte bereite. Schon vor
zwanzig Jahren habe ich geschrieben: "Jede größere Stadt wird eines Tages
ihre Ärztin haben." Hoffentlich hat Deutschland nicht noch weitere zwanzig
Jahre auf die Erfüllung dieses Wortes zu warten.




Bischof Walter

aß sich die Wirklichkeit nicht nach unsern Begriffen von den
Dingen richtet, und daß insbesondre der wirkliche Staat und die
wirkliche Kirche immer bedeutend anders aussehen als unsre
Ideen von Staat und Kirche, wissen wir wohl schon längst;
allein wenn man ein so sonderbares Gebilde zu Gesicht bekommt,
wie die unter russischer Herrschaft lebenden evangelisch-lutherischen Adelsrepubliken


Bischof Walter

hinter sich hat wie der Arzt, wird auch gleiche Wertschätzung mit ihm bean¬
spruchen können, wenn auch der Kreis ihrer Wirksamkeit beschränkter sein
wird. Wer also für die Frauen die Berechtigung zum medizinischen Studium
fordert, muß ihnen auch zutrauen und zumuten, daß sie denselben Lehrgang
wie der Arzt durchmachen.

Übrigens sollte, scheint mir, den Studentinnen freistehen, nach Wunsch
das ganze Gebiet der Heilkunde zu erfassen oder sich auf dieses oder jenes
Svnderfach vorzubereiten und dementsprechend eine umfassende oder auch be¬
schränktere Prüfung zu bestehen. Ich möchte z. B. der Meinung sein, daß nur
ein bescheidner Teil der künftigen Ärztinnen sich der operativen Chirurgie zu¬
wenden werde, soweit sie nicht etwa bei Frauenkrankheiten erforderlich ist, daß
sie sich überhaupt so gut wie ausschließlich der Heilung von Frauen und
Kindern oder auch der Geburtshilfe widmen werden. Welche Anforderungen
der Staat überhaupt stellen soll, um einer Frau den Zutritt zum ärztlichen
Berufe zu gewähre», darüber zu entscheiden ist Sache der wissenschaftlichen
Autoritäten; jedenfalls scheint es mir, daß die Anforderungen vielleicht weniger
weitgreifend, aber keineswegs weniger tiefgehend sein dürfen. Man wird die
Anforderungen um so höher stellen dürfen, als überhaupt nur auserwühlte
Kräfte sich dem Studium zuwenden werden. Das medizinische Studium
fordert, abgesehn von der zeitraubenden Vorbereitung, eine Freiheit des Geistes,
eine Kraft des Willens, eine Beherrschung weiblicher Schwachheiten, die nur
einer kleinen Zahl von Auserwählten gegeben sein werden. Ich glaube, daß
sich der Frauenverein Reform irrt, wenn er einen großen Zudrang der
Frauen zu dem ärztlichen Beruf erwartet, sobald die Möglichkeit dazu geboten
ist. Aber es ist an der Zeit, daß Deutschland, dem Vorgänge andrer Nationen
folgend, dem Frauenstudium der Heilkunde eine Stätte bereite. Schon vor
zwanzig Jahren habe ich geschrieben: „Jede größere Stadt wird eines Tages
ihre Ärztin haben." Hoffentlich hat Deutschland nicht noch weitere zwanzig
Jahre auf die Erfüllung dieses Wortes zu warten.




Bischof Walter

aß sich die Wirklichkeit nicht nach unsern Begriffen von den
Dingen richtet, und daß insbesondre der wirkliche Staat und die
wirkliche Kirche immer bedeutend anders aussehen als unsre
Ideen von Staat und Kirche, wissen wir wohl schon längst;
allein wenn man ein so sonderbares Gebilde zu Gesicht bekommt,
wie die unter russischer Herrschaft lebenden evangelisch-lutherischen Adelsrepubliken


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[0266] Bischof Walter hinter sich hat wie der Arzt, wird auch gleiche Wertschätzung mit ihm bean¬ spruchen können, wenn auch der Kreis ihrer Wirksamkeit beschränkter sein wird. Wer also für die Frauen die Berechtigung zum medizinischen Studium fordert, muß ihnen auch zutrauen und zumuten, daß sie denselben Lehrgang wie der Arzt durchmachen. Übrigens sollte, scheint mir, den Studentinnen freistehen, nach Wunsch das ganze Gebiet der Heilkunde zu erfassen oder sich auf dieses oder jenes Svnderfach vorzubereiten und dementsprechend eine umfassende oder auch be¬ schränktere Prüfung zu bestehen. Ich möchte z. B. der Meinung sein, daß nur ein bescheidner Teil der künftigen Ärztinnen sich der operativen Chirurgie zu¬ wenden werde, soweit sie nicht etwa bei Frauenkrankheiten erforderlich ist, daß sie sich überhaupt so gut wie ausschließlich der Heilung von Frauen und Kindern oder auch der Geburtshilfe widmen werden. Welche Anforderungen der Staat überhaupt stellen soll, um einer Frau den Zutritt zum ärztlichen Berufe zu gewähre», darüber zu entscheiden ist Sache der wissenschaftlichen Autoritäten; jedenfalls scheint es mir, daß die Anforderungen vielleicht weniger weitgreifend, aber keineswegs weniger tiefgehend sein dürfen. Man wird die Anforderungen um so höher stellen dürfen, als überhaupt nur auserwühlte Kräfte sich dem Studium zuwenden werden. Das medizinische Studium fordert, abgesehn von der zeitraubenden Vorbereitung, eine Freiheit des Geistes, eine Kraft des Willens, eine Beherrschung weiblicher Schwachheiten, die nur einer kleinen Zahl von Auserwählten gegeben sein werden. Ich glaube, daß sich der Frauenverein Reform irrt, wenn er einen großen Zudrang der Frauen zu dem ärztlichen Beruf erwartet, sobald die Möglichkeit dazu geboten ist. Aber es ist an der Zeit, daß Deutschland, dem Vorgänge andrer Nationen folgend, dem Frauenstudium der Heilkunde eine Stätte bereite. Schon vor zwanzig Jahren habe ich geschrieben: „Jede größere Stadt wird eines Tages ihre Ärztin haben." Hoffentlich hat Deutschland nicht noch weitere zwanzig Jahre auf die Erfüllung dieses Wortes zu warten. Bischof Walter aß sich die Wirklichkeit nicht nach unsern Begriffen von den Dingen richtet, und daß insbesondre der wirkliche Staat und die wirkliche Kirche immer bedeutend anders aussehen als unsre Ideen von Staat und Kirche, wissen wir wohl schon längst; allein wenn man ein so sonderbares Gebilde zu Gesicht bekommt, wie die unter russischer Herrschaft lebenden evangelisch-lutherischen Adelsrepubliken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/266>, abgerufen am 05.01.2025.