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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Das ärztliche Studium der Frauen")
von Wilhelm Luchner

er 30. März 1892 ist ein wichtiger Tag in der Geschichte der
Frauenarbeit in Deutschland: das preußische Abgeordnetenhaus
hat ein Bittgesuch des Frauenvereins Reform, das die Zulassung
vou Frauen zum medizinischen Studium und zu diesem Zwecke
die Erlaubnis zur Ablegung der Reifeprüfung an einem Gym¬
nasium beantragte, der königlichen Staatsregierung zur Erwägung überwiesen.

Seit Jahrzehnten schon ist in Deutschland der lebendigste Wunsch rege
nach Ärztinnen, natürlich zur Behandlung der Frauen selbst; denn an Ärzten
leiden wir wahrlich keinen Mangel. Es giebt zahlreiche Krankheitserscheinungen,
von denen einen Weib nur höchst ungern, nur unter dem Drange der eisernen
Notwendigkeit dem Arzte Mitteilung macht. Die Gefahr liegt nahe, daß
diese Mitteilung so lange hinausgeschoben werde, bis es zum heilenden Eingriff
zu spät ist, und so mag gar manches teure Leben dem weiblichen Zartgefühl
zum Opfer gefallen sein, seit jene Maria von Burgund, die Gemahlin Kaiser
Maximilians des Ersten, nach einem unglücklichen Sturz vom Pferde sich
nicht entschließen konnte, die Hilfe eines Arztes anzurufen und lieber in der
Blüte der Jugend starb. Man mag es thöricht finden, aber schon die Mög¬
lichkeit genügt, den Ruf nach Ärztinnen für Frauenkrankheiten berechtigt
erscheinen zu lassen. Anderwärts, nicht nur in Nordamerika, das dem alternde"
Europa in solchem Dingen weit voraus ist, in Frankreich, in der Schweiz, in
Italien, sogar in dem sonst so zurückhaltender England und Schottland ist
dem weiblichen Geschlecht das medizinische Studium eröffnet. Schon im
Heldengedicht des Mittelalters kommt Tristans Mutter Blancheflour als Ärztin
verkleidet zu dem todwunden Geliebten; den deutschen Frauen der Gegenwart
ist, wenigstens in der Heimat, jede Möglichkeit, zum Nutzen ihrer Mitschwestern
Heilkunde zu studiren, verschlossen. Warum?

Da wehrt sich zunächst gegen die Zulassung der Frauen zum ärztlichen



°") Wir haben diesem Aufsatze die Aufnahme nicht verweigern wollen, obwohl er keines¬
wegs in allen Stücken unsern Anschauungen entspricht. Unsre abweichende Meinung werde"
D. R. wir in einem der nächsten Hefte aussprechen.


Das ärztliche Studium der Frauen")
von Wilhelm Luchner

er 30. März 1892 ist ein wichtiger Tag in der Geschichte der
Frauenarbeit in Deutschland: das preußische Abgeordnetenhaus
hat ein Bittgesuch des Frauenvereins Reform, das die Zulassung
vou Frauen zum medizinischen Studium und zu diesem Zwecke
die Erlaubnis zur Ablegung der Reifeprüfung an einem Gym¬
nasium beantragte, der königlichen Staatsregierung zur Erwägung überwiesen.

Seit Jahrzehnten schon ist in Deutschland der lebendigste Wunsch rege
nach Ärztinnen, natürlich zur Behandlung der Frauen selbst; denn an Ärzten
leiden wir wahrlich keinen Mangel. Es giebt zahlreiche Krankheitserscheinungen,
von denen einen Weib nur höchst ungern, nur unter dem Drange der eisernen
Notwendigkeit dem Arzte Mitteilung macht. Die Gefahr liegt nahe, daß
diese Mitteilung so lange hinausgeschoben werde, bis es zum heilenden Eingriff
zu spät ist, und so mag gar manches teure Leben dem weiblichen Zartgefühl
zum Opfer gefallen sein, seit jene Maria von Burgund, die Gemahlin Kaiser
Maximilians des Ersten, nach einem unglücklichen Sturz vom Pferde sich
nicht entschließen konnte, die Hilfe eines Arztes anzurufen und lieber in der
Blüte der Jugend starb. Man mag es thöricht finden, aber schon die Mög¬
lichkeit genügt, den Ruf nach Ärztinnen für Frauenkrankheiten berechtigt
erscheinen zu lassen. Anderwärts, nicht nur in Nordamerika, das dem alternde»
Europa in solchem Dingen weit voraus ist, in Frankreich, in der Schweiz, in
Italien, sogar in dem sonst so zurückhaltender England und Schottland ist
dem weiblichen Geschlecht das medizinische Studium eröffnet. Schon im
Heldengedicht des Mittelalters kommt Tristans Mutter Blancheflour als Ärztin
verkleidet zu dem todwunden Geliebten; den deutschen Frauen der Gegenwart
ist, wenigstens in der Heimat, jede Möglichkeit, zum Nutzen ihrer Mitschwestern
Heilkunde zu studiren, verschlossen. Warum?

Da wehrt sich zunächst gegen die Zulassung der Frauen zum ärztlichen



°") Wir haben diesem Aufsatze die Aufnahme nicht verweigern wollen, obwohl er keines¬
wegs in allen Stücken unsern Anschauungen entspricht. Unsre abweichende Meinung werde»
D. R. wir in einem der nächsten Hefte aussprechen.
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[0213] [Abbildung] Das ärztliche Studium der Frauen") von Wilhelm Luchner er 30. März 1892 ist ein wichtiger Tag in der Geschichte der Frauenarbeit in Deutschland: das preußische Abgeordnetenhaus hat ein Bittgesuch des Frauenvereins Reform, das die Zulassung vou Frauen zum medizinischen Studium und zu diesem Zwecke die Erlaubnis zur Ablegung der Reifeprüfung an einem Gym¬ nasium beantragte, der königlichen Staatsregierung zur Erwägung überwiesen. Seit Jahrzehnten schon ist in Deutschland der lebendigste Wunsch rege nach Ärztinnen, natürlich zur Behandlung der Frauen selbst; denn an Ärzten leiden wir wahrlich keinen Mangel. Es giebt zahlreiche Krankheitserscheinungen, von denen einen Weib nur höchst ungern, nur unter dem Drange der eisernen Notwendigkeit dem Arzte Mitteilung macht. Die Gefahr liegt nahe, daß diese Mitteilung so lange hinausgeschoben werde, bis es zum heilenden Eingriff zu spät ist, und so mag gar manches teure Leben dem weiblichen Zartgefühl zum Opfer gefallen sein, seit jene Maria von Burgund, die Gemahlin Kaiser Maximilians des Ersten, nach einem unglücklichen Sturz vom Pferde sich nicht entschließen konnte, die Hilfe eines Arztes anzurufen und lieber in der Blüte der Jugend starb. Man mag es thöricht finden, aber schon die Mög¬ lichkeit genügt, den Ruf nach Ärztinnen für Frauenkrankheiten berechtigt erscheinen zu lassen. Anderwärts, nicht nur in Nordamerika, das dem alternde» Europa in solchem Dingen weit voraus ist, in Frankreich, in der Schweiz, in Italien, sogar in dem sonst so zurückhaltender England und Schottland ist dem weiblichen Geschlecht das medizinische Studium eröffnet. Schon im Heldengedicht des Mittelalters kommt Tristans Mutter Blancheflour als Ärztin verkleidet zu dem todwunden Geliebten; den deutschen Frauen der Gegenwart ist, wenigstens in der Heimat, jede Möglichkeit, zum Nutzen ihrer Mitschwestern Heilkunde zu studiren, verschlossen. Warum? Da wehrt sich zunächst gegen die Zulassung der Frauen zum ärztlichen °") Wir haben diesem Aufsatze die Aufnahme nicht verweigern wollen, obwohl er keines¬ wegs in allen Stücken unsern Anschauungen entspricht. Unsre abweichende Meinung werde» D. R. wir in einem der nächsten Hefte aussprechen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/213>, abgerufen am 05.01.2025.